Beurteilungen zu Morlacchis Oratorium „Isacco figura del redentore“ vom 5. April 1817
Beurtheilungen.
Ueber das neue Morlacchische Oratorium.
Von mehrern Freunden dieser Blätter aufgefordert, über das vom Herrn Kapellmeister Morlacchi in Musik gesetzte Oratorium, welches am Oster-Sonnabend in der hiesigen katholischen Kirche aufgeführt wurde, unser unpartheiisches Urtheil zu sagen, weigern wir uns dessen um so weniger, da diese Tonsetzung ein Werk hervorbrachte, welches seinem Verfasser die größte Ehre macht. Zwar können wir nicht läugnen, daß die hin und wieder vorkommenden zu häufigen Wiederholungen mancher an sich schönen Stellen, dem Zuhörer etwas lästig werden, und so den angenehmen Eindruck, den sie auf ihn gemacht, die Rührung, die sie in seinem Gemüth bewirkt hatten, wieder schwächen, woran freilich der, von Begeisterung hingerissene Compositeur weniger dachte; dessen ungeachtet aber bleibt seine Musik ein sehr schönes und kühnes Werk. Schön und kühn nennen wir es, weil der Compositeur, der einen so großen Vorgänger hatte wie Cimarosa war, die übernommene Arbeit mit Feuer, Geschicklichkeit und Originalität vollendete. Gegen die wirklich schöne Sinfonie ist nur in der Rücksicht etwas einzuwenden, daß sie nicht für einen so ernsten und erhabenen kirchlichen Gegenstand paßt, sondern sich hin und wieder den Compositionen für das Theater nähert. Der Rhythmus, welchen der Tonsetzer bei den Recitativen angewendet hat, erschwert sie allerdings, giebt ihnen aber auch einen neuen Reiz. Das Recitativ des Abraham: Ah, come è con quai voci u. s. w., erhebt sich kraftvoll und zu dem Sinne des Textes passend. Die von blasenden Instrumenten begleitete Arie des Engels ist voll Ausdruck und Harmonie. Trefflich und voll Rührung ist im Recitative Abrahams bei den Worten mà nel tremendo passo assistimi; ò Signor, seine Empfindung ausgedrückt, und durch das schöne Duett Abrahams und Sara’s, wozu er die Worte des Engels wählte, und sie in reinen Gesang und herrliche Begleitung der Instrumente setzte, hat er sich ein neues Verdienst erworben.
Abrahams Arie, worin dieser Sara ermahnt, sich zu beruhigen, und welche mit sanfter Harmonie in B dur beginnt, sich stufenweise erhebend, ist einer der ausgezeichnetsten Theile des Oratoriums. Rührend ist Sara’s Recitativ, vorzüglich schön aber Isaaks, vom Violoncell begleitetes Solo. Reinen und richtigen Styl geistlicher Musik bemerkt der Zuhörer mit Vergnügen in dem Chore o figlia d’umiltà. Ohne die zu öftere Wiederholung würde das Allegro finale jedoch kräftiger gewesen seyn.
Im zweiten Theile zeigte der Herr Kapellmeister vorzüglich seinen Muth dadurch, daß er mit seinem Vorgänger in der Scene Chi per pietà mi dice und der Arie Deh! parlato etc. kämpfte, zugleich bewieß er aber auch seine Kunst, Sara’s Seelenbestimmung durch seine Musik auszudrücken. Was Gamari’s Arie betrifft, so fanden wir sie dem Texte und der Stimmung, in welcher sich Abraham befand, als er seinen Sohn opfern sollte, welches Gamari der Sara erzählt, nichts weniger als angemessen; Abrahams Arie aber, war es vollkommen. In der Imitation im Unisono mit 4 Stimmen, mit den Worten: Ah! benedetto sia, clementissimo Dio etc., welche vom Chor beschlossen wird, erreichte der Tonsetzer den bezweckten Eindruck nicht ganz.
Trefflich ist die Erscheinung des Engels ausge ¦ drückt, das Harfen-Accompagnement und die blasenden Instrumente bringen die süßeste Rührung hervor, und Abrahams letzte Scene versetzt den Zuhörer in gleiche Stimmung.
Das Oratorium wurde von den Sängern Herrn Sassaroli, als Engel und Sara, Herrn Buccolini, als Isaak, Herrn Benelli, als Abraham, und Herrn Benincasa, als Gamari, und vom Orchester mit der größten Genauigkeit und Thätigkeit, so wie auch mit theilnehmendem Gefühl, aufgeführt; jeder einzelne Künstler beeiferte sich seiner Kunst, so wie dem Compositeur, Ehre zu machen. Letzterer wird selbst durch die wenigen Bemerkungen, die wir über das, was uns in seiner Musik nicht ganz richtig und vollkommen schien, gemacht haben, überzeugt werden, daß nicht Schmeichelei, sondern Wahrheitsliebe, diese Zeilen schrieb.
L.
Apparat
Zusammenfassung
Beurteilung: „Isacco, figura del redentore“ Oratorium von Francesco Morlacchi (aufgeführt in Dresden 5. 4.1817)
Entstehung
vor 6. Mai 1817
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Hafenstein, Deborah
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 108 (6. Mai 1817), Bl. 2v