Correspondenz-Nachrichten aus Prag vom 18. September 1817
Prag, am 18. September 1817.
Eine der wichtigsten Neuigkeiten auf unserer Bühne ist Moses von Klingemann, welcher von der Direktion so reichlich mit Dekorationen und Garderobe ausgestattet worden ist, daß er wohl schmerzlich seinen Saldo zu decken im Stande seyn wird. Er wird hier nach der Wiener Bearbeitung gegeben, mit Chören und großer Pracht. Ob das eigentliche Werk dadurch gewonnen habe? mögen die entscheiden, welche es unverändert gesehen haben; so, wie es ist, machte es wenig Wirkung, und nur die sehr schönen Dekorationen erfreuten sich großer Theilnahme des Publikums. Herr Zwick, Königl. Sächs. Hofschauspieler, gab noch drei Gastrollen, den Schiffskapitain im Bruderzwist, den Obristen im Kind der Liebe, und den Hausmeister im neuen Sonntagskind. Wir lernten in ihm immer mehr den denkenden Künstler kennen, dessen große Bescheidenheit und reger Kunstsinn dafür bürgen, daß er nicht aufhören wird, nach Vollkommenheit zu streben. Die letztgenannte Oper war sein Benefice, aber weniger besucht, als man bei der großen Theilnahme, die der Landsmann erregt hatte, gehofft. Es hat sich leider getroffen, daß von allen Einnahmen des vorigen Jahres, Hanns Klachl, Hieronimus Knicker und der Schuster-Feierabend, beinahe die besuchtesten waren, und hierdurch sind so manche spätere Beneficianten verleitet worden, ähnliche Geistesprodukte zu wählen, worunter das Sonntagskind sich wenigstens durch ächte Komik noch vortheilhaft auszeichnet – doch war Herr Zwick nur in Stücken, und zwar mit einstimmigem Beifall erschienen, die auf einem hohen Standpunkte stehen, und es schien fast, als nehme es ihm ein großer Theil des Publikums übel, daß er sich zum Niedrig-Komischen herabgelassen hatte. Dazu kam, daß die meisten Rollen des Stückes auf eine höchst klägliche Weise besetzt waren, und der Gast von allen seinen Rollen hier am wenigsten unterstützt wurde.
Die beiden Demoisellen Pfeiffer aus München sind hier angekommen, und wir sahen die ältere nur als Emmeline in der Schweizerfamilie, die jüngere aber als Hedwig in Johanna d’Arc und Louise in Kabale und Liebe. Diese machte mehr Glück, als jene, und ist noch allemal vorgerufen worden. Dem. Brand hat den Tyroler Wastel zu ihrer Einnahme gegeben*, und es scheint, als hätte das Publikum – gegen eine Dame galanter – es ihr minder verargt, eine solche Wahl getroffen zu haben, als ihrem Vorgänger, sie hatte ein sehr volles Haus.
¦ Ich meldete Ihnen in meinem letzten Briefe die Ankunft des ausgezeichneten Sängers Siboni, und behielt mir eine Würdigung seiner Leistungen, bis nach Endigung derselben vor. – Wir haben ihn nur als Ferdinand Cortez, Licinius in der Vestalin und Titus gesehen, und jeder Unpartheiische der weiß, was Singen heißt, wird gestehen müssen, daß seine vortreffliche Declamation und Methode ihn sehr erfreut hat. Seine mimische Darstellungsgabe ist von einer Kraft und Lebendigkeit, wie sie auch dem blos rezitirenden Schauspieler selten zu Theil wird, nur wünschten wir zugleich behaupten zu können, daß er ganz frei von italienischer – mit der französischen verwandten – Spielmanier sey, welche wir Deutsche wohl im Gesange, nicht aber in der Action lieben. Am herrlichsten erschien er mir als Titus, wo die unübertrefflichen Mozartschen Recitative seiner richtigen und geschmackvollen Declamationskunst den weitesten Spielraum darboten.
Wir haben seit einigen Wochen – was Prag bisher ganz fehlte – eine sehr frequente Promenade. Die geschmackvollen Anlagen des Baron von Wimmer, dessen Liberalität Prag in dieser Hinsicht so viel verdankt, sind zum Lieblingsspaziergang geworden, seit der gefällige Besitzer einer Gesellschaft von Seiltänzern (welche früher auf der Färberinsel ihr Wesen trieb,) erlaubt hat, sich auf seiner Promenade anzusiedeln, wo sie ihre Vorstellungen und Feuerwerke im Freien geben. Nun strömt (zumal an Sonn- und Feiertagen) Prags elegante und unelegante Welt hinaus,
Als ob die Menschheit auf der Wandrung wäre,Wallfahrtend nach dem – – –So weit Schiller; aber mit dem Himmelreich will es wohl nicht recht gehen, denn ich meine doch, die Gesellschaft ist etwas gar zu bunt und kraus für das Himmelreich!
In der Literatur geht es ziemlich still, außer einigen praktisch-juristischen Werken, einer Geschichte der Polizei von dem Ober-Polizeikommissär J. Konrad, und dem Entwurf einer Anleitung zur Wechselwirthschaft von Fischer, dürfte in der letzten Zeit wohl das neueste Werk von dem Kreuzherrn-Commandeur J. J. Natter, Predigten über Tod und Grab, die wichtigste Erscheinung seyn; eine reine und gediegene Religion spricht sich in denselben aus, und vorzüglich dürften die ersten vier Predigten über die Todesfurcht allen katholischen und nicht-katholischen Lesern anzuempfehlen seyn. Das Ganze gehört unstreitig unter die wichtigsten theologischen Werke unsrer Zeit.
Apparat
Zusammenfassung
Aufführungsbericht Prag: „Moses“ von Klingemann am 18. 9. 1817 / andere Neuigkeiten
Entstehung
vor 25. Oktober 1817
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 256 (25. Oktober 1817), Bl. 2v
Einzelstellenerläuterung
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„… Wastel zu ihrer Einnahme gegeben“Als Benefiz spielte Caroline Brandt in der Premiere der Neueinstudierung des Werks am 17. September 1817 die Lisa.