Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 7. März 1822 (Teil 1 von 2)

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Novellistik.

K. K. Theater nächst dem Kärnthner-Thore.

Am 7. diese Monaths hatten wir die Freude, den königl. sächsischen Hof-Capellmeister Herrn Carl Maria von Weber seine Oper "der Freyschütze" selbst dirigiren zu sehn. Ihn in der Mitte des Hofopern-Orchesters, umgeben von lauter Künstlern zu erblicken, die durch ihre kunstmässige Mitwirkung seine Oper zu Tage fördern halfen, die Solo-Sänger mit verdoppelter Begeisterung ihre Parten ausführen zu hören, die feurige Kraft und Präcision des Chors durch seine Direction belebt zu sehen und den Eindruck wahrnehmen, welchen diess alles vereint, auf das zahlreiche versammelte Publicum machte – diess war eine Freude für jeden Gefühlvollen, der die endliche, verspätete Anerkennung eines so ausgezeichneten Talentes als eine, der Wahrheit schuldige Genugthuung betrachten musste.

Weber’s Genius hat seine Kraft und Gefühl schon an mehreren Opern geprüft, welche von der Welt mehr oder weniger beachtet, aber nie mit dem Enthusiasmus aufgenommen wurden, der seinem letzten Werke bis jetzt zu Theil ward. Es mag wohl ein Theil der Schuld in dem weniger interessanten und das Zeitalter nicht ansprechenden Stoffe jener Opern liegen, der auch darum seine musikalische Schöpferkraft nicht in so hohem Grade anregte – als der Freyschütze. Theatralische Zufälle thun eben so viel bey der Aufnahme eines Werkes im Publicum, und deren gibt es sowohl natürliche als künstliche, in grosser Anzahl. Eben so sehr wirkt oft das Vorurtheil gegen den Poetam in Patria, und es ist desshalb dem trefflichen Compositeur Glück zu wünschen, dass in Berlin die königliche Oper unter einem so einsichtsvollen, vorurtheilfreyen, und für alles Gute, sey es nun alt oder neu, so begeisterten Machthaber steht. Denn wer weiss, wie viele Jahre es noch gebraucht hätte, ehe der erste gelungene Versuch die Mitwelt überzeugt hätte, dass es gar nicht übel ist bisweilen einen solchen zu wagen.

Das kunstsinnige Publicum Wiens, welches nun gerade für den Fremden den höchsten Grad von edler Hingebung zu beweisen pflegt, hat ebenfalls schon, manches noch nicht gewürdigte Kunst-Talent in das gehörige Licht gehoben, besonders aber hat es sein Wohlwollen heute dem gefühl- und kunstvollen Melodiendichter, Carl Maria von Weber zu erkennen gegeben. Als er in das Orchester trat, empfing ihn ein Beyfallssturm, wie wir uns nicht erinnern können, gesehen zu haben. Man kann die Fortschritte des Jahrhunderts in Ausübung der Tonkunst unstreitig daraus abnehmen, denn ein Vergleich mit den Zeiten, in welchen Mozart schrieb, wird uns augenscheinlich von der Wahrheit des Gesagten überzeugen. Die Oper hat eine tiefere Wurzel im Herzen der ganzen deutschen Nation gefasst!

Weber’s Direction hat an mehreren Stellen dem Werke einen neuen Reitz verliehen, der nicht sowohl in der Veränderung der Tempo’s, sondern vielmehr in der Nüançirung einzelner Stellen liegt, welche durch charakteristische Unterscheidung gewisse Momente des Drama’s besser vor das Auge des Zuschauers bringen. Es lässt sich denken, dass der Tonsetzer bey der so braven Aufführung unseres Opern-Directors Weigl, durch seine individuelle Anschauung immer noch einige, obgleich kleine Veränderungen nöthig finden konnte, die aber, wohl zu merken, doch nur immer dem Kunstvertrauten bemerkbar sind. Denn wenn der Musiker schreibt: un poco ritardando, so kann leicht der Fall eintreten, dass er sich dasselbe doch noch un poco piu ritardando gedacht hat, als der kunstgerechteste Capellmeister es nimmt. Man sah auch sehr deutlich, wie Weber mit aller Ruhe viele Tonstücke ihren Gang gehen liess, nachdem er durch wenige Tacte einmahl schon den rechten Tact gegeben hatte.

Er verschmäht alles überflüssige Tactiren, und benimmt sich dabey mit grosser Ruhe, zugleich aber haucht er sein geniales Feuer in jede Stelle, welche damit erschaffen wurde.

Was die Markirung seines Tactviertels betrifft, so ist diese sehr präcis und deutlich, doch muss gesagt werden, dass im Crescendo bisweilen die Hand im zweyten Viertel sich fast wieder gerade bis zu der Tiefe herabsenkt, von welcher sie ausgegangen ist. Diess wiederholt sich beym dritten und vierten Viertel. Wer diese Worte in ihrer musikalischen Bedeutung versteht, wird keinen bittern Tadel darin finden. Wir glauben übrigens unsere wahre Hochachtung des Meisters gar nicht besser an den Tag legen zu können, als wenn wir das frey aussprechen, was uns an ihm charakteristisch scheint.

Die Tactirung seines Recitativs ist ausgezeichnet gut, und bey allen Ensemble-Stücken spielt sein lebendiges Auge mit der Geschwindigkeit des Blitzes, um die Einfallenden zu ermuntern und ihrem etwa fragenden Auge zu begegnen. Über alles müssen wir lobend erwähnen die Stille, mit der diess Ganze vor sich geht. Kein Geräusch, kein Klopfen, kein Forterufen, kein Pianoschreyen und dergleichen andere Dinge wird man bey ihm gewahr, sondern er thut seine Pflicht als Capellmeister im edelsten Style.

(Fortsetzung folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung, K. K. Theater nächst dem Kärnthner-Thore: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Montag, 7. März 1822, Weber dirigierte selbst seine Oper „Der Freischütz“.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 6, Nr. 22 (16. März 1822), Sp. 172–174

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