Aufführungsbesprechung: „Götz von Berlichingen“ von Johann Wolfgang von Goethe am 11. August 1811 in Mannheim
Mannheim, den 13. August. Auf unserm Theater sahen wir vorgestern zum erstenmal: Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand, Schauspiel in 5 Aufzügen, von Göthe. Neu bearbeitet vom Verfasser. (Manuscript.)*
Wohl mit Recht war die Erwartung so allgemein gespannt, als am verflossenen Sonntage der alte Götz auf unsrer Bühne erscheinen sollte, mit seiner eisernen Hand, und seinem eisernen Sinn, jener herrliche Repräsentant uralter Heldenkraft, durch dessen Meisterzeichnung Göthes Genius sein erstes Licht in die Welt warf, die Aufgangsstrahlen dieser hellglänzenden Sonne; und wer erfreute sich nicht, wem that es nicht wohl, diesen edeln Nachklang eines fernen Jahrhunderts zu vernehmen, welchen Göthe bis in der Sprache (vorzüglich in Götzens Person, und welcher in Herrn Eßlairs Munde noch lebendiger wurde) so trefflich anzuspielen wußte? Freilich blieb der theatralische Total-Eindruck des Stückes trotz der mit vielem Fleiß gegebenen Aufführung unbefriedigend, und mußte es auch bey der neuen Bearbeitung des Verfassers bleiben, wollte dieser nicht das Ganze in seiner ersten Anlage völlig umwälzen. Die vielen kurzen, schnell abwechselnden Szenen an verschiedenen Orten in demselben Akte, die häufigen, auf der Bühne immer ins Lächerliche fallenden, Gefechte, der außerordentlich große Zeitraum, durch welchen das Stück spielt, und überhaupt das ganze, sich in so viele einzelne Handlungen spaltende Gemälde, leihen demselben bey der theatralischen Darstellung einen Schein von Unzusammenhang, und vertheilen die Aufmerksamkeit und das Interesse des Zuschauers in zu viele Nebenrichtungen, so daß man leicht den Hauptfaden auf eine Zeitlang verliert, und erst am Ende wieder findet. Diese Mängel werden bey der besten Aufführung immer fühlbar bleiben. – Uebrigens bemerkt Referent noch, daß er vieles Schöne aus der alten Ausgabe ungern in dem Stücke vermißte, wiewohl er um so weniger im Stande ist über die neue Bearbeitung eine Meinung zu äußern, als vor dem Auge und Ohre bey der Darstellung alles zu schnell vorüberzieht, um es sogleich beym erstenmale fest halten zu können.
Ueber die Aufführung noch einiges wenige. Im Ganzen war sie, wie Ref. oben bemerkte, gelungen, und es ist nicht zu verkennen, wie viele Schwierigkeiten sie schon in Hinsicht der Anordnung darbot. Im ersten Akte (Referenten überhaupt der liebste des ganzen Stücks) zeichnete Hr. Eßlair den Götz in Ton und Gebehrde meisterhaft; er war die Biederkeit und Kraft selbst; eben so in der Szene mit den Rathsherrn zu Heilbronn*, doch blieb er nicht durch das ganze Stück auf gleicher Höhe. Weit weniger fand sich Hr. Mayer in den Ton altdeutscher Vorzeit, und grenzte beinahe in Sprache und Kleidung, besonders in den Szenen am Hofe, an die spätern Chevaliers; das ist aber Weislingen nicht, sondern noch eine altdeutsche mit Götzen aufgewachsene Pflanze, die aber vom giftigen Hauche der Politik, des Hoflebens und der Verführung angefressen dahin stirbt. Dies zeigt besonders die rührend schöne Stelle zwischen ihm und Götz*, wo er gerettet wäre, zöge er nicht an den Hof zurück. Mlle. Müller gab den ungemein schönen Charakter des Georg, der „der beste Junge unter der Sonne war und tapfer“* recht brav; nur schien sie etwas zu jung und schwach; auch hat sie sich einer guten und richtigen Deklamation zu befleißigen. Mad. Ritter als Elisabeth war vortrefflich costumirt; es ist zu bedauern, daß ihr Organ täglich schwächer wird; dahingegen verstieß Mlle. Demmer* gegen das Costüm, und in der damaligen Zeit trugen die Frauen keine Kleider mit kurzen Aermeln; auch ihr zweiter Anzug war wohl ein Costum à sa fantaisie. Uebrigens gab sie die ihrer Individualität wenig angemessene Role mit vielem Fleiß.
Noch muß Ref. über den Schluß des Stückes bemerken, daß Hr. Eßlair bey Götzens Tode etwas zu leise sprach (vielleicht kam es auch daher, weil er zu weit zurück saß), da doch die Worte, die er zu sagen hat, so schön und gewichtig sind, und die ganze historische Bedeutung des Stückes enthalten:
„Schließt eure Herzen sorgfältiger, als eure Thore; es kommen die Zeiten des Betrugs, es ist ihm Freiheit gegeben.“*
Apparat
Generalvermerk
Entstehung
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Überlieferung
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Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 140 (14. August 1811), S. 559–560
Einzelstellenerläuterung
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„Götz von Berlichingen … vom Verfasser. (Manuscript.)“Götz von Berlichingen von Johann Wolfgang von Goethe; EA Mannheim: 17. Februar 1786. Bei dieser Aufführung 1811 handelt es sich um die Bearbeitung, die Goethe für eine Aufführung in Weimar 1804 vorgenommen hat. Diese Bühnenfassung, die den Titel Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. Dramatisirt trägt, kursierte als Manuskript an deutschen Bühnen, gedruckt wurde sie erst 1833 im zweiten Band der Nachgelassenen Werke.
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„Szene mit den Rathsherrn zu Heilbronn“Akt IV, Rathhaus.
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„rührend schöne Stelle … ihm und Götz“Akt I, Gottfrieds Schloß.
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„„der beste Junge … war und tapfer““Vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand. Ein Schauspiel, Weimar 1889 (Goethes Werke, Bd. 8), S. 169: Götz: Er war der beste Junge unter der Sonne und tapfer (Akt V, Gärtchen am Thurn). In der ungedruckten Bühnenfassung von 1804 lautet die Stelle: Götz: Auch war er der beste Junge unter der Sonne und tapfer; vgl. Johann Wolfgang von Goethe, Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand. Dramatisirt, Weimar 1897 (Goethes Werke, Bd. 39), S. 185 (Akt V, Ein Gärtgen am Gefängnis).
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„… wird; dahingegen verstieß Mlle. Demmer“Zur Premiere spielten sowohl Leonore als auch Auguste Demmer mit (Dlle Demmer d.J. als Marie, Dlle. Demmer d.Ä. als Adelheid). Welche von beiden Dusch hier meint, bleibt unklar.
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„„Schließt eure Herzen … ihm Freiheit gegeben.““Dusch zitiert hier nach der gedruckten Ausgabe; vgl. Götz von Berlichingen, S. 169 (Akt V, Gärtchen am Thurn). In der Bühnenfassung von 1804 lautet die Stelle: Verschließt eure Herzen sorgfältiger als eure Thüren. Es kommen die Zeiten des Betrugs, es ist ihm Freiheit gegeben; vgl. Geschichte Gottfriedens von Berlichingen, a. a. O., S. 185 (Akt V, Ein Gärtgen am Gefängnis).