Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, 23. August 1823

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Theater.

[…]

Ohne uns in die Partheienwuth zu mengen, die jetzt in der musikalischen Welt über deutsche und italienische Componisten herrscht – denn da Euterpe bekanntlich auf zwei Flöten bläset, so bilden wir uns ein, diese Symbolisirung sage: man solle sich die Töne von der einen, wie von der andern Seite behagen lassen – ohne uns also nur für das Eine zu entscheiden, müssen wir gestehen, daß uns „der Freischütz,“ worin, am 23sten August, Mad. Vespermann die „Agathe“ sang, wieder bestimmte, vor uns hin zu sprechen: Nihil est ab omni parte beatum. Sollen wir dies Deutsch umschreiben, so heißt es: In der Oper, wie im Leben, ist zuweilen der erste Akt vortrefflich; im zweiten hinkts dann wohl ein wenig; wenn aber das Ende wieder dem An|fange gleicht, so macht sichs noch. – Wir wollen nicht dekretiren, was man schön finden soll, was nicht; wir sagen aber unsere eigne Meinung, und sie geht dahin: daß wir den zweiten Theil des zweiten Akts von diesem mit Recht beliebten „Freischütz“ weder gedichtet, noch componirt, noch deklamirt, noch gesungen haben möchten. Mit der nämlichen deutschen Aufrichtigkeit (denn darin wollen wir nicht italienisiren!) sey es uns erlaubt, hinzuzufügen: daß, als M. Vespermann bei dieser neuesten Aufführung der Weberschen Oper, mindestens bei der Stelle: "Alle meine Pulse schlagen," eben so, wie neulich in „Johann von Paris“ enthusiastisch beklascht wurde, wir unglücklich genug waren, unsern kleinen Antheil von Beifall zurückhalten zu müssen. – Wo unser geistreicher Weber wirklich in seiner Sphäre ist, da herrscht eine Zartheit, Innigkeit, Liebe und Sentimentalität in seinen Schöpfungen, die man ihm durchaus nachempfinden muß, wenn man sie treffend wiedergeben will. Dies scheint aber Mad. Vespermann, bei aller neulich bewährten großen Gesangs-Virtuosität, entweder nicht zu können, oder wenn sie es kann, so versagte ihr wenigstens diesmal das Herz seine besten Dienste. Gleich die Anfangsworte der Arie übereilte M. Vespermann dermaßen, daß sie durchaus die tiefere Wirkung verfehlen mußten. Die Sicherheit, die sie neulich in der Rolle der „Prinzessin“ zeigte, vermißte man in der dieses einfachen aber seelenvollen Mädchens hier und da auch. Ob sie gleich die Anforderungen der Mimik zum Theil wohl ebenfalls schuldig geblieben seyn möchte, so würde sie doch unfehlbar im Gesange mehr geleistet haben, als sie leistete, wenn sie nicht befangen, ja wirklich verlegen gewesen wäre. Diese Verlegenheit wird, fürchten wir, jederzeit sichtbar werden, sobald man ihr als Schauspielerin zu viel zumuthet, und sobald sie sich außer den Regionen des eigentlichen schulgerechten Gesangs zeigen soll. Wir freuen uns, daß M. Vespermann hier noch einige Rollen singt, die ihr wirklich zusagen und in welchen sie sich ganz heimisch fühlen wird. Ihr Organ gehört bestimmt zu den allervorzüglichsten, und was sie damit zu leisten vermag, wenn sie an rechter Stelle steht, hat sie uns ja bereits hinlänglich bewiesen. – In Hinsicht auf unsern Meister Carl Maria v. Weber freuen wir uns auch, daß er in seiner nächsten Oper „Euryanthe“ (man überzeuge sich aus dem von Frau v. Chezy erneuert herausgegebenen, in vieler Beziehung merkwürdigen Roman mit gleichem Titel) nur Zustände des Gemüths finden kann; er wird hier hoffentlich, nach dem zu urtheilen, was wir von ihm kennen, Höheres leisten, als in der äußeren Effekt-Jagd, wozu der "Freischütz", neben gut gedachten und herrlich componirten Momenten, in dieser Bearbeitung zuweilen verleitet.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Berlin: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 23. August 1823.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Heft 102 (26. August 1823), S. 7–8

Textkonstitution

  • „beklascht“sic!

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