Bericht zur Erstaufführung der Euryanthe in Dresden am 31. März 1824 (Teil 2)

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Eine Stimme aus Dresden über Euryanthe.

(Beschluß.)

Im zweiten Akte entwickelt der Komponist große Tonmassen. Wir haben hier manch schweren doch harmonischen ¦ Satz, viel Kunst aber nirgends Künstelei gefunden. In letztere würden schwächere Komponisten verfallen, in Weber aber wohnt Kraft. Wir können uns nun zwar denken, daß dieser Akt, geht in der Darstellung an Kraft und Kolossalität der Komposition verloren, weniger als der erste und dritte Akt auf das große Publikum wirke, das überhaupt das Erhabene, Schauerliche, Furchtbare nicht dauernd verfolgen kann und will, und nur für das Liebliche ein ausreichendes Empfindungsvermögen hegt. Allein nicht blos Musiker, auch jeder andere gebildete Musikfreund wird mit Vergnügen einen so reichen Schatz von Harmonie vor sich ausgebreitet sehn, und zwischen Lysiarts furchtbar großer Arie und Duett mit Eglantinen und dem langen aber trefflich komponirten Finale ist die zweite gefällige Cavatine Adolars und ein reizend bewegter, das Feuer reiner Liebe athmender Zwiegesang gelegt, den die Dichterin eben so lyrisch empfunden, als der Komponist herrlich ausgeführt hat. Einen ästhetisch schönen Eindruck macht das lange Toben des ganzen Ritterchors gegen die allein stehende Euryanthe allerdings nicht. An dieser einzigen Stelle scheint sich die Oper ihres ehemaligen nun aber bestrittenen Rechts, Musikstücke auf Kosten des dramatischen Geschmacks und der Wahrscheinlichkeit auszuspinnen, bedient zu haben. Die Aufrichtigkeit jedoch, mit der wir dies Bedenken rund heraussagen, sey auch Bürge, daß das von uns dem Komponisten vielfach gespendete Lob nicht Lobhudelei, sondern Ausfluß unsrer innigsten Ueberzeugung sey. Die Worte: „Wir alle wollen mit dir gehen,“ sind überaus schön und wahr komponirt. Die ersten Scenen des dritten Akts ergreifen, wenn auch nicht durch die dramatische Situation, die nicht eben glücklich ausgeführt ist, aber doch durch die Energie der Weberschen Musik. Auch die darauf folgende Cavatine Euryanthens, schon in der Dichtung zart gehalten, ist in sanfter, rührender Weise trefflich komponirt. Ein Talent, was bald den höchsten lyrischen Schwung der Freude, bald das tiefste Herzeleid in Tönen zu charakterisiren weiß, ist ein reiches, herrliches. Nach Euryanthens Liede begeichnet die Musik treffend das Erwachen der Natur, das Aufsteigen der Sonne. Daß jedoch der nun folgende Jägerchor sich so geltend machen werde, wie der Jägerchor im Freischützen, glauben wir nicht. Er ist schön komponirt, aber nicht mit so leichter in das Ohr fallender Melodie. Dagegen ist in Euryanthens Arie: „zu ihm! zu ihm!“ – einem der energischten Tonstücke der Oper – der Liebe Wonne und Qual ergreifend geschildert, und wir sind gar sehr versucht, den Chor: „Der May bringt frische Rosen ¦ dar,“ dem Liede der Kranzjungfern im Freischützen vorzuziehen, weil er bei aller Einfachheit reicher ist an schöner Melodie. Die Worte: „Heil Adolar in seiner Väter Hallen!“ können nicht leicht einfach erhabener, der Chor: „Zittre Gottvergeßner!“ nicht kräftiger und feuriger komponirt werden, als Weber es gethan hat, in den wiederkehrenden, Emma’s Verklärung andeutenden Geisterklängen scheint sich das schöne Tonwerk selbst zu verklären, und die Säulen, auf welchen es ruht, Kraft und Reichthum an Harmonie, treten auch im Schlußchore unverkennbar hervor.

Das Dresdner Publikum erkannte dies an und rief, nachdem es fast jedes Musikstück applaudirt hatte, in der ersten Vorstellung Carl Maria von Weber und die Darsteller, in der zweiten Aufführung aber die Devrient als Euryanthe, und die Funk als Eglantine hervor. Nehmen wir auch an, daß einige Hände unbedingt geklatscht haben würden, selbst wenn das Werk nicht so verdienstlich gewesen wäre, wie es wirklich ist – jeder bedeutende Komponist hat seine blinden Verehrer – so läßt sich doch durch solche ein so allgemeiner Beifallssturm, wie er bei der ersten Vorstellung sich erhob, nicht machen, nicht erzwingen. In ihm trat das Wohlgefallen der ganzen Versammlung an das Licht, und mancher Verständige sprach sich dahin aus, daß Webern in den Wiener Kritiken Unrecht geschehen sey. Um jedoch die Leser dieser Blätter auf den Standpunkt zu stellen, von welchem aus das hiesige Publikum und ich urtheilten, muß ich bemerken, daß die Darstellung der Oper auf hiesigem Theater fast ganz vollendet war, alle Einzelnheiten desselben unter des Meisters Leitung in das gehörige Licht traten, die Chöre trefflich gingen, und namentlich die zwei weiblichen Hauptpartieen mit einer solchen Vollkommenheit des Spiels und Gesangs zugleich gegeben wurden, daß nur wenige Bühnen etwas Aehnliches werden aufweisen können. Die Funk als Eglantine entwickelte in der ersten Vorstellung – in der zweiten war sie etwas heiser und sang dennoch, um das Vergnügen des Publikums an der Oper nicht zu stören – die ganze jetzt siegende Kraft ihrer herrlichen Stimme, und leistete auch in der Mimik Unerwartetes, Treffliches. Die Devrient, geborne Schröder, uns schon aus früheren Leistungen als treffliche Darstellerin bekannt, sang als Euryanthe, namentlich in der zweiten Vorstellung, ganz vorzüglich, und verschönte durch ihr höchst lebendiges ausdrucksvolles Spiel jede Scene und Arie. Auch Bergmann, als Adolar, sang brav, eben so Mayer als Lysiart, bis auf die Töne, wo er sich schreiend sehr übernahm. Die ¦ Direktion hatte Alles zur Ausstattung der Oper gethan, wie sie denn überhaupt hierin das rechte Maß zu halten und überladnen Prunk von geschmackvoller Ausschmückung zu unterscheiden weiß.

Die Oper, für deren Hauptrollen in Berlin die Seidler und Schütz sich trefflich eignen, wird hoffentlich noch auf manchem Theater gefallen, wo die Hauptbedingnisse, gute Chöre, tüchtiges Orchester, kraft- und klangvolle Stimmen, zweckmäßiges Spiel der Euryanthe, namentlich im Finale des zweiten Akts, eintreten. Wir werden uns freuen, zu vernehmen, daß dieses Werk, wie es vielen Opern Mozarts ging, sich nach und nach immer mehr Bahn breche, und scheiden jetzt von ihm nicht ohne wahrhafte Empfindung. Denn gar selten erblüht ein solches Tonwerk, gewiß mit großen Verdiensten ausgestattet, und der Mensch verleugne das Schöne nicht!

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 24, Nr. 85 (30. April 1824), Sp. 684–687

    Einzelstellenerläuterung

    • begeichnetrecte „bezeichnet“.
    • Schützrecte „Schulze“.

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