Aufführungsbesprechung Leipzig: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (Dez. 1821 bis März 1822)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Tagesbegebenheiten.

Aus Leipzig.

Den 23. März, 1822.

Die Anwesenheit mehrerer auswärtigen Künstler hat seit einiger Zeit den Vorstellungen unserer Bühne neues Interesse gegeben. Eh’ ich jedoch über das Spiel der Gaste mich ausbreite, mag es mir erlaubt sein, meine Ihnen schon früher versprochene Ansicht über die noch immer Furore machende Oper „der Freischütz“, hier in der Kürze darzulegen.

Gewiß zehn bis zwölfmal ist diese Oper schon bei aufgehobenem Abonnement gegeben worden*, und immer und immer ist der Andrang der Schaulustigen noch gleich stark. Schon dies zeigte mir, da ich mir vornahm, den Strom erst ein wenig verbrausen zu lassen, eh’ ich durch eigenen Augenschein von dem Werth der Sache mich unterrichten wollte – daß in Text und Musik nothwendig etwas liegen mußte, das zeitgemäß, oder, wenn man lieber will zeitansprechend war, und ich glaube nun, nachdem ich das Ganze gehört und gesehen, auch Text und Musik durchgegangen bin, sagen zu dürfen, daß ich mich nicht irrte. Vorzüglich ist, meiner Ansicht nach, dies der Fall mit der Musik. Welche Richtung diese Kunst in der neuesten Zeit genommen, ist bekannt. Eine kunstreiche, gekünstelte Instrumentirung mußte häufig den Mangel der Melodie ersetzen, oder deckte diese, wo sie sich ja noch fand, so zu, daß sie kaum mehr vernommen wurde. Das sichtbare Streben nach grandiosen Effekten erkältete unwillkührlich, wie jedes zu sichtbare Streben, den Hörer, dessen Ohren oft von den Tonmassen, die aus dem Orchester emporquollen, mehr erschüttert als entzückt wurden und große Trommeln, Becken und wie die Lärm-Instrumente weiter heißen, die jetzt so viel angewendet werden, vermochten nicht auf die Dauer für das Fehlen jener Zaubertöne zu entschädigen, mit welchen frühere Meister alle Herzen gewannen. Von dieser, offen gestanden, einseitigen Richtung ¦ der neueren Schule in der Musik – eine Richtung, die, nebenbei bemerkt, gleichzeitig auch in andern Künsten, namentlich der Poesie und Malerei sich zeigte – hat sich nun, meines Bedünkens nach, der Componist in der Musik zum Freischützen auf eine sehr glückliche Art losgemacht, ohne jedoch das, was einmal – wenn ich so sagen darf – Mode ist, dabei ganz zu vernachlässigen. Ueberraschende Wendungen finden sich auch hier, auch hier braußt mitunter der Strom der Töne in scharfen Sätzen, aber dazwischen klingen oft gleich lieblich besänftigende Stimmen, zarte, faßliche Melodieen, die das Gefühl sanft und wunderbar ansprechen, und einen Glanz über das Gemälde breiten, was das Ganze ungemein herzgewinnend macht. Rechnet man nun zu diesen Vorzügen der Composition das Interesse, welches der romantische Stoff der Dichtung einflößt, die, bis auf den Schluß, mir sehr glücklich durchgeführt erscheint, so darf es nicht befremden, wenn bei einer irgend mehr als mittelmäßigen Darstellung diese Oper überall so entschiedenes Glück macht, und gewiß noch lange machen wird, da mehrmaliges Hören ihr nichts von dem Zauber nimmt, den der geistreiche Compositeur darum zu weben wußte.

[…]

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Der Freimüthige oder Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser, Jg. 19, Nr. 57 (9. April 1822), S. 228

Textkonstitution

  • „verbrausen“unsichere Lesung

Einzelstellenerläuterung

  • Gasterecte „Gäste“.
  • „… bei aufgehobenem Abonnement gegeben worden“Am 20. März 1822 hatte die zehnte Vorstellung der Oper in Leipzig stattgefunden.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.