Gastspiel von Albert Gern im Oktober 1811 in Mannheim
Aus Mannheim.
Herr Gern vom Berliner Theater, Sohn des berühmten Bassisten Gern, gab uns kürzlich mehrere Gastrollen, worunter Franz Moor, Anwalt Dupperich in den Quälgeistern, und Stepanow in dem Grafen Benjowski*. Daß Herr Gern ein Schüler Ifflands ist, läßt sich wohl nicht verkennen, allein er ahmt demselben mit einer Genauigkeit nach, welche kein Kunstkenner je billigen wird; wie Ifflands Muster die Natur*, so scheint Iffland wieder Gerns einziges Vorbild zu seyn, und nähme man an, daß auch er wieder seine Nachahmer findet und immer so weiter, so entstünde daraus eine amüsante Reihe von Copien in absteigender Linie. – Ref. sagt damit nicht, daß man von einem Meister nicht lernen solle; im Gegentheile gelangt man durch eine solche Leitung früher, leichter zum Ziele; – lernen soll man allerdings von einem solchen die Kunstmittel; aber dann wende man sie nur nicht gerade an, weil sie jener angewendet hat, sondern die Anwendung muß aus der eignen Seele kommen; – saugen doch alle Bäume derselben Gattung dieselben Säfte, und gestalten sich dennoch in so reicher Verschiedenheit; man muß den Arm nicht ausstrecken, weil ihn gerade ein Andrer so ausgestreckt hat, man muß nicht einen Ton mit der Stimme hervorbringen, weil ein Anderer so gesprochen hat, denn derselbe Laut macht sogar in verschiednen Kehlen ganz verschiedne Wirkung; Hr. Gern thut aber dieses oft bis zum Unerträglich-werden; seine Individualität opfert er auf, um uns ein Echo zu liefern. Daher kam es denn auch, daß wie er gerade in einer Szene sich Ifflands Spiel mehr oder weniger zu eigen gemacht hatte, man ihm auch mehr oder weniger immer ein gezwungenes Wesen anmerkte, welches den Genuß selbst der glänzendsten Stellen schmälerte. – Schade drum! Hr. Gern scheint viel Anlage zu haben, scheint Geist zu haben; nur ist dieser aus sich selbst herausgeworfen, schwankt außer seinem Schwerpunkte hin und her, und gefällt sich in dem Schmucke einer fremden Individualität. Fährt Herr G. so fort, dann ist er zu bedauern, wenn Iffland nicht mehr da ist, und [er] eine neue Rolle zu geben hat, zu der ihm kein andres Muster vor Augen steht; er wird dann die ewige unversiegliche Quelle nicht mehr auffinden, weil er sie nicht früher gesucht hat, und sich mit dem begnügte, was ihm Andre davon mitbrachten.
Indessen ist bei dem Verstande, welchen Hr. Gern doch unverkennbar, besonders in seiner Deklamation beurkundet, zu erwarten, daß er im künftigen Verlauf seiner Künstlerbahn noch lernen wird aus sich selbst schöpfen und auf eignen Füßen stehen, und erst dann wird er etwas Bedeutendes zu leisten im Stande seyn.
Apparat
Generalvermerk
Zuschreibung nach Sigle.
Entstehung
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Überlieferung
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Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 11, Nr. 230 (18. November 1811), Sp. 1840
Einzelstellenerläuterung
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„Franz Moor , … dem Grafen Benjowski“Albert Gern gastierte in Mannheim am 20. Oktober als Franz Moor in Die Räuber von Friedrich von Schiller, am 24. Oktober als Dupperig in Die Quälgeister (nach Much ado about nothing) von William Shakespeare und am 31. Oktober 1811 als Stepanoff in Graf Benjowski von August von Kotzebue. Zudem trat er am 28. Oktober 1811 in Der häusliche Zwist von Kotzebue als Nachbar, in Die Ehescheuen von Johanna von Weissenthurn als Inspektor und in Der Schatzgräber (Le trésor supposé ou Le danger d’écouter aux portes) von Etienne Nicolas Méhul als Geronte auf.
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„Ifflands Muster die Natur“Vgl. dazu Duschs Bemerkungen zum Mannheimer Gastspiel August Wilhelm Ifflands im September 1811 (1811-V-68).