Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 9. September 1822

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K. k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthor. Am 10. d. wurde der Freyschütz aufgeführt. Mad. Seidler gab die Agathe, Hr. Mosevius den Kaspar.

Der Componist hat die Parthie der Agathe für die Sängerinn gesetzt, also war sie bey der Aufführung dieser Oper auf dem königlichen Theater in Berlin die Erste, die den Part vorgetragen hat. Ein solcher Umstand muß selbst dann, wenn die Talente einer Sängerinn noch unbekannt sind, die angenehmsten Erwartungen anregen. Hier vereinigte sich beydes, und die Leistung rechtfertigte jene hinlänglich. Man ist rücksichtlich einer solchen Aufgabe um so viel begieriger, den Erfolg zu wissen, da der bloße Ausdruck des Gesangs, die charakteristische und kunstgerechte Bezeichnung des Gefühls durch Töne und Accente – Declamation und Wohllaute – der einzige Glanz ist, den die Künstlerinn dem reizenden Gebild des Meisters aus ihrem Eigenen verleihen kann, nicht den eigenthümlichen Reiz des Werks erhöhen kann. Wir müssen gestehen, daß nicht sparte, sie aber doch so zu verwenden wußte, daß Geschmack und Besonnenheit nicht vermißt wurden. Überhaupt besitzt diese Künstlerinn den Vorzug einer großen Sicherheit in Benutzung ihrer Mittel und des meisten Theils sehr glücklichen Gelingens. Man kann es einer Sängerinn, die in der feinsten italienischen Kunstschule des Gesangs gebildet ist, wohl verzeihen, wenn sie ihren Gewinn und ihren Reichthum nicht | ohne eignes Wohlgefallen producirt. Das Allegro wurde mit der größten Präcision, mit Leichtigkeit und ungezwungner Krafterhebung ausgeführt, wie denn auch die Übergänge aus einer Stimmung in die andre, und aus dem getragenen Zeitmaß in das bewegtere, eine besondere Auszeichnung verdienen. Das Gebet im dritten Act gelang vielleicht am besten. Hier befleißigte sich die Künstlerinn einer vorzüglichen Enfachheit, gebrachten Verzierungen waren dem Gefühl selbst entsprechend, und ohne die natürliche Wirkung durch erkünstelte Rührungsmittel erhöhen zu wollen, brachte diese Einfachheit die meiste Wirkung hervor.

Hr. Jäger sang den Max mit festem, sichern Ton, ohne den Wohlklang dem Nachdruck aufzuopfern. Schon das Solo in dem Quartett mit Chor: "Düstre Ahnung füllt die Brust –" erregte Theilnahme. Der Verein jener vorhin bemerkten Vorzüge wird in der Arie ungewöhnlich in Anspruch genommen, da der Tenor seinen ganzen Umfang verwenden und sich bald von oben nach unten, bald durch eben diesen Raum zurückbewegen, und oft mehrere bald auf einander folgende halbe Töne berühren muß. So einfach das Thema, so verschieden ist der Charakter des Gesangs, und die wechselnden Gefühle der Schwermuth, der Trostlosigkeit und der Verzweiflung erfordern ihren eigenthümlichen Ausdruck. Wenn diese Arie mit romantischer Lieblichkeit beginnt, so schließt sie mit dem Ausbruch eines zerstörenden Dämonenkampfes. In diesem Moment schien es dem Sänger an der nöthigen Energie zu fehlen. Der eigentliche Geist der Darstellung dieser Rolle, der Abdruck des verstörten Gemüths, kämpfend mit dem finsteren Verhängniß und der Leidenschaft, deren Tiefe nur wenig irdische Naturen zu ergründen vermügen, gleicht einem scheuen Wild, dessen Spur diese Jäger stets umsonst verfolgen, und das ihnen nirgends in den Schuß gerathen will, oder mit einem edlerm Ausdruck: einem verschlossenen Mysterium, wozu die poetische Offenbarung ihnen erst den Schlüssel reichen muß.

Hr. Mosevius mochte wohl dem Caspar ein vorzügliches Vertrauen geschenkt haben, und wir rechneten selbst auf ein besseres Einverständniß zwischen Beyden, um so mehr, da das Kriegslied ziemlich gelang; in der Schluß-Arie des ersten Aufzugs wurde jedoch der wilde Jäger dem Gastgefährten ungetreu. Hier fehlte es dem Letztern an Kraft, oder an wohlberechneter Verwendung derselben, oder vielleicht hatte in der Tiefe, die er eben nicht verfehlte, sich ein Theil davon verloren. Auch die Actionen wollten hier den mangelnden Nachdruck der Stimme nicht ersetzen, oder scheute sich der Sänger vor dem Pathos, der in diesem Falle keine schlechte Wirkung macht? Wir sind überzeugt, daß die Bedeutung des Charakters dem Gastspieler nicht entgangen ist; doch in den zur Versinnlichung erforderlichen Mitteln hat er einen Mißgriff gethan. Er nahm einen schleichenden Ton an, in der richtigen Absicht, den Bösewicht zu schildern; aber schon die treffende Farbe des Liedes hätte ihm eine andere Ansicht geben sollen. Die etwas schleppende Scene wird durch ein solches Zeitmaß der Rede nur noch schleppender. Der Dialog ist ohnehin nicht sehr gerundet. Einige Zuschauer, die, so wie der größte Theil der zahlreichen Versammlung, an diesem Vertrag irre wurden, machten die nicht unrichtige Bemerkung, daß der hingeworfene Conversationston der Andeutung so furchtbarer Geheimnisse nicht angemessen sey. Und fürwahr! ganz unbefangne Zuschauer äußerten sich so; es waren keine Recensenten. Auch diesem Darstellungsgemälde mangelte der düstere Hintergrund, der jedoch hinter einer ganz eigenthümlichen Strahlenbrechung hervordämmern soll.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ran Mo

Überlieferung

  • Textzeuge: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 7, Nr. 111 (14. September 1822), S. 899–900

Textkonstitution

  • „10.“sic!

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