Rezension: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber

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Über Carl Maria von Weber’s Oper:
Der Freyschütze.

Es ist in unserer, an neuen Erscheinungen in der dramatischen Musik so reichen Zeit von Bedeutung, wenn ein ächtes Werk der Kunst bey seiner ersten Aufführung nicht sogleich den allgemeinen Beyfall findet, sondern erst nach und nach durch immer wiederhohlte Darstellungen die Gunst des Publicums, und zwar in solchem Grade erwirbt, dass man es endlich zu den Cassastücken rechnen darf, in welchen der gebildete Zuschauer und Kenner sowohl mit innigem Seelenvergnügen seine Abendstunden zubringt, als auch der Theil des Publicums, dem es nur um Unterhaltung im Theater zu thun ist.

Ein solches theatralisches Werk macht eigentlich durch sein progressives Wachsthum im Beyfalle des Publicums das Widerspiel gegen die Werke, welche am ersten Tage mit ungeheurem Applaus und Zulauf gegeben werden, und nach einigen Vorstellungen so leer sind und so kalt aufgenommen werden, dass der aufmerksame Beobachter sich nach der Ursache umsieht, durch welche der erste frühe Enthusiasmus denn in solcher Heftigkeit hervorgebracht und nun in solcher Schnelligkeit abgekühlt wurde? Der Grund, warum das ächte, täglich im Beyfalle des Publicums steigende Werk immer mehr besucht wird, lässt sich dann schon von selbst aus der Lösung der ersten Frage erklären.

Die Beschauung des Schönen, die Liebe und Freude an der Kunst ist ein freyes, heiliges Glück des Menschen, das ihm von oben zur Veredlung seines Ichs beschieden, und so mächtig seinem Innern verwebt wurde, dass keine hemmenden Schranken – und wollte auch irdische Gewalt oder was noch ärger, Neid und Schelsucht ins Spiel treten ¦ – den dem Menschen schon eingepflanzten Keim zu diesem Glücke ersticken, und seine freye Wirksamkeit verhindern werden. Die Freude und Liebe an der Kunst ist ein eben so freyes Geschenk des Himmels als das Licht der Sonne, dessen Beschauung dem freyen Erdenbewohner zu beschränken, durch die hohe Sphäre, in welcher das Licht ausstrahlt, unmöglich gemacht ist.

Wenn nun andere Künste, z. B. Mahlerey und Sculptur, darin vor der Musik einen Vorzug behaupten, dass sie ihr Werk fertig nur ins Licht zu stellen brauchen, ohne erst auf die guten Ausführung hoffen und vor schülerhafter Verstümmelung zittern zu müssen, so versteht es sich von selbst, dass bey allen Werken der Tonkunst eine durch meisterhafte Mitwirkung hervorgebrachte Zutageförderung oder Aufstellung im wahren Lichte der Beschauung vorausgesetzt werden muss, indem der producirende Geist unmöglich für solche Sünden verantwortlich gemacht werden kann.

Bey den Vorstellungen des erwähnten Theaters ist nun aber grössten Theils diese Bedingung als erfüllt zu betrachten, und um so schöner kann sich das freye Gefühl in seiner Theilnahme am Kunstwerke äussern.

Die erwähnte Erscheinung, dass manche Werke das betrügerische äussere Zeichen des Beyfalls oft im Anfang erwerben und später ganz wieder verlieren, indess andere bey ihrer ersten Aufführung kaum halb so viel Aufsehen erregen und erst in der Folge, die Tiefe ihres inneren Wesens mehr entfaltend, die hohe kräftige Natur des Geistes, dem sie ihren Ursprung verdanken, dadurch beurkunden, dass immer höhere Reitze vor den Blicken des Beobachters sich zeigen und sein Wohlgefallen in Anspruch nehmen, diese Erscheinung muss also in einer doppelten Ursache ihren Grund haben, dessen Aufsuchung, gerade bey Beurtheilung eines so ausgezeichneten und durch sein steigendes Glück | im Publicum merkwürdigen Werkes – nicht ohne Verdienst seyn dürfte.

Die Musik hat vor allen anderen Künsten das Eigenthümliche, dass sie durch öfteres Anhören bey den meisten Menschen einen bis ans Wunderbare gränzenden Enthusiasmus erregt (wie er in der Mahlerey gar nicht vorgefunden wird), der aber bey manchen sogar oft eine höchst rohe, man könnte sagen tölpelhafte Natur annimmt.

Was ist es anders, wenn sie sagen: Ich will und kann nun einmahl von keinem anderen Tonsetzer etwas hören als von „A“! Wie kann B so etwas schreiben? Es ist unmöglich!

Was ist es anders, wenn sie bey Lesung eines anderen Nahmens auf der Affiche schon davon laufen, und alle Zeichen einer durch Nervenzufälle wirkenden heftigen Idiosynerasie auf dem Gesicht tragen? Was ist es anders, wenn sie schon den B mit Ingrimm hassen, mit Fingern auf ihn weisen – ohne je etwas von ihm gehört zu haben?

Wohl dem Beglückten, der ihnen schon seit langer Zeit so bekannt ist, als wäre er ein Jugendfreund oder Landsmann! Wehe dem neuen Ankömmling am Mauthschranken ihres musikalischen Gränzamtes. Solche Musikliebhaber sind wahre Chinesen, die eine Mauer um ihr Reich ziehen und denken: Unmöglich kann’s da draussen noch Menschen geben, da wir’s hier herinnen sind! Und gerade diese Menschen sind es, welche häufig das Glück und Unglück eines theatralischen Werkes entscheiden.

Gab es etwa nicht in allen Zeiten irgend eine Secte, welche alle Werke eines Einzigen für unerreichbar erkannte, für das non plus ultra aller Kunst ansah, und mit engherziger Natur jedem anderen emporstrebenden Geiste die ärgsten Hindernisse in den Weg legte?

Hat es Niemand beobachtet, wie sich ein solcher Enthusiast windet, wenn der Triumph des Schönen durch die Trefflichkeit eines fremden Werks bewährt wurde? Wie er sich krümmt, ehe er zugibt, dass das nicht übel sey, was seine Mitwelt in freudiges Staunen setzte?

Diess dürfte also wohl der Grund davon seyn, dass manche Werke Anfangs gleich ex officio applaudirt werden, die in der Folge jeden anwesenden Zuhörer kalt lassen, weil es weder im Zwecke der Enthusiasten lag, durch tägliches Besuchen des von ihnen gekrönten Werks, auch täglich als Sach¦walter zu erscheinen, noch weniger, weil sie zu so kostspieligem Unternehmen sich entschliessen konnten, denn es war gegen ihre Grundsätze.

Warum nahm aber der Beyfall bey solchen Opern ab, da doch die Musik wirklich – wie man im gemeinen Leben zu sagen pflegt – recht schöne Stellen hat?

Es fehlte dem Meister an wahrer phantastischer Bildungskraft, um seinem Werke den Stempel des Genie’s so aufzudrücken, dass die Welt es als ein freyes, für sich allein bestehendes, aus der inneren schaffenden Kraft eines originellen Geistes hervorgegangenes Product anerkennen musste.

Doch waren aber so viele Schönheiten daran zu rühmen! Diess waren einzelne Blüthen, welche von anderen Bäumen gepflückt mit geschickter Hand an diesem aufgehangen waren!

Oft wirkten auch diese Schönheitsblüthen nicht anders als durch die Macht der Rückerinnerung, indem sie uns die Melodien als schon bekannte gute Freunde vorführte. Desshalb verlor sich die Menge, weil ihre Sinnen frey, unbefangen und ihre Werkzeuge zu Beschauung der allgemeinen Sonne der Kunst mit gehöriger Kraft ausgerüstet sind!

Wodurch nahm aber Webers Oper so zu im Beyfalle des Publicums?

Weil sie das Product eines schaffenden Geistes ist, der zu stolz ist, die Bahn zu wandeln, welche der Modegeschmack ihm vorzeichnete, der aber so viel eigene Kraft in sich trägt, sich selbst eine neue schaffen zu können.

In der genialen Kraft seiner Composition, in der Neuheit der Bewegung und Form, in dem eigenthümlichen Lebensreitze, der aus allen Melodien uns anhaucht – liegt der Grund des Glücks, dessen sich dieses Werk in Wien erfreut.

Der Unterschied des mittelmässigen, oft durch grosse Zweckmässigkeit annehmbaren, aber wegen Mangel des Genie’s mehr kalten Werkes ist unendlich in seiner Wirkung, wenn man damit ein geniales Product vergleicht.

Wenn der Geist, welcher das erstere erfand, nicht der erhabensten Gefühle fähig, und nicht von der Macht, Herrlichkeit und Grösse seines augeschauten Objects ganz durchdrungen war, dass er sich mit ihm in Eins verschmolzen wähnte, so wird er auch nicht im Stande seyn auf die menschliche Seele den Eindruck durch seine erfundene Musik zu machen, welcher die Werke des Genies stempelt. |

Was nutzt alle erzwungene Begeisterung, wenn diese Flamme nicht aus dem innersten Wesen des Tonsetzers erglomm, und seine Phantasie so wie sein ganzes Ich durchdrang? In der Freyheit des voll ächter Begeisterung sich in die Regionen der Himmel schwingenden Genius liegt ein solcher Zauber, ein so charakteristisches Merkmahl des Göttlichen, welches seine Welt, aus sich gestaltet und glühend belebt, dass die kleinsten Grundzüge davon, wenn sie einem Kunstwerke eingehaucht sind, das sie wahrnehmende Gemüth wie mit einem elektrischen Funken berühren, und bewusstlos zur Bewunderung und freudigen Theilnahme zwingen. Oft erscheinen sogar diese charakteristischen Züge der originalen Genialität dem Forscher von so geringer Bedeutung, dass er mit Staunen wahrnimmt, wie unermesslich die Wirkung der genialen Kraft am Kunstwerke sey, Das Meisterstück hat bisweilen in seiner technischen Vollendung nichts von dem mit ihm verglichenen, mittelmässigen Producte der Kunst voraus – ja es steht ihm vielleicht gar nach, weil dieselbe entweder an jenem unnütz verschwendet, oder bey diesem in der Gluth der schöpferischen Eile ein wenig vernachlässigt wurde – aber es hat einen oder einige Züge an sich, selche nur vom Genius in höchster Gluth und Freyheit erzeugt werden konnten, und deren Kraft das betrachtete Tonbild mit einem magischen Zauber überstrahlt, dass die Seele des Hörers unwillkührlich davon ergriffen und hingerissen wird.

Hingegen martert sich mancher Tonsetzer und dreht sich auf dem Dreyfuss der Pythia kreisend, um ein Werk zu Stande zu bringen, zu dem er eine Menge unnüthiger Mittel zusammen häuft; denn er setzt alle ihm zu Geboth stehende Instrumente in bewegung, verstärkt sie, lässt sie tüchtig geigen und blasen, und schreit über das Halten der Forte’s und Piano’s, und torquirt die Lunge des Sängers, und wenn er alle diese Anstrengungen gemacht, und das Tonstück nach allen erdenklichen Regeln erfunden ist, und es ertönt – so bleiben doch alle Herzen so kalt, und in so unbehaglicher Unentschlossenheit, dass der gute Tonsetzer nicht weiss, wie das alles nicth packen kann. Denn hierin liegt der unwürdige Begriff, welchen die meisten von ihrer Kunst in sich tragen, dass sie glauben, das Gemüth durch allerhand gewaltsame Mittel recht schütteln zu müssen, so wie man Pferde recht oft im Kreise herumführt, damit sie schwind¦lig werden, und sich gutwillig beschlagen lassen. Auf diese materielle Weise ward nun der Zweck verfehlt, aber der Genius erreicht vielleicht mit wenigen Mitteln, durch eine so natürlich und so einfach aussehende Melodie, die nur so viel Harmonie zur Grundlage hat, als sie gerade haben soll, einen Effect in seinem Tonstück, der alle Zuhörer zu gränzenlosem Enthusiasmus hinreisst. Jetzt stellt der mühsame Tonsetzer, dessen Werk des Effects mangelt, seine Fragen an das Schicksal, und erfleht sich die endliche Auflösung dieses fatalen Räthsels, indessen er nicht ahnet, dass ihm das eine der Elemente fehlt, das den Künstler zum Schöpfer macht – die Freyheit.

Das Nothwendige hat er sich mit saurer Mühe errungen, doch wohnet in ihm nicht der Prometheische Funke des Genies, welcher allem Werk der Kunst erst Leben und Geist verleiht, und ohne dessen Mitwirken das Product kalt und leblos bleiben muss.

(Fortsetzung folgt.)

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ran Mo

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 5, Nr. 96 (1. Dezember 1821), Sp. 757–762

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