Aufführungsbesprechung Hamburg: Korrespondenz-Nachrichten: Februar 1822, darunter „Der Freischütz“

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Hamburg, im Febr.

(Beschluß.)

Unter Drommetenschmettern der voranfliegenden Fama, von anpreisenden Anzeigen im Voraus angekündigt, füllte sich das Haus mehr, als bey einer ersten Darstellung gewöhnlich, wie der Name: Die Waise von Genf, auf dem Zettel stand. Eine größere Zusammenhäufung von Unwahrscheinlichkeiten und Albernheiten hatte man hier lange nicht gesehen. Das Stück, obgleich es eigentlich nicht gefiel, hat doch Abenteuerlichkeit und unterhält die beliebte Spannung genug, um bey mehrern Vorstellungen das Haus zu füllen; was aber diesem Stück de parade, wie man dergleichen in Frankreich nennt, in Paris und Wien leicht den größten Reiz geben mag, eine kunstreiche und sorgfältig aufgestellte Dekoration, geht ihm hier nicht allein ab, sondern es schien wirklich der Direktion gefallen zu haben, die innere Unwahrscheinlichkeit des Stücks durch eine eben so große äußere symbolisch andeuten zu wollen. So sahen wir hier z. B. einen fast im Vorgrunde angebrachten Prospekt, der in der Mitte, von unten bis ganz oben, abgeschnitten war, und eine höchst lächerliche Abtheilung in der Luft verursachte, welche an der einen Seite der Bühne auf den halben Hintergrund flach gemalt war, und an der andern Seite ein überirdisches Gewölbe bildete, das tief auf der Bühne hineinging. Eigentlich soll wohl nun das Stück in einer Scheune spielen, wo die auftretenden Personen, trotz dem Ungewitter, von außen sich frey bewegen und unterreden können. Allein hier sah man nur in die Scheune hinein, und die Spielenden traten vor diese in den Vorgrund heraus, wo eine klare Luft, zwar von der düstern im Hintergrunde mit Leinwand abgetheilt, über ihnen wehte, indessen es außer der Scheune regnete, donnerte und blizte. So war die innere und äußere Lächerlichkeit gleich anschaulich, und die eine durch die andere völlig ausgesprochen. Die wohl nicht beabsichtigte Uebereinstimmung ist das Geringste, was die Direktion entschuldigen kann, die, sonst äußerst aufmerksam was die Anordnung und innere Gestaltung der Ausführung betrifft, Auge und Sinn für die äußern Forderungen der Bühne seit lange verloren zu haben scheint. Unbegreiflich ist es sonst, daß die Direktion länger einen Maschinisten dulden kann, der fast alle Abende, wo nur die kleinste ungewöhnliche Scenerey vorfällt, die Geduld des Publikums auf die Probe stellt, ja selten geht ein Abend hin, selbst bey ganz gewöhnlichen Dekorationen, wo nicht entweder ein Vorhang in der Mitte hängen, oder eine Koulisse stehen bleibt – ja einmal während einer Vorstellung von Götz von Berlichingen ging eine ganze Scene verloren, weil die Bühne zu früh verwandelt wurde. Man wirft Iffland vielleicht mit Recht vor, daß er an die Berliner Bühne zu viel unnützen Aufwand verwandte; hier verwendet man im Gegentheil auf ein anständiges Aeußeres zu wenig. Es ist nicht genug, daß die auftretenden Personen gut und zeitgemäß kostümirt sind, der Raum, worin sie auftreten, muß auch mit den Forderungen der Dichtung übereinstimmend seyn, wenigstens darf die Vernachlässigung nie so weit gehen, daß man in einem Stücke Bauwerke von allen Epochen der Baukunst wahrnehmen kann, oder in verschiedene Gegenden der vier Welttheile vesezt wird. Unmäßigen Aufwand fordert kein Kenner, kein gebildeter Zuschauer – er verlangt nur solche Umgebungen, welche die Illusion nicht zerstören. – Zwar kann man nicht verlangen, daß die Direktion in einem alten zerbrechlichen Hause, wo die vorgenommenen Einrichtungen gewissermaßen nicht einmal ihr Eigenthum werden, sich in große Kosten setzen soll, allein um so mehr wäre es zu wünschen, daß die prekäre Lage der Direktion und der Bühne recht bald eine ¦ sichere Gestaltung gewinnen möchte. Hr. Gide, der in oben erwähntem Stücke den alten Verwalter machte, hatte bey den spätern Darstellungen den unverzeihlichen Einfall, vor der Scheune einen Regenschirm zur größten Ergötzlichkeit des Publikums aufzuspannen, wodurch er, gewiß ohne es zu wollen, jene lächerliche Dekoration am witzigsten parodirte. – Die Bemühungen der Schauspieler konnten nicht verhindern, daß die vielen Unwahrscheinlichkeiten des Stücks nicht in der Seele der Zuschauer aufblizten, doch wurden die Hauptpersonen bey jeder Darstellung beynahe gerufen – und in der That sie verdienten es; als eine seltene Gerechtigkeit eines Publikums darf es nicht vergessen werden, zu bemerken, daß diese Auszeichnung vor Allen dem Hrn. Weiß galt, der den verruchten Bösewicht Strömborß darstellte. Der Inhalt ist aus Pittevals causes celebres genommen, wo ohne Zweifel die Begebenheit natürlicher und menschlicher motivirt, sich mit Interesse lesen lässt.

Doch dieß hors d’œuvre wurde bald über dem Freyschütz vergessen, der nun an der Tages-Ordnung ist. – Es hat mich gefreut, durch die verschiedenen Beurtheilungen dieser interessanten Erscheinung bemerkt zu haben, daß man endlich auch in Deutschland nicht länger den Text einer Opern-Musik a priori geringschätzt. Ich habe zwar den in Rede stehenden nicht gelesen, und wage daher nicht ein Urtheil darüber zu sprechen, doch kann ich noch nicht der Meinung beystimmen, die ihn sehr hoch stellt; vielleicht steht Apels schöne Erzählung mir noch zu lebendig vor dem Sinn. Der Ausgang will mich nicht recht befriedigen; es kommt mir immer vor, als sey dieser der Anlage des Ganzen zuwider. – Die Musik scheint auch hier, je öfter man sie hört, zu gefallen – und in der That wird auch diese mit mehr als gewöhnlicher Präcision ausgeführt. Uebrigens haben ja fast alle Blätter zur Genüge über diesen Text gepredigt, und wahrscheinlich wird der Freyschütz bald in der Heymath des Morgenblatts keinen Fehlschuß thun.

Uebrigens ist es hier in der Literatur ziemlich still. Die meisten Tageblätter, selbst die Lesefrüchte, die doch in einer Subscriptions-Anzeige Buße gethan und Besserung versprochen haben, vor allen aber die geschäftige Biene, fahren fort sich vom Raube zu ernähren. – Nur dem Herausgeber der Originalien, Hrn. Lotz, ist es gelungen, der auf das Walter Scottsche Romanwesen erpichten Lesewelt eine willkommene Gabe zu bringen. Denn während Ihr Morgenblatt, die Abendzeitung und mehrere Blätter den Inhalt von dem Piroten aus den englischen Blättern in gedrängter Kürze gaben, hat der genannte Herausgeber sehr interessant verbundene, und so eine einzige zusammenhängende Erzählung bildende, Bruchstücke von diesem Roman in seiner oben erwähnten sehr gelesenen Zeitschrift mitgetheilt, und so sein Versprechen, der Erste seyn zu wollen, der diese brittische Pflanze auf deutschen Boden übertragen würde, redlich gelöst. Es ist freylich kein glänzendes Zeichen des Zustandes der Literatur und des Buchhandels, wenn man die vielerley Kunstgriffe, und Ränke, möchte ich beynahe sagen, betrachtet, deren sich mitunter Buchhändler und Gelehrte bedienen, um die Uebersetzung von den Werken eines Mode-Lieblings zu erhaschen. Früher war in der Lese- und Buchhändler-Welt die erste Ankündigung der Uebersetzung eines Werkes ein Heiligthum. Jezt ist es so nicht mehr; wer zuerst zur Mühle kommt, muß sich mit den Nachdrängenden herumbalgen.

In diesen Tagen ist in Altona der bekannte Obergerichts-Advokat Jakobsen, Verfasser mehrerer geschäzter juridischer Schriften, und der kürzlich herausgegebenen Lebensbeschreibung der berühmtesten englischen Dichter gestorben*.

ß.

Apparat

Zusammenfassung

Korrespondenz-Nachrichten Hamburg: Februar 1822, dabei auch über „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 16, Nr. 82 (5. April 1822), S. 328

    Einzelstellenerläuterung

    • „… der berühmtesten englischen Dichter gestorben“Friedrich Johann Jacobsen, geb. am 29. Juni 1774 in Heide, war am 24. Februar 1822 gestorben.

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