Aufführungsbesprechung Berlin: „König Yngurd“ von Adolf Müllner, 1817

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Korrespondenz-Nachrichten.

Endlich erfolgte auch auf dem hiesigen Theater die erste Vorstellung von A. Müllners Trauerspiel „König Ingurd“, nachdem das Gespräch und die Zeitschriften allerley Ursachen angegeben hatten, welche den Glauben erregen konnten, daß der Erscheinung dieser hochverdienstlichen Dichtung auf unsrer Bühne Hindernisse entgegen ständen. Nachdem man fürerst nur sah, musste begriffen werden, daß die Vorbereitungen zur Aufführung schon hinlänglichen Grund zu der Zögerung gaben, denn die mannigfachen schwierigen neuen Dekorationen und die zahlreichen prachtvollen Costüme nahmen allerdings einen bedeutenden Zeitraum in Anspruch, und wer Kenntniß bekam von der ausgezeichneten Sorgfalt, mit der alles geleitet wurde, wird dem angelegentlichsten Willen der Intendantur das beste Zeugniß geben. – Verwundert sahen wir das Stück in vier Akten aufgekündigt; es waren der erste und zweyte Akt zusammengezogen, manche Stellen noch gekürzt und dennoch spielte es bis dreyviertel auf Eilf. Rühmlich muß man es der Versammlung nachsagen: daß sie (außer in den, durch Verändern der Dekorationen sehr lang werdenden Zwischenakten) mit der vollsten Ruhe aushielt, bis zu Ingurd’s Tode, und es scheint mir, daß da und nach dem huldigenden Ausruf der Umgebung der Schluß seyn könnte, weil die Rede Alfe’s ohnehin verloren geht und der Denkende sie schon in sich findet. – Ich will nun meine bescheidene Meinung äußern über dieses Werk, das ich verehre, ob ich auch nicht überall befreundet bin mit dem Streben, welches dadurch vielleicht noch weiter für die deutsche Bühne angeregt wird. Spanische Form und Shakespearescher Wille herrschen deutlich vor, und wenn auch Beydes die höchste Achtung mit Recht für sich fordert, vermisst man doch die Eigenthühmlichkeit, welche allein den Deutschen eine klassische Bühne ersteugen könnte, und Müllner hat, mit seinem herrlichen Talente, nach meiner Ansicht, die Pflicht, sie diesem Ziele näher zu führen. Lebte Shakespeare jetzt, er würde sich gewiß andre Motive für seine Werke wählen, als Traum, Ahnung und Aberglauben überhaupt; er würde sich dem eben lebenden Geschlechte nicht entfremden durch Einwebungen, welche die hinreißende Täuschung ganz aufheben, die allein uns fortreißen kann, die Gränze zwischen Spiel und Wirklichkeit nicht mehr zu sehen und mitfühlend dem Dichter uns ganz hinzugeben. Wohl ist es schwieriger, den Menschen nur aus hellem Innern heraus, nicht angeweht von Sage und zu leichtem Wahn, dichterisch zu gestalten; in solchen verstreuten, nirgend geietenden Ideen hat man sich zuviel erlaubt, als das nicht alles erlaubt, seyn sollte, und so ist es der leichteste, sicherste Weg, einer festhaltenden Beurtheilung zu entkommen, denn diese ist fertig, sobald sie den Grund des ganzen dichterischen Baues erschütterte, indem sie dessen Tendenz ihre Zustimmung verweigert: weil auch die schönste Erweckung einer todten Zeit doch nur eine flüchtige Geister-Erscheinung seyn kann. Auf solchen standpunkt gestellt, vermöchte man nur an Einzelheiten in den Charaktern, an schöner Form und tiefengreifenden Aussprüchen eines weitragenden Denkens sich zu erfreuen; anders aber ist es freylich, wenn man mit der Tendenz einverstanden ist. Wenn ich mich aus meinen Gefühlen und meinem Erkennen herausreiße, – was Jedem in etwas möglich seyn muß, will er sich gegen Untergang in eigener Beschränkung schirmen – dann vermag ich zu glauben: daß man in dem ganzen Werke ein ganzes finde, darum gebe ich alles hier Gesagte nur als mein Empfinden. Wie innig aber dieses mir angehört, ¦ beweis’ ich damit, daß unter allen Persönlichkeiten der Dichtung mich der Schotte Marduff am höchsten aufgeregr hat; ein Mensch, der rein im Kampfe unabwendbarer Behältnisse sinkt, ist ein so grauser Stoff, daß nichts Höheres für die Tragik gefunden werden kann, und so erschien mir alles neben ihm geringer, während ich gespannt ihn verfolgte, und sein Geschick mir alles chimärische Treiben dem Sinne entschob. Das sind nun Ansichten, die man Keinem nehmen kann, noch über deren Verschiedenheit zürnen darf; doch will ich ihre weitere Entwickelung hemmen, weil ich sonst zu breit werden möchte und eine Zeitschrift mannigfachen Inhalts kann doch nur andeutend seyn. – Die Besetzung, welche, wegen der vielen Personen, nicht leicht ist, genügte im Allgemeinen und das Publikum zeigte sich zwar nicht sehr erwärmt, doch mein’ ich überall eine ernste Anschauung bemerkt zu haben.

[…]Gtz.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Aida Amiryan-Stein

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 10, Nr. 151 (25. Juni 1817), S. 604

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