Georg Rudolph von Gersdorff an Heinrich Anton von Zeschau in
Dresden
London, Freitag, 2. April 1841
Um Ew. Exc. in den Stand zu setzen, denjenigen Antrag schnell möglichst zu beantworten, welchen in Gemäßheit meines ergebensten Berichts vom 12. v. Mts, die Königliche General Direction der musikalischen Capelle, an Hochdieselben bereits gerichtet haben dürfte, gebe ich mir die Ehre in Folgendem, über den Zustand, in welchem die irdischen Ueberreste des Königlichen Capell-Meisters Carl Maria von Weber sich hier befinden, ergebenst zu berichten. –
An der katholischen Capelle in Moorfields, Finsbury Circus, Finsbury Square, (welche die hiesige katholische Haupt-Kirche bildet), liegt ein Begräbnißplatz in freier Erde, Kirchhof im eigentlichen Sinne, der aber nur einige 100 Quadratfuß Raum einnimmt, und vielleicht wie 1 zu 3 zu dem Flächen-Inhalt der Capelle selbst steht. Gänzliche Ueberfüllung dieses Begräbnißplatzes, ist die Ursache, weshalb keine Beerdigungen daselbst mehr Statt finden, und daß selbst in Fällen wo, wegen verschiedener Ansicht, oder meist wegen Armuth der Angehörigen, Beerdigung, der Beisetzung in den Catacomben vorgezogen wird, die Särge in einem dazu bestimmten Theile der unterirdischen Gewölbe, unter der Capelle selbst begraben werden. Während ein nur hölzerner Sarg bei Beerdigungen, vermuthlich zur Beförderung der Verwesung, zur Bedingung gemacht wird, darf die Beisetzung, welche von wohlhabenden Personen vorgezogen wird, nur dann geschehen, wenn der Todte in einen bleiernen, wohl ver|lötheten Sarg, dessen vorherige Untersuchung dem Todtengräber obliegt, gelegt worden ist. Außer einer Anzahl von Seiten-Gewölben, deren einige als Familien Grüfte dienen, bestehen die zur Beisetzung in Moorfields chapel bestimmten Räume, (public Vaults) in 8 oder 10 parallelen, eine Etage unter der Erde tief, liegenden Gewölben, welche in derselben Richtung wie die Kirchenstühle in der Capelle selbst, laufen, und durch offene, vergitterte Fenster, die einerseits in die Straße, auf der andern Seite in den Kirchhof sehen, Licht und Zuströmung freier Luft erhalten. Ein breiter Gang, um sämmtliche Gewölbe herum, führt zu den beiden Eingängen, am unteren und oberen Ende jedes einzelnen Gewölbes, und bildet zugleich, die Scheide zwischen den Public Vaults und den Familien-Grüften. Das Gruftgewölbe No: 1., unter dem Hochaltar gelegen, dient für die Geistlichkeit. Nur die Särge der Bischöfe sind in steinerne Nichen gestellt, alle übrigen Särge stehen auf dem Boden ruhend, in Reihen, und geschichtet. Da die Preise der Beisetzung, nach den Nummern der Grüfte verschieden sind, und Standesverhältniße auch hier Berücksichtigung finden, so daß z. B. die Beisetzung in dem Gewölbe, welches auf das der Geistlichkeit folgt, für einen, nicht zur eingepfarrten Gemeinde von Moorfieldschapel gehörigen, älter als 10 Jahr Gestorbenen, auf £ 20 taxirt ist, so folgt hieraus, daß einige Gewölbe mehr, andere weniger Todte enthalten. Ein oder zwei der Public Vaults stehen noch gänzlich leer, in keinem derselben, welche übrigens so breit sind, daß solche zwei Särge mit den Füßen gegen einander ge|richtet, und einen breiten Gang zwischen denselben enthalten können, scheint mehr als eine Seite des Ganges bis jetzt in Anspruch genommen worden zu seyn, und wiewohl die Höhe des Gewölbes, 8 Schichten Särge enthalten dürfte, so hat nur in einigen dieser Gewölbe, und dies ist namentlich mit dem Raume N.° 5 der Fall, in welchem die Ueberreste des vorm. Capell Meisters von Weber stehen (und wo die Berechtigung zur Beisetzung £ 6. 10 sh. kostet,) die Anzahl der über und auf einander gestellten, an die nächsten Nachbarn dicht angerückten Särge, bisher eine dreifache Reihe erreicht. Der Sarg des Capell-Meisters v. Weber, steht in dem, dem Haupteingange zur Linken, nächstfolgendem[!] Gewölbe, ungefähr in der Mitte der 2ten Reihe, und da dessen Ober- Unter- und Seitenflächen sonach, mit Ausnahme der kleineren, am Fuße des Sarges dem Gange zugekehrten verticalen Fläche, – hier wo alle Särge einerlei flache Gestalt und Dimension haben, – von andern Särgen bedeckt sind, ist solcher, ohne Störung der andern Särge, dem Forscher nur, durch eine kleine, von einem Mr. Grattann, an besagten Fuß, 1840, angeschlagene kleine Metallplatte kenntlich. Letztere nehmlich, enthält folgende Inschrift:
„C. M. von Weber
ob: June 5. 1826.
Vixi, scripsi, dixi.
This humble
Inscription was affixed as a tribute of respect
to
the genius of this great Composer. Jan.
1840. by H. W. Grattann.“
| Die Einrichtung der Grüfte und der Beisetzung in Moorfieldschapel ist übrigens der, in den andern Kirchen aller Confeßionen in London selbst, ganz gleich, so wie ebenfalls der Umstand eines überfüllten kleinen Kirchhofs. Erst seit wenig Jahren, sind in den Umgebungen der Stadt, Gottes Aecker, und zwar wie jedes größere hiesige Unternehmen, durch Compagnien und auf Actien, angelegt worden. Auch in diesen, giebt es Catacomben, welcher Umstand den Angehörigen der Verstorbenen, die Wahl zwischen Beisetzung und gewöhnlicher Beerdigung frei stellt. Diese größeren im Freien gelegenen Gottes Aecker, werden jetzt von allen Seiten vorzugsweise benutzt, und so kommt es demnach daß, wiewohl die in Moorfieldschapel eingepfarrte katholische Gemeinde, 30000 Seelen beträgt – in London selbst, sollen 100,000 Katholiken seyn – im Verhältniß, nur sehr wenig Begräbniße und Beisetzungen daselbst Statt finden, und eine Anfüllung der Räume, unter genannter Kirche, wohl noch zwei volle Jahrhunderte erfordern dürfte. Abgesehen davon, daß in den neuen großen Cemeteries außerhalb der Stadt, stets eine besondere Abtheilung des Flächenraums für Katholiken und andre, von der Staats Religion dissidirende, offen gelassen wird, hat die katholische Gemeinde übrigens noch einen kleinen eigenen Gottes Acker in London selbst.
Aus dem Gesagten, welches auf eigne Anschauung, und auf die mir von dem Minister Apostolicus der Moorfields-Capelle mitgetheilten Angaben begründet ist, wollen Ew & geneigtest beurtheilen, welche Glaubwürdigkeit, die Berichte | der Reisenden verdienen, welche von Ueberfüllung und der Gefahr der Räumung der Catacomben unter Moorfields Chapel gesprochen. Es geht ferner hieraus hervor, daß die Art der Bestattung der irdischen Hülle Carl Maria von Webers, von der zur Zeit des Todes desselben, in der Mehrzahl der Fälle, bei wohlhabenderen oder ausgezeichneteren Mitgliedern der hiesigen katholischen Gemeinde üblichen Bestattungsweise, keineswegs verschieden war. Die Rücksicht endlich, auf die Möglichkeit einer späteren Zurückwünschung der irdischen Ueberreste nach Deutschland, dürfte sich den, sich der Bestattung 1826, unterziehenden Personen demnach weniger stark aufgedrungen haben, als dies demjenigen Theile des deutschen Publicums erscheinen dürfte, welchem unbekannt ist, daß Beisetzung früher, die hier gewöhnliche Bestattungsweise in den höhern Classen war, und daß ein bleierner Sarg, die unerläßliche Bedingung der Zulaßung eines Todten zu den Catacomben ist.
Allerdings aber, wird durch die im Jahre 1826 bei Bestattung Webers beobachteten, durchaus nicht außergewöhnlichen Maaßregeln, die Möglichkeit sehr anschaulich, die Ueberreste des großen Tonkünstlers – sollte hierauf wirklich bestanden werden, – nach Deutschland zurückzuführen, und ich habe bereits die Versicherung erhalten, daß von Seiten der geistlichen Behörde gedachter Capelle, der Entfernung des bewußten Sarges, zum Behuf anderweiter Bestattung, sey es in Deutschland, oder hier, kein Hinderniß entgegengesetzt werden solle. Nun ist, für den Fall eines Trans|portes nach Deutschland, der Kostenpunkt auch, in sofern, einer besondern Beobachtung werth, als bei dem bestehenden Vorurtheil, gegen Einschiffung eines todten Körpers, der Widerwille und Aberglaube aller Capitains und Seeleute, nur durch bedeutende Zahlung aufgewogen werden kann, während es, unter den bewußten Umständen, mit der, dem Todten zu zollenden Ehre wenig in Einklang stehen würde, dessen Sarg, unter einer falschen Bezeichnung, wie dies bisweilen wirklich geschieht, z. B. als ein Pianoforte an Bord zu geben.
Nach dem, von Seiten der General-Direction der Königlichen musikalischen Capelle an mich erlassenen Schreiben, scheint es aber nothwendig, die Aufregung des Publicums in bewußter Angelegenheit, auf irgend eine Weise zu beschwichtigen, und jedenfalls die Unmöglichkeit, des gänzlichen spurlosen Verschwindens des Andenkens an die Ruhestätte Webers – soweit nicht Stein und Erz selbst dem Gesetze der Verwesung unterliegen – auch für denjenigen anschaulich zu machen, der nicht, wie es hier, dem Publicum, gegen ein kleines Honorar, zu bestimmten Stunden gestattet ist, in die Catacomben hinabsteigen und sich von der Dauerhaftigkeit des, durch die oberwähnte kleine Metallplatte kenntlichen Sarges, überzeugen will. Die einfachste Weise diesen Zweck zu erreichen, dürfte demnach die Errichtung einer Gedächtnißtafel seyn, die, wie dies hier häufig geschieht, um den Beschauer darauf aufmerk|sam zu machen, daß z. B. in den Gewölben unter dem Gebäude, die irdischen Reste des N. N. ihre Ruhestätte haben, sodann in die Wand des Innern der Kapelle oder Kirche eingefügt wird. Als Relief behandelt, kann die Gedächtnißtafel zu einem Monumente ausgedehnt werden, das man nach zuvor empfangenen Dimensionen, sogar in Dresden fertigen und anhersenden könnte. Da dergleichen zu Ausschmückung des Gotteshauses gereichen würde, und die Wände in Moorfieldschapel noch sehr wenig Gedächtnißtafeln aufzuweisen haben, so bin ich überzeugt, daß gedachter Ausweg von der betreffenden katholischen Geistlichkeit und Gemeinde, mit größtem Beifall aufgenommen werden würde.
Sollte jedoch ein, auf Vorhergehendes zu gründender Vorschlag, den Freunden Webers zu wenig dünken, und namentlich die gewünschte Absonderung des Sarges selbst, nicht genug bezwecken, so bleibt endlich noch übrig, dessen Bestattung auf einem der neuen Gottes Aecker, in freier Erde, in einem gemauerten, oder ungemauerten Grabe vorzunehmen, dessen Unverletzbarkeit, auf ewige Zeiten, durch Ankauf des Flächen Raums, den es einnimmt, zu sichern, und auf solches Grab ein mehr oder weniger kostbares Monument zu setzen, dessen Kosten, angeregten Ankauf inbegriffen, sich im wohlfeilsten Falle, auf £ 30. belaufen würden. Für letzteren Preis, dürfte das Monument jedoch von einem gewöhnlichen Grabstein nicht viel abweichen. Sobald das neue | Grab bereitet, könnte der Sarg sodann entweder in aller Stille, oder sogar mit einigen Feierlichkeiten, die allerdings hier sehr kostbar sind, in seine bleibende Ruhestätte gebracht werden. Eine Wiederholung der kirchlichen Ceremonien, ist dazu hingegen, nach der Ansicht des katholischen Geistlichen der Capelle in Moorfields, nicht mehr nöthig.
Der ich mit den Gefühlen ehrerbietigster Hochachtung zu verharren die Ehre habe,
als
Ew. Excellenz
&&
/gez:/ R. von
Gersdorff.
Sr. Excellenz Herrn
Staatsminister
von Zeschau.
&&.
&&.
Dresden.
Apparat
Zusammenfassung
Bericht über die Beisetzungen in den Gruftgewölben der katholischen Kapelle in Moorfields in London, speziell über den Zustand von Webers Sarg und dessen Kennzeichnung; die Geistlichkeit würde eine Überführung nach Deutschland nicht verweigern; über die Schwierigkeiten und Kosten einer Verschiffung des Sargs und verschiedene Möglichkeiten einer Aufwertung der Grabstelle (Gedenktafel in der Gruft oder in der Kapelle; Ankauf einer Grabstelle auf dem Friedhof zur Umbettung und deren Gestaltung)
Incipit
„Um Ew. Exc. in den Stand zu setzen, denjenigen Antrag schnell möglichst zu beantworten“
Verantwortlichkeiten
- Erschließung
- Frank Ziegler
- Übertragung
- Ortrun Landmann
Überlieferung
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Textzeuge: Dresden (D), Sächsisches Hauptstaatsarchiv (D-Dla)
Signatur: Bestand 10711 (Ministerium des Königlichen Hauses), Loc. 50,3F, Bl. 44–47Quellenbeschreibung
- Kanzlistenabschrift als Aktennotiz
- am 10. April 1841 vom sächsischen Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten an das Ministerium des Königlichen Hauses weitergeleitet
Dazugehörige Textwiedergaben
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Königlich privilegirte Berlinische Zeitung, 1841, Beilage zu Nr. 248 (23. Oktober) (Auszüge)
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Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1841, Berlin 1842, S. 83–87 (Auszüge)
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Ortrun Landmann, Wie es zur Weber-Gruft und zum Weber-Denkmal in Dresden kam. Ein Bericht nach Archiv-Akten, in: Weberiana, Heft 24 (2014), S. 39–44
Textkonstitution
Dieser Text wird vorlagengetreu wiedergegeben einschließlich der konfusen Interpunktion (von der nicht gesagt werden kann, ob sie dem Originalschreiben entspricht oder auf das Konto des abschreibenden Kanzlisten kommt).
Einzelstellenerläuterung
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„P. P.“Abk. von „praemissis praemittendis“.