Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Ein Besuch im Narrenhause, oder Bedlam’s Nachbarschaft“ von Theodor Hell am 23. November 1819 (Teil 1 von 2)

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Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden.

Dienstags, am 23. Nov. zum ersten Male: Ein Besuch im Narrenhause, oder Bedlam’s Nachbarschaft, Lustspiel in einem Akt, nach dem Französischen von Theodor Hell.

Was nicht allen kleinern Stücken, womit unsere Bühnen bis zur Ungebühr heimgesucht sind, nachgerühmt werden kann, diese Kleinigkeit erfreute sich eines ausgezeichneten Beifalls. Die Zuschauer schlugen einige Male recht herzhaft die Hände ineinander, was um der Seltenheit willen in unsrer Theaterchronik wohl eine am Rand gemalte Hand mit dem Zeigefinger verdient. Das Stück hat unser Th. Hell nach dem Pariser Vaudeville Une visite à Bedlam frei bearbeitet und für die unterzeichnenden Bühnen als Manuscript in der Bühne der Ausländer 1818 im dritten Bande abdrucken lassen. Die Couplets sind geblieben, müssen aber hier von den Schauspielern bloß recitirt werden. Man muß es dem Franzosen nicht übel nehmen, daß er ein Asylum, eine Privatanstalt für Geistesverir[r]te, dergleichen es in und um London jetzt einige 20 giebt,*) ein Bedlam betitelt und den berühmten Doctor Willis zum Unternehmer macht. Die Situation ist wahrhaft ergötzlich. Ein Graf Rosenau ist seiner Frau gleich in den ersten Flitterwochen entlaufen, findet sie jetzt auf dem Gute ihres Oheims in der Nachbarschaft des Narrenhauses wieder, hält den Landsitz für das wirkliche Narreninstitut, und seine Amalie, die sich, um den verstockten Sünder zu bekehren, wahnsinnig stellt, für eine Bewohnerin des Narrenhauses, entdeckt den Ir[r]thum und ängstigt nun wieder auf seiner Seite seine indeß ausgesöhnte Gattin durch vorgebliche Geistesverwirrung, bis zuletzt alles ausgeglichen wird. Ein italienischer Kapellmeister, welcher der Gräfin Stunden giebt und Arien zueignet, macht den Grazioso des Stücks, und ein sich klug dünkender Pinsel, der Gärtnerbursche Tom, würzt diese Allerleischüssel mit einigem Knoblauch. Die Situation eines verstellten Wahnsinns ist sehr alt, aber selten zu so ächtkomischen Scenen gebraucht worden, als hier. Kotzebue hat den wahren Wahnsinn in’s Lächerliche gezeichnet. Dieß empört aber alles moralische Gefühl. Nur als eine Doppelmaske, wie hier, kann es ohne Verletzung des sittlichen Zartgefühls der Zuschauer einen wahrhaft fröhlichen Eindruck hinterlassen. Es wurde aber auch mit Lust und wahrer Munterkeit gespielt. Und Lust erzeugt Lust.

Wenn wir sagen, daß die sich wahnsinnig stellende junge Gräfin von Mad. Schirmer, der Gleiches mit Gleichem vergeltende Graf von Hrn. Julius, der Kapellmeister Crescendo aber von ¦ einem verdienten Veteran unsrer itallenischen Bühne, Hrn. Bassi gespielt, und daß die zwei andern Nebenfiguren, der Baron und der Gärtner, von den Herren Schirmer und Geiling in gute Gleichung gebracht wurden, so reicht dieß vollkommen zu, um den Beifall eines Stücks zu erklären, das mit Einsicht dem Französischen nachgebildet wurde, und Gehalt genug hat, um ihm bei wiederholter Aufführung eine willkommene Aufnahme zu sichern. Wir können es allen Bühnen aufrichtig empfehlen. Um nur gleich von dem ergötzlichen Kapellmeister zu sprechen, so bewieß Hr. Bassi (beim ersten Eintritt durch das Ungewohnte etwas verlegen) sich schon dadurch als einen Meister, daß er bei den süßesten Ekstasen seiner musikalischen Begeisterung und holden Selbstgefälligkeit die Sache doch nie bis zur Carricatur trieb, welches in dieser Umgebung nur ein schreiender Mißlaut gewesen wäre. Daher war auch sein Anzug elegant, sein Mienenspiel zierlich, seine Bewegungen und Geberden zwar südlich-rasch, aber doch stets gefällig. Die Behaglichkeit, die über sein ganzes Wesen ausgebreitet war, seine Zudringlichkeit, die nicht den hungernden Glücksritter, sondern den in sich selbst seligen Virtuosen characterisirte, machte verdientes Glück. Wie süß sprach er seinen che gusto aus, wie bezeichnete er die Instrumentirung und die glücklich erhaschten Octaven! Wie ächt komisch das Auspacken seiner Beglaubigungen und die Angst, als ihn der Scheinbar-Tolle packt. In einer solchen Rolle läßt sich vieles hinzusetzen und in dell’ arte hinzu improvisiren. Wir bitten Hrn. Bassi, damit noch freigebiger zu seyn, auch das fremdartige der Aussprache noch mehr hervorzuheben. Manches, wie das entscheidende bezahlt am Schlusse der ersten Couplets, wird bei größerer Sicherheit des ersten Auftretens noch stärker gehoben werden! – Mad. Schirmer durchlief in dieser kleinen aber dankbaren Rolle die ganze Stufenleiter eines Spiels, worin zum Anfang die gereizte Weiblichkeit, dann die bis zum Wahnsinn gesteigerte Zuneigung gegen einen Ungetreuen, dann Angst und Entsetzen über die rasende Liebe des Geliebten so gegeben wurde, daß darin immer das Lustspiel sein Recht behauptete und was sonst tragisch geworden wäre, immer nur als Scherz erschien. Man hört gleich in der ersten Erzählung an den Oheim, die sie mit der anmuthigsten Lebendigkeit sprach, daß es ihr mit dem Haß des Flüchtlings nicht ganz Ernst sey, ja selbst die Liebkosungen, womit sie das Onkelchen überhäuft, sind Zärtlichkeiten, die nur unter einer falschen Addresse abgegeben werden. Und so muß es seyn, wenn Einheit in diese Empfindlichkeiten eines eiteln, doch nicht bösartigen Weiberkops gebracht werden soll. Sie will den Treulosen zu ihren Füßen liegen sehn. Aber wie scherzhaft ist dabei ihr Spiel. Sie parodirt hier gleichsam die hochfahrende Donna Diana, aber es ist nur Ernst im Anklang, nicht im Wesen. Schade, daß das Couplet, welches endet: „ich blick ihn an und laß ihn liegen,“ wegblieb!

(Der Beschluß folgt.)

[Originale Fußnoten]

  • *) Ein Beispiel, zu welchen Mißbräuchen diese keiner Polizei unterliegenden Irrenanstalten, die Privatpersonen unternehmen, führen können, giebt Fischer’s Reise von Livorno nach London. (Leipzig, Hartknoch 1819.) S. 467 ff.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Ein Besuch im Narrenhause, oder Bedlam’s Nachbarschaft“ von Theodor Hell am 23. November 1819 (Teil 1 von 2). Der Beschluss folgt in der nächsten Ausgabe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 291 (6. Dezember 1819), Bl. 2v

Textkonstitution

  • „itallenischen“sic!

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