Rezension: Der Freischütz von Carl Maria von Weber

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Noch ein Wort über den Freyschützen *), Oper von Carl Maria von Weber, königl. sächs. Kapellmeister.

So wie der Wanderersgeselle, der die Heimath zum ersten Mahle verläßt, nicht müde wird, sich umzudrehen und auf den Tummelplatz seiner Kindheit, auf den Aufenthalt seiner Lieben gerührte Blicke zu werfen, bis Berge und Wälder dazwischen treten und ihm den freundlichen Anblick des stillen Städtchens entziehen, so können wir, die der vollständige Triumph des Weber’schen Meisterwerkes und die immer sich mehrende Theilnahme des Publikums an demselben innig erfreuet, nicht umhin, die geniale Schöpfung des Tondichters noch einmahl in’s Auge zu fassen und, von einem andern Standorte ausgehend, neue Glanzpunkte in der jüngst aufgegangenenKunstsonne zu suchen.

Was uns vor allen in dieser herrlichen Oper angesprochen, ist die Übereinstimmung und Vereinigung aller Theile zu einem entzückenden, kunstgemäßen Totaleffekt; die im | Ganzen herrschende Einheit, die durch wiederkehrende Sätze nach Art von Cherubini’s Tagen der Gefahr auch dem gemeinern Zuhörer fühlbar wird, endlich die Charakteristik der handelnden Personen, welche durchaus einsichtsvoll gehalten, herrlich durchgeführt ist, und in welcher es der Komponist dem theilweise schwachen Dichter offenbar weit zuvor gethan hat. Maxens nur durch äußere Eindrücke bestimmt werdende Passivität, Agathens ahndungsreiches, aber an elegischer Abspannung laborirendes Gemüth, wie stehen sie nach Lage, Geschlecht, Leidenschaften so verschieden da und doch immer so eins mit sich selbst! wie entfaltet sich ihr Inneres in anziehender Entwickelung durch das Tongebilde und macht selbst vom Dichter vernachlässigte Auftritte interessant! Wie herrlich kontrastiren Kaspar und Anna mit beyden Hauptpersonen; er in frevelnder Lustigkeit, teuflische Rache im Herzen, sie in jugendlichem Frohsinn, den heitern Himmel der Unschuld im Busen bewahrend! Darum spricht sich Kaspar bald in bizarr gemeinen, bald in Tönen verhaltenen Grimmes oder gewaltsam ausbrechender Leidenschaft aus, während Annens Munterkeit in frohe Geschwätzigkeit ausbricht, die sich mit Agathens klagenden Tönen wunderbar lieblich vereint. Die Instrumentirung ist durchaus vorzüglich und zeugt von des Komponisten Einsicht und Kunsterfahrung. Die vier Hörner bringen seltene Effekte hervor; hievon liefern das Ensemblestück des ersten Aktes in C-dur, das Finale des zweyten und der Jägerchor im dritten herrliche Beweise. Die selten, aber mit vieler Umsicht, angewendete Piccoloflöte, schneidend wie ein Hauch der Hölle, begleitet wirkungsvoll Kaspars grausiges Trinklied und wirkt vorzüglich durch einzelne Töne bey der Beschwörungsscene in der Wolfsschlucht zum Totaleindrucke mit. Auch die heterogen in A gestimmte Pauke, die mit dem dumpfen Murmeln der Violen als Repräsentantinn des Teufels, der unsichtbar wandelt auf Erden, dasteht, ergreift das Gemüth und macht es schaudern mitten unter frohen Gegenständen. Vorzügliche Erwähnung verdient die Haltung der Mittelstimmen durch die ganze Oper, die, vom gewöhnlichen Kunstgebrauche ganz abweichend, immer originell hervortreten und dennoch den Gesang nie übertäuben; dieß gilt besonders von den Violoncellen, die sich auch durch Vortrag auszeichnen.

Gehen wir nun das Einzelne durch, so finden wir zuerst in der Ouverture, die bey jeder Vorstellung immer verständlicher hervortritt, ein vollständiges Bild, ein gleichsam erschöpfendes Sachregister des Ganzen; ansprechend gereiht erscheinen, durch die Macht der Instrumente versinnlicht, alle Hauptmomente und, was am meisten zu loben ist, das Tonstück, obwohl aus vielen andern zusammengesetzt, ist in allen seinen Theilen eng verbunden, bildet ein vollständig gerundetes Ganzes. Ganz eigenthümlich ist der Spottchor in G-dur, in welchem zuerst Einzelne den armen Max auslachen, bis sich alle vereinen und mit dem Beklagenswerthen ihren Scherz treiben. Das Publikum verlangt jedes Mahl die Wiederholung dieser herrlichen Nummer, die auch sehr gut ausgeführt wird. Wie beruhigend greift in der darauf folgenden das majestätische, harmonische Ensemble ein, wo sich zuerst die Männerstimmen den edeln Lauten der Hörner vereinen, worauf dann Soprane und Alte in das große Ganze eintreten und die Wirkung bis zum höchsten Punkte steigern. Das rauhe, barsche, höhnische Trinklied in H-moll mit der frevelnden Ausweichung in D-dur ist Mozart’s würdig und auch dieses verlangt das mitfühlende, empfängliche Publikum, welches dadurch seine Kennerschaft beweist und glänzend beurkundet, wie es wohl irre geleitet, aber nicht ganz für das Bessere abgestumpft werden kann, bey jeder Vorstellung zwey Mahl zu hören. In Kaspars Schlußarie, welche den Sturm wilder Rachgier und teuflischer Lust, die auf Befriedigung hoffen, energisch mahlt, dringt der Stimme Gewalt durch die rauschende, brausende, aber zweckmäßig angewendete Instrumentirung, weil der Sänger fast immer auf den guten Takttheil seine Kraft legen kann und die Begleitung nur den Nachschlag hat, wodurch beyde einander unbeschadet wirken.

Das erste Duett des zweyten Aufzuges zwischen Agathen und Annen ist durch die Stimmenführung höchst interessant. Das singbare, leicht faßliche Thema, welches der Frohsinn der Unbefangenen ausführt, verschmilzt sich höchst lieblich mit den wehmüthigen Tönen der Liebenden, und wir wüßten diesem trefflichen Tonstücke nur Ein gleiches entgegenzustellen, das Duett nähmlich, was in Cherubini’s Lodoiska Floresti mit sei|nem Diener singt, wo sich auch die anmuthige Lust der Polonaise mit der einsamen Klage des Seufzenden herrlich paart. Die zunächst gesungene Arie Agathens in E ist in jedem Verstande vorzüglich. Die Begleitung des schönen Gesanges durch die Strich-Instrumente con sordini ergreift, das Ganze schwebt ätherisch, der Zuschnitt des Tonstückes ist meisterhaft und die Herzensfreude am Schlusse begeistert. Im Terzette in Es-dur hatte der Tonsetzer eine schwierigere Aufgabe; hier kämpften verschiedene Charaktere und Empfindungen; aber Weber ist der Künstler, dem kein Problem zu schwierig ist, und die Lösung desselben befriedigt vollkommen. Mit dem kurzen Kanon, nach Maxens falschem Abgange, sind wir weniger einverstanden; er erinnert an die gewöhnlichen Behelfe der Komponisten, und nur mit innerm Leidwesen erblicken wir das Genie auf der gebahnten Straße. In dem tief das Innerste erschütternden Finale liegt dagegen eine Kraft, die Erstaunen und Ehrfurcht einflößt. Welche Steigerung, welch ein Crescendo, das alle bisher gehörten, in ihr Nichts zurückweiset! welcher Reichthum der Harmonien, der Instrumentirung, wie genialisch angewendet die schreckhaften Dissonanzen! wer hat seit Gluck und Mozart dem furchtbaren Geisterreich diese Stimme verliehen! O Tonkunst, du bist wirklich die romantischste aller Künste, denn dein Vorwurf ist das Unendliche!*)

Mit Agathens scherzhafter Romanze im dritten Akte sind wir abermahl nicht ganz einverstanden. Unter allen Dichtungsarten taugt die epigrammatische am wenigsten zur Musik, die, wenn sie den Worten bloß dient, auch unbedeutender werden muß. Rechnet man die verunglückte Pointe: Nero, der Kettenhund und den Umstand hinzu, daß man vom Übrigen fast nichts versteht, so wird es begreiflich, warum die sonst einsichtsvoll gesetzte Romanze keine Wirkung macht und unbemerkt vorübergeht. Wie herrlich steht dagegen das Quartett der Brautjungfern, das im ganz reinen C-dur unschuldige Fröhlichkeit athmet und das Publikum entzückt. Der darauf folgende Jägerchor, D-dur ist überaus ansprechend und wird sehr brav vorgetragen; auch diesen Chor läßt das Publikum immer wiederhohlen. Der Schluß ist so gut, als er den gegebenen Umständen nach seyn kann und beweiset ebenfalls Weber’s Schöpfungskraft.

Wir können uns wahrlich nicht genug über das Gelingen dieser wahrhaft körnigten und echt deutschen Arbeit freuen, die Kenner und Laien mit vollem Rechte entzückt, denn bey hoher Genialität hat der Tonsetzer immer besonnen gehandelt, wie es denn auch seyn mußte, da Besonnenheit und Genie stets unzertrennlich sind, und auf die Wirkung ohne Unterlaß gearbeitet, ein in jetziger Zeit unerläßliches Postulat; dabey befriedigt er auch den musikalischen Rigoristen und stellt ein Muster auf, wie wahre Kunst mit dem Zeitgeschmacke schreitet, doch nicht von letzterem am Gängelbande geführt, sondern ihn vielmehr allgewaltig beherrschend. Ehre, hohe Ehre dem Genie, das diese Bahn gebrochen und triumphirend modernen Wust verschmäht!

Auch der kunstsinnigen Direktion unsern gerührten Dank für die zweckgemäße, würdige Ausstattung des Ganzen, für das Eingreifen, da, wo es Noth thut.

Die Darstellung ist schwierig; vieles wurde geleistet, vieles reichte fast an das Ideal hin, was man sich vorgezeichnet. Agathe schwebt kühn auf der höchsten Spitze der Kunst, fast mit Adlersschwingen hat sie sich dahin erhoben. Max bedarf großer Kraft und vieler Gewandtheit; er ist, wie unser Vorgänger schon gesagt, nach einem kurzen Lehrjahre sehr zu loben. Der Chor ist in jeder Rücksicht vorzüglich.

[Originale Fußnoten]

  • *) Der Verfasser der in Nr. 136 dieser Blätter enthaltenen Anzeige von der Aufführung dieser Oper und Schreiber dieses sind verschiedene Personen.
    D. Red
  • *) Hoffmann’s Phantasiestücke.

Apparat

Zusammenfassung

Rezension: Der Freischütz von Carl Maria von Weber

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Mo, Ran

Überlieferung

  • Textzeuge: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 6, Nr. 143 (29. November 1821), S. 1206–1208

Textkonstitution

  • „aufgegangenenKunstsonne“sic!

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