Ueber die Oper Euryanthe (Teil 3/5)
Ueber die Oper Euryanthe.
Von A. Wendt.
(Fortsetzung.)
Im kräftigen Contraste mit ihr tritt darauf Eglantine, die Heuchlerin, auf. Bezeichnend ist schon die Schlangenwindung in der Figur, welche den Violinen bei ihrem Auftreten gegeben ist, und welche selbst späterhin öfters, Eglantinens Rede begleitend, wiederkehrt. Von dem Dresdner Orchester wurde dieselbe mit der trefflichsten Bindung ausgeführt. Die Deklamation ihrer Reden in dem hier folgenden Recitativ ist meistens trefflich und hat durchaus etwas Fragendes, Lauschendes. Ein schöner Zug dünkt es mich auch zu seyn, daß in der Stelle, wo Euryanthe von dem ersten Entstehen ihrer Liebe spricht, in der Begleitung schon die Melodie zu hören ist, welche späterhin zu den Worten: „hin nimm die Seele mein“ gesungen wird. Im Ganzen aber ermüdet dieses Recitativ etwas, und wahrscheinlich darum, weil die Modulation in demselben etwas umherschweifend ist. – Eglantinens heftiger Charakter, der auch durch die Eintritte scharfer Akkorde im Recitativ bezeichnet wird, entwickelt sich noch mehr in der Arie aus E moll, in welchem sie zuerst den heftigsten, fast verzweifelnden Schmerz über Euryanthens Mißtrauen, dann aber mit künstlicher Fassung eine schwärmerisch innige Anhänglichkeit an diese heuchelt. Verstellung kann eigentlich kein Tonsetzer ausdrücken, weil er nur Positives darstellen kann; der Tonsetzer der Euryanthe konnte daher nur die Unruhe und Zerrissenheit eines leidenschaftlichen Weibes im Allgemeines schildern, und es war übrigens höchst verständig, daß er die Bewegung dieser Arie durch den Zusatz „non presto“ bezeichnete, weil, wo Verstellung herrscht, der Ausdruck nicht den höchsten Grad der Stärke annehmen kann. Das Uebrige muß die Darstellerin der Eglantine durch Vortrag und mimische Mittel ergänzen.
In dem folgenden großen Recitativ, in welchem Euryanthe der Lauschenden ihr Herz öffnet, der Geist angekündigt, (C moll) und zu den feierlich gehaltenen, düstern Tönen der gedämpften Geigen sein Geheimniß entdeckt wird, dann Eglantine ihre Freude über diese Entdeckung so unverstellt hervortreten läßt, daß Euryanthe vor ihr erschrickt, ist wahrhaft dramatische Wirkung und lebendiges Fortschreiten. Um den Mangel an dramatischer Motivirung, wovon ich im Eingange gesprochen, kümmert sich hier der Tonsetzer nicht, und er hat einen starken Effekt dabei gewonnen. Im folgenden Duett beruhigt Eglantine zuerst die bange Freundin wieder, dann folgt die gegenseitige Versicherung der Freundschaft. Ich kann dieses Stück, wie sehr auch der Schluß dem Ohr gefällt, besonders wenn es gut vorgetragen wird, nicht zu den gelungensten Stücken der Oper rechnen. Es besteht, meiner Ansicht nach, aus zwei Gegensätzen, die nicht gut verbunden sind. In dem ersten Satz, wo Euryanthens bange Ahnung ausgedrückt werden sollte, sieht man gleichsam die bösen Geister dem Abgrund entsteigen, und nach einem kurzen, nicht sehr bedeutenden Uebergange auf den Worten: „Trost der Liebe, süß bist du!“ ist Euryanthens Bangigkeit auf einmal in die reinste Heiterkeit (A dur Allegretto grazioso) verwandelt; heitere Terzengänge treten ein, und unser Tonsetzer bleibt gegen seine Gewohnheit, lange bei den Worten stehen.
Nach Euryanthens Abgang bricht Eglantinens wahre Empfindung nun unverhalten aus. Der träumerische Gedanke mit dem Geliebten verbunden zu seyn, weicht der bittern Erinnerung der einst von ihm erlittenen Verschmähung, und diese treibt die Gluth der wilden Rache ¦ hervor. Dieß ist der Gegenstand der folgenden Scene. Sie ist ein Meisterstück der Schilderung, von Lysiart kaum zu überbieten, und verlangt nebenbei eine Bravour und Stärke der Stimme, welche selten ist, da in der Instrumentation der Tonsetzer sehr stark aufgetragen hat. Eglantinens Racheruf verhallt, die Musik geht in fröhliche Töne über, und das Finale aus D dur[,] eines der gefälligsten und und‡ melodiereichsten Stücke, welche Weber gedichtet hat, folgt. Leichte Fröhlichkeit und ritterliches Gepränge verbinden sich in den leichten Rhythmen, welche dasselbe einleiten. Im Gesange sondern sich die Ritter von der Weise der Landleute trefflich ab. In dem darauf folgenden sich frei bewegenden Zwischensatze ist die ritterliche Schmeichelei Lysiarts, welchen Euryanthe in das Schloß ladet, vornehmlich gut ausgedrückt. Sonst hat dieser Satz etwas Zerstreutes. Man eilt zu dem graziösen Allegretto, ein auch im Satz sehr melodisch ausgebildetes Musikstück, zu kommen, mit welchem dieser Akt schließt, – wie die Dichterin hier geeilt zu haben scheint; und man nimmt die schöne, heitere Musik gern und willig auf, obgleich dieses Schlußstück ausgeführter ist, als die ganze Anlage der Handlung vielleicht erfordern möchte, und Weber sonst auszuführen pflegt.
Der zweite Akt beginnt mit einem Ritornell von düsterm, unruhigen Charakter, welches die große Scene Lysiarts einleitet. Der Ausdruck darin ist sprechend für den Gemüthszustand desselben. Euryanthe hat auf ihn unerwartet einen Eindruck gemacht, der ihm die schwarzen Schatten seines Innern um so schreckender zeigt. Er hat die Fassung verloren, den vermessenen Anschlag auszuführen. Seine Einbildungskraft stellt ihm das Bild der Tugend und Unschuld vor die Seele. Es tritt ein Augenblick ein, wo auch der frevelnde Sinn die überirdische, alles verklärende Macht der Liebe ahnet, und das wilde Gemüth sich in weichen Klagen löst. Dieser Augenblick ist von Weber mit tiefer, rührender Wahrheit in dem langsamern Satze in G moll geschildert. Aber der Gedanke des Nichtbesitzes ist es, der die wilden Gluthen wieder in der Seele entzündet; und die Vorstellung des fremden Glücks ruft Wuth und Rache hervor. In der letzten Schilderung möchte nach meiner Meinung wohl zu viel gethan worden seyn, theils in den Instrumentaleffekten, wohin ganz besonders die dissonirenden Hörnertöne gehören, theils in der langen Behandlung, indem die letzten beiden Sätze dieser Arie, | der Satz, in welchem er sich „den Rachegewalten weiht“[,] wobei die Violen in der schwierigsten Bewegung sind, und der wüthende Schlußsatz sich leider am längsten in der Grundtonart aufhalten, von welcher die Scene ausgieng (C moll)[,] was unfehlbar monoton werden mußte.
Das folgende Recitativ, in welchem sich Lysiart mit Eglantinen, die mit dem Ring aus der Gruft kommt, zur Rache verbindet, stehe ich nicht an für das trockenste und härteste dieser Oper zu halten. Diese Härte entsteht vielleicht eben dadurch, daß der Componist zuweilen eine neue und von dem gewöhnlichen abweichende Deklamation versucht hat. Um doch Eines anzuführen, so wird es äußerst eintönig, daß der Componist zu häufig die männlichen Ausgangssylben einer Rede zu lang (einen halben auch ganzen Takt) aushalten läßt. Dieß geschieht hier z. B. unmittelbar hinereinander in den Worten: „was willst du mir? – dein düstres Werk vollziehn. – Noch heute selbst du die Freundin elend sehn – und Adolar gestraft der dich gekränkt[“] – (diese drei Reden enden sämmtlich in einem Tone) und: „du hast mir mein Geheimniß abgelauscht“ (was noch überdieß gegen die grammatikalische Betonung ist). Uebrigens könnte wohl der Unterschied beider Charaktere etwas mehr bezeichnet seyn.
In dem Duett spricht sich der gemeinsame Entschluß und die Freude der Rache entschiedener aus. Die schreiende Tonart H dur und die Figuren (selbst die bei Weber beliebten Violinsprünge, die mit den Noten des Grundbaßes nicht immer gut zusammenpassen wollen) sind angemessen gewählt, besonders in dem zweiten Satze, der den Anruf der Nacht enthält, und etwas Geheimes, Furchtbares hat. Trefflich ist der feierliche Uebergang nach Fis dur, dann der überraschende Uebergang nach D dur, worauf das Getös allmählich wieder verhallt, und die Begleitung wieder Fis sucht. Der Rückgang von da in den Grundton scheint eben so willkührlich als umständlich, und kann einem an solche Dinge nicht gewöhnten Ohr schwerlich gefallen. Ich hörte schon einen unbefangenen Laien fragen: ob denn die Musik disharmonische Gefühle disharmonisch darstellen dürfe. Ein Componist antwortete, daß eine solche Situation ja allerdings an der Gränze der Musik liege. Ein Kritiker versetzte: das sey schlimm für die Musik; denn dann habe die Musik für Medeas Wuth und Eglantinens Intrigue nur einen Farbentopf. Die Kürze gebietet mir, dem Leser das Urtheil über diesen kleinen Dialog zu überlassen. ¦
Nun wird es wieder heller, und wir werden Zeugen sanfter Gefühle. Der Componist mußte aber das gellende Rachegefühl erst verhallen lassen, bevor uns Adolar seine Gefühle mittheilen konnte. Zu einem einleitenden Recitativ war kein Text vorhanden; dieß bewog den Componisten ein langes Ritornell des Orchesters dem Gesange vorauszuschicken. Es ist eine sehr zarte, fließende Harmonie, die den Troubadour umspielt, voll Liebesklage, die ein Gefühl leiser Bangigkeit nicht ausschließt; was auch in dem Gesange Adolars sich ausspricht. Aber durch diesen Umstand, der die Stimmung länger festzuhalten nöthigte, wurde vielleicht das Vertrauen „auf Gott und Euryanth“ ein wenig zu sehr in den Hintergrund gestellt; denn es scheint doch – gesagt wird nichts davon – als ob Adolar Euryanthens Ankunft und damit die Entscheidung der Wette eben erwartete. Unübertrefflich hat der Componist uns hier geschildert, wie die Ahnung der Nähe der Geliebten das Herz in feurige Bewegung setzt; (in der Stelle: „Seligkeit, dich faß’ ich kaum“ etc., wo die wogende Bewegung der Instrumente so bedeutsam und die Melodie so innig ist); aber noch höher steigt die Gemüthsbewegung mit dem wirklichen Erscheinen Euryanthens. Hier bedient sich der Componist eines von dem leisesten Piano bis zu dem stärksten Forte fortschreitenden Uebergangs, in welchem die melodische Figur immer höher steigt, und die Harmonie von unbestimmtern Akkorden bis zu dem entschiedensten reinen Dreiklang in C dur forteilt mit mächtiger Wirkung. Er hat sich hier als wahrer Seelenschilderer gezeigt. Das Nahetreten eines bedeutenden, mit dem ganzen Sinn eines Menschen zusammenhängenden Ereignisses, erregt, auch wenn es erwartet und gehofft war, eine Befangenheit, die der Furcht verwandt ist. Die Seele strebt sich davon zu befreien, und kann dieß nur durch Veräußerung. Das Gemüth durchbricht die Beschränkung, und athmet freier. So in der angeführten Stelle, wo der Zuruf der beiden Liebenden nur die Uebereinstimmung in demselben Gefühle ausdrücken soll, und man sich nicht so sehr an die Worte zu stoßen hat, die dasselbe andeuten sollten. Dieses Gefühl spricht sich aber vollkommen aus und erreicht seinen höchsten Gipfel in der außerordentlich rührenden Modulation aus A moll nach B dur, die um so mehr wirkt, weil sie nicht wiederholt wird. Alles hängt hier innerlich zusammen.
(Fortsetzung folgt.)
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Bandur, Markus
Überlieferung
-
Textzeuge: Merkur. Mittheilungen aus Vorräthen der Heimath und der Fremde, für Wissenschaft, Kunst und Leben, Jg. 1825, Nr. 73 (18. Juni), S. 296–298