Anekdoten von Haydn
Anekdoten von Haydn.
Haydn’s zwei größte Vergnügungen in London waren die Aufführungen von Händel’s Oratorien und das sogenannte alte Concert. Er bemerkte aber doch, daß einige dieser Tonsetzungen, die ihn in seinen frühern Jahren entzückt hatten, nach vierzig Jahren gewaltig von ihrem Einflusse einbüßten. Mit schwerzlicher‡ Zartheit legte er seine Entdeckung an den Tag. „Es ist ungefähr so,“ sagte er: „wie wenn man nach 40 Jahren das Angesicht eines weiblichen Wesens wieder sieht, daß man einst liebte.“ Haydn besuchte London 1794 zum zweitenmale und Gallini*, der Impressar des Haymarkettheaters, engagirte ihn, eine Oper, Orpheus und Euridice, zu schreiben, die in aller Art das Muster von Glanz seyn sollte. Aber Gallini hatte Schwierigkeiten wegen seines Patents zu erdulden, und Haydn, der die Eingezogenheit liebte, sehnte sich nach Hause, so daß er auch mit einigen Bruchstücken aus dieser Oper nach Oestreich zurückkehrte und es nie wieder verließ. Bis zu seiner Abreise war er oft mit der Billington* in Gesellschaft und hatte sie sehr gern. Eines Tages traf er sie bei Josua Reynolds*, der sie als Cäcilia gemalt hatte, wie sie, nach der Legende, auf den Gesang der Engel hört. Die Billington zeigte ihm das Bild. „Es ist ähnlich“, sagte Haydn: „aber ich finde einen großen Fehler darin.“ „Und der wäre?“ rief Reynolds, von seinem Gemälde sehr eingenommen. „Sie haben“, entgegnete mit einer anmuthigen Verbeugung Haydn: „Sie haben die Sängerin gemalt, wie sie den Engeln zuhört, Sie ¦ hätten sie malen sollen, wie die Engel ihr zuhören.“ Die Billington war nicht so fremd, um nicht diesen Weyrauch mit Entzücken anzunehmen, und fiel Haydn à la française um den Hals.
Einer der englischen Prinzen hatte Haydn gebeten, Reynolds zu sitzen. Bei der ersten Sitzung schlief der große Musiker fast ein. Reynolds, dem an seinem Ruhme gelegen war, wollte ihn nicht mit diesem Schafgesichte malen, da natürlich jedermann hohen Genius in Haydn’s Physiognomie erwartete. Er hob also die Sitzung auf. Bei der zweiten ging es nicht besser. Kaum waren die ersten Unterhaltungsgespräche vorüber, so spannten sich Haydn’s Gesichtzüge ab, und die Langeweile prägte sich deutlich darin aus. Reynolds ging zu dem Prinzen und sagte ihm, daß er das Bild unmöglich ähnlich malen könne. Der Prinz, mit einem Scharfsinne, der in den Annalen königlicher Gedanken der Aufbewahrung werth ist, sandte ein schönes, deutsches Hoffräulein der Königin mit zu der nächsten Sitzung. Kaum saß Haydn vor der Leinwand, als er wieder schläfrig ward; da zog Reynolds einen Vorhang weg, und hinter diesem stand ein schönes Mädchen, weiß gekleidet, mit einem Kranze von Rosen in den Haaren. Haydn hätte sie fast für eine Erscheinung der Polyhymnia gehalten. Sie drückte ihm ihr Vergnügen an seiner Bekanntschaft aus, und das noch dazu in seiner vaterländischen Sprache. Sein Gesicht erheiterte, verklärte sich, er sah nun aus, wie ein Mann von Genie, und Reynolds schuf ein unübertreffliches Gemälde
Th. Hell.Apparat
Zusammenfassung
Anekdoten von Haydn
Entstehung
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Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 256 (26. Oktober 1819), Bl. 2r
Textkonstitution
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„schwerzlicher“sic!
Einzelstellenerläuterung
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„… er oft mit der Billington“Elizabeth Billington (1765/68–1818), Sängerin.
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„… er sie bei Josua Reynolds“Joshua Reynolds (1723–1792).