Chronik Dresden, Hoftheater vom 1. bis 4. März 1819

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Am 1. März. Salomons Urtheil.

Am 2. März. Das Epigramm. Hr. Geyer gab den Hippeldanz und Hr. Hellwig den Klinker.

Am 3. März ließ sich im Theater vor der Darstellung der beiden kleinen angenehmen Stücke: Der Abend am Waldbrunnen, und: die Charade, der Kön. Würtemb. Kammermusikus Hr. N. Kraft mit einem Larghetto nebst Rondo und einem (sogenannten) Boleros, (nicht Paleros) beides von seiner Composition, auf dem Violoncell hören. Wir erkannten in Hrn. K. einen Virtuosen von Talent und ernstem, sorgsamen Studium. Er überwindet große Schwierigkeiten mit vieler Fertigkeit und Gewandtheit, seine Bogenführung ist leicht und rein, und sein Vortrag angenehm und geschmackvoll. Auch sein Ton ist, nicht eben (vorzüglich in der Tiefe) sehr kräftig und gleich, aber angenehm und nicht schneidend noch rauh, wie dies zuweilen auf diesem Instrument der Fall ist. Hierzu kommt, daß in Hinsicht des schönen Tons wohl für jeden Instrumentalvirtuosen (besonders auf einem Saiteninstrument) kein nachtheiligerer Ort seyn kann, um sich hören zu lassen, als auf einem Theater. Die Menge Winkel, Ecken und Oeffnungen, besonders aber die ihn umgebende Leinwand u. s. w. benehmen dem Ton, der im Concertsaal oder im Zimmer hell und sonor klingen würde, unendlich viel an Kraft und Wirkung, welches dem Künstler, zwar bei billigen Richtern, die hierauf die erfoderliche Rücksicht nehmen, nicht zum Vorwurf gereicht, aber doch den Nachtheil erzeugt, daß er nicht ganz so wirken kann, wie er unter andern Umständen es vielleicht würde. Eine Vergleichung mit dem Königl. Preuß. Kapellmeister, Hrn. Bernhard Romberg, den wir einige Tage nachher in einer Academie im Hôtel de Pologne zu hören, die Freude hatten, wäre hier ganz am unrechten Orte und unbillig. Die höchste Vollendung im kleinsten Einzelnen wie im größten Ganzen, die Hr. Romberg uns offenbarte und über welche hinaus nichts mehr zu wünschen, ja wohl kaum noch zu denken ist, kann und soll wohl dem Künstler zwar zum Ideal, nicht aber dem Beurtheiler zum Maaßstabe dienen. Zwischen dem Beginnen und der Vollendung liegen noch unzählbare Grade der Vollkommenheit, und der bedeutende Grad derselben, den Hr. Kraft in seinem Spiel entwickelte, ist wohl vermögend, ihm einen Platz in der Reihe der vorzüglichsten (und eben nicht häufigen) Virtuosen auf diesem schwierigen Instrument zu begründen

F.

Am 4. März. Zum Erstenmale: Vetter Benjamin aus Pohlen. Familien-Gemälde in 5 Akten, von H. Cuno.

Wir haben ja wohl alle oft erlebt, daß bei einem Spaziergange im Frühlinge holde Mädchen Wiesen- und Feldblumen sammelten, sie zu Kränzen und Sträusern banden, und sich damit so lieblich ¦ schmückten, daß sie uns schöner bedünkten, als manche streife Dame mit einem Diamanten-Diadem. So ist mir die Darstellung dieser heitern Kleinigkeit – denn die Zahl der Akte bestimmt doch wohl unmöglich das Gewicht – auch vorgekommen. Was Herr Cuno in seinem Lustspiel – Familien-Gemälde dürfte wohl ein zu vornehmer Titel dafür seyn – gegeben hat, waren anspruchlose Kinder Florens, wie sie nun so freundlich ohne große Pflege und Wartung entblühen, in der Hand eines Bauernburschen wahllos weggerafft, oder gar heillos abgemäht und einer Raufe zum Futter vorgestreut, ohne allen Geruch zu seyn scheinen, aber von Geschmack und Kunstsinn zweckmäßig zusammengestellt, und im heitern Frohsinn oder mit bedeutsamer Innigkeit durch die Haare geflochten, allerdings ergötzen und erfreuen. Und in solche Hände waren sie denn auf unsrer Bühne gekommen, so daß diese Darstellung von Seiten der Künstler zu den gelungensten gerechnet werden konnte. Es ist dieses um so verdienstlicher, je mehr es auf den Bühnen aus der Mode zu kommen scheint, für das einfache Schauspiel den conzentrirten Fleiß, die Lust des Einstudirens, die Gewandtheit der Characterzeichnung anzuwenden, die doch auch hier um so nothwendiger zur Hervorbringung eines erfreulichen Ganzen sind, je weniger der Stoff durch sich selbst das Gemüth erschüttern oder erheben und den Verstand beschäftigen kann.

Ohne uns also auf das Gewebe des Stücks selbst einzulassen, das freilich hie und da gewaltig lose, in der Mitte und gegen das Ende – wo durch dienliche Abkürzungen doch möglichst nachgeholfen war – etwas schleppend, und in seiner Entfaltung nicht ohne auffallende Unnöthigkeiten und Unwahrscheinlichkeiten ist, aber einzelne sehr freundliche Scenen, heitre Geistesblitze, und wie erwähnt, mehrfache Gelegenheit zu interessanter Characterisirung darbietet, wollen wir nur einige Worte über das Verdienst der Darstellenden sagen. Die sogenannte Hauptrolle ist der Vetter Benjamin, aber auch die undankbarste von allen, da sie nichts Ausgezeichnetes hat, sondern nur der Wetzstein ist, an dem sich die übrigen schärfen. Hr. Kanow gab sie mit Innigkeit, Haltung und dem festen Gedächtniß, das überhaupt bei diesem Künstler in allen seinen Rollen so sehr zu loben ist. Nächst ihm greift am meisten der Commis. Rath Krone in die Handlung ein. In dieser Rolle zeigte sich Hr. Pauli, den wir nun mit Vergnügen den unsrigen nennen, als ausgezeichneter Characteristiker, und erhielt auch durch die Wahrheit des Spiels mehr als einmal allgemeinen Beifall. Die Scene, in welcher er den Brief lies’t, der ihm nach und nach von Benjamins Verhältnissen unterrichtet, war mit allem was darauf folgt, ein treffliches Gemälde abwechselnder Gemüthszustände, und die überall hervorleuchtende Gutmüthigkeit, trotz mancher anscheinender Schärfen, gab dem Character seine wahre Individualisirung.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Verfasst von

Zusammenfassung

Chronik Dresden, Hoftheater vom 1. bis 4. März 1819. Dabei der erste Teil einer ausführlichen Besprechung von „Vetter Benjamin aus Polen“ von Cuno. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 67 (19. März 1819), Bl. 2v

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