Correspondenz-Nachrichten aus Leipzig vom 28. Oktober 1817
Ich setze mich in der Stunde, in welcher vor vier Jahren der Himmel von Kriegsfeuern geröthet war, und aller Herzen vor Furcht und Erwartung brannten, in gemüthlicher Bequemlichkeit und Ruhe an meinem Schreibtisch, nicht um Ihnen zu schreiben, was Sie schon von selbst wissen, daß es heute ganz anders um und neben uns ist, sondern was jedem Sachsen eine willkommene Nachricht seyn wird, daß unsere Michaelismesse zum erstenmale wieder zur Zufriedenheit des Handelsstandes geschlossen worden ist, und wahrscheinlich auch auf die sächsischen Gewerbe gute Nachwirkungen äußern wird. Die Bewegung der Fremden war vorzüglich in den ersten Wochen sehr lebhaft, nahm aber in der letzten schnell ab. Dies nahm man auch an öffentlichen Orten wahr. Im Ganzen gab es diesmal wenig Sehenswürdiges. Das Hörenswürdigste war Buschmanns Terpodion, welches schon durch gewichtigere Stimmen, als die meinige, dem Publikum empfohlen, aber darum doch nicht nach Verdienst geachtet worden ist. Vielleicht war auch der Preis, für welchen es zu hören war, im Verhältniß zu andern öffentlichen Vergnügungen zu hoch. Der Mangel an Besuchenden nöthigte den Künstler, ein Conzert zu veranstalten, in welchem er sein Instrument mit großem Beifall und vortheilhafterem Erfolg hören ließ.
Das raube Wetter, gespannte Erwartung und der Reiz der Neuheit trieb, zahlreicher als jemals, die Fremden in’s Theater, denn die Stücke, die doch wohl jeder meist schon zu Hause gesehen hatte, zogen wahrscheinlich weniger. Donna Diana, eine recht brave Vorstellung, welche mit Recht jede Woche einmal zum Vorschein kam, macht hiervon eine Ausnahme. Außer Clementine, der Schachmaschine und dem Dorfbarbier, drei früher mindestens nicht schlechter gesehenen Vorstellungen, war alles Wiederholung. Im Johann von Paris debütirte, nach einer langen Krankheit, Mad. Neumann-Sessi als Prizessin von Navarra, auch sang sie in der Folge als Elvira im unterbrochenen Opferfest. Die erstere Parthie ist ihrer Stimme ganz entsprechen, weni¦ger die letztere; auch erfordert diese ein bedeutenderes Spiel, weshalb die verdiente Sängerin in jener einen ungetheiltern Beifall erhielt, als in dieser. – Gastrollen gaben Herr Reinecke vom K. Ständ. Theater in Prag, und Herr Ehlers. Jener stellte zuerst den Canzleidirektor im Epigramm, dann die Rolle des Paul in der Clementine dar, ist darauf engagirt worden, und scheint manche Lücke in ältern Rollen, welche bisher noch bemerkt wurde, gut ausfüllen zu können. Seinem Graf Balken, in der Schachmaschine, fehlte es an innerem Zusammenhang, so wie das ganze Stück durch die vereinigten Bemühungen des Barons und der Baronin Rink und deren Nichte entsetzlich schleppte. Hr. Dupré hat als Karl Ruf mehr geleistet, als man von ihm erwartet hatte, und ist gerufen worden. – Herr Ehlers stellte den Murney im Opferfest als Gastrolle dar. Seine Erscheinung war ungünstig, und sein Gesang, durch Detoniren und falsches Einsetzen, unangenehm. Derselbe gab mir seiner Frau zwei musikalisch-declamatorische Abendunterhaltungen, in welchen er einige artige Liedchen recht artig zur Guitarre vortrug. Madame Ehlers outrirte in der Declamation und sparch zu theatralisch, scheint aber nicht ohne Talent zu seyn. Herr Wurm trug sehr beluftigend eine versificirte Juden-Anekdote, und Dem. Böhler die jüngere das Lob der kleinen von Castelli, recht niedlich vor.
Die gewöhnlichen Winterconzerte scheinen durch das Theater an Theilnahme zu verlieren; aber gewiß mit Unrecht; denn die Instrumentalmusik ist hier am vollkommensten zu hören, und der Conzertgesang scheint doch die eigentliche Sphäre der Mad. Neumann=Sessi zu seyn Um so mehr ist es zu bedauern, daß, wie ich höre, ihr in dieser Messe gegebenes Benefiz-Conzert so wenig unterstützt worden ist. –
In unserm Buchhandel erscheint täglich eine neue, auf das Reformations-Jubiläum Bezug habende Schrift, und manche hat schon unverdienter Weise eine neue Auflage erlebt, weil mehr als man glauben sollte von Sammlern gekauft wird. Die Feier selbst wird einfacher seyn; auch weiß ich nichts von Vorbereitungen dazu.
L.....S.
Apparat
Zusammenfassung
Correspondenz-Nachrichten aus Leipzig: Terpodion
Entstehung
vor 28. Oktober 1817
Überlieferung
-
Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 258 (28. Oktober 1817), Bl. 2v