Aufführungsbesprechung Güstrow: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 23., 24. und 25. Oktober 1822

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Der Theaterdirektion ward es endlich möglich, nachdem die Herren Rathsmusikus Weber mit seinen Gehülfen, und Kontrabassist Suaan in Rostock, so bereitwillig als uneigennützig, ihren Beitritt zugesichert hatten, die von allen Seiten so sehnlich gewünschte Aufführung der Oper: Der Freischütz, von Karl Maria v. Weber, zu veranstalten; sie ward dreimal, vom 23sten bis zum 25sten d. M., bei, der großen Kosten wegen, erhöhten Preisen und gut besetztem Hause gegeben*. – Referent, der bis dahin das Meisterwerk nur in einzelnen Nummern, und diese auch nur im Klavierauszuge, kannte, gesteht offenherzig, daß er, zwar mit gespannter Erwartung, aber doch nicht mit ganz günstigem Vorurtheile den Saal betrat, weil aus dem, was er kannte, ihm ein Streben hervorzugehen schien, neben der befahrenen Straße eine neue zu suchen, um unter den Heroen allein da zu stehen in nie erreichter Originalität. Indessen mußte er schon bei der ersten Aufführung seine Meinung ändern, und ist gleich ein Streben nach Originalität unverkennbar, so hat es doch zum großen Ziel geführt, und nur da, wo eine aus der ähnlichen Situation entspringende Ideenverwandtschaft fast unvermeidlich war, ist ein leiser Anklang aus gediegenen Kompositionen anderer Meister hörbar. – Da dieses Blatt nicht Raum genug für eine genaue Zergliederung der herrlichen Oper giebt, so darf hier nur das Effektreichste abgehandelt werden. – Nach einem kurzen Adagio, C dur, welches mit dem 10ten Takte von 4 Hörnern sangbar durchgeführt wird, nimmt die Ouvertüre, molto vivace, den grandiosen Satz aus der Tenorarie, (Nr. 3. C moll) und so nacheinander mehrere Nummern der Oper auf; sie liefert also nicht eigentlich für sich bestehend ein Ganzes; (man vergleiche die Ouvertüre zur Zauberflöte) aber diese Andeutungen sind so meisterhaft gestellt, daß sie wol zum ersten Range ihrer Gattung gezählt werden dürfte. – Schon in dem sogenannten Lachchor der Introduktion zeigt der schwarze Seelenjäger (Samiel) seinen verderblichen Einfluß in dem höhnenden „wird er? frag’ ich?“; während der Tenorarie (Nr. 3 Max) ist aber sein würkliches Erscheinen durch drei einzelne Paukenschläge, so wie jedesmal nachher, angedeutet. Diese Arie dürfte zu den schönsten dieser Oper gehören, obgleich sie den gewöhnlichen Tenoristen mehr zumuthet, als sie leisten können; Herr Mühling trug sie brav und mit einstimmigem Beifall vor. – Nr. 4. Lied; (Kasper) Wenn sich hier dem unbefangenen Beurtheiler die Ueberzeugung aufdringt, daß nur Mozart etwas ähnlich Großes in seinen Opernliedern geliefert habe, so darf er sie auch mit gutem Grunde aussprechen. Die Tonart (H moll) deutet etwas anderes, als ein bloßes Trinklied, an; aus der Hölle holt der Leibeigne ihres Fürsten seinen Gesang, um den schwankenden Max, den er hinabstoßen will, aus seiner Tugendbahn zu reißen; nicht Kasper, Samiel singt aus ihm diese Töne voll Höllenlust und Graus. Unbeschreiblich ist die Wirkung der kleinen Flöten, und man muß sie in diesem Augenblick für das Hauptinstrument in Luzifer’s Kapelle halten, während auch die Geigen, mit dem 20sten Takte dal segno den refrein in der Terz (vier gestrichen Fis) wiederholend, das ihrige zur Vollendung des originellsten Tonsatzes beitragen. – Nr. 5. Arie; (Kasper). Die wilde Freude des Verführers über das Gelingen seines Plans ist meisterhaft gemalt; Geigen und Flautinen nehmen einen Satz aus dem vorigen Liede wieder auf. – Nr. 6. Duett, (Aennchen, Agathe) eins der schönsten für 2 Soprane, vorzüglich wenn die etwas tief liegenden Figuren der zweiten Stimme mit Kraft vorgetragen werden können. – Nr. 7. (alla polacca, Aennchen.) Die Oboe leitet ein mit tändelnder Lieblichkeit, und so eigenthümlich, daß sie hier durch die Klarinette nicht zu ersetzen seyn möchte. Thema und Figuren sind schön und neu; entzückend ist das kleine, zarte Solo für Violonzell, welches von der Oboe wieder aufgenommen wird. – Nr. 8. (Agathe.) Eine große Szene in E dur, schwer und würdevoll, die reinste Intonation ¦ verlangend. Ganz abweichend in ihrem Styl von der Bravourarie geht sie verloren bei einer Sängerin, die mit nichts aufwarten kann, als mit Kolloratur, und vorzüglich muß dies bemerkbar werden in dem zweimal vorkommenden, mit vier Geigen, Bratsche und Bässen, alle gedämpft, begleiteten Gebet (Adagio, 2/4). – Nr. 9. (Terzett, Agathe, Max, Aennchen.) Zu groß und schön, um mit einer flüchtigen Beschreibung abgefertigt werden zu können; wir wollen den, mit der Komposition unbekannten Zuhörer blos warnen, sich durch den Schlußakkord in Es dur nicht verleiten zu lassen, den Genuß mit zu frühem Beifallsklatschen zu unterbrechen, weil er glauben muß, das Terzett sei zu Ende; es beginnt wieder recht herrlich mit einem Uebergange in As dur sich zu entfalten, und der zweite Sopran schließt sich in kontrapunktischen Figuren dem neuen Thema an, bis es, zu dem ersten Satze zurückkehrend, wirklich in Es dur endet. – In dem nunmehr folgenden Finale des zweiten Akts erreicht der Komponist, ohne das Vorhergehende im Geringsten vernachlässiget zu haben, den Gipfel seiner Größe. Es ist fast durchgängig melodramatisch bearbeitet, und nur auf diese Weise konnte es ein so gräßlich-schönes Gemälde werden. Kasper ist beschäftigt, den Zauberkreis zu bilden; der unsichtbare Höllenchor beginnt, und mit dem „Uhui!“ der Oberstimmen treten 4 Hörner zur Verstärkung des unnennbar schauerlichen Effekts ein. Max erscheint auf einer Felsenspitze; hier nun beweiset der Komponist, daß er schon mit dem Lachchor in der Introduktion die Einwirkung des Schwarzen andeuten will; denn, indem Max seinen Entschluß ausspricht, zur Hülfe Kasper’s beim Gießen der Teufelskugeln hinabsteigen zu wollen, wiederholen Violen und Fagott das höhnende „wird er? frag ich?“ des genannten Chors. Bei der unheimlichen Arbeit werden die Kugelgießer durch allerlei tollen Zauber und durch den Vorüberzug des wilden Heers geängstigt; ein Tongemälde, das im Verein mit gehörig wirkender Szenerie, die Täuschung stets furchtbar steigern, und das unbekannte Treiben der Geisterwelt versinnlichen muß. – Dem dritten Akte fehlt es eben so wenig an Originalität, als den vorhergehenden, aber er ist im Ganzen faßlicher für das ungeübte Ohr. Zwei Nummern daraus, der Gesang der Brautjungfern und der Jägerchor, (letzterer von schöner, imponirender Wirkung) haben bereits, gleich dem Mozartschen Vogelfänger &c. das Repertoire der Drehorgeln vermehrt. – Als Gegensatz zu Kasper’s Liede (Nr. 4.) führen wir hier Agathen’s schöne Cavatine („Und ob die Wolke &c.,“ As dur) an. Es sind die Ergießungen eines frommen, gläubigen Gemüths, das, bei allem Uebermaaß von Kummer und Quaal, dennoch fest auf die himmlische Hülfe bauet; eine einfache Weise, aber schwer vorzutragen. – Aennchen’s Romanze und Arie (Nr. 13.) mit obligater Bratsche, ist tief gedacht, rührend und heiter. Während die muntere, liebevolle Freundin ihre von bösen Vorbedeutungen gebeugte Agathe durch einen Schwank zu zerstreuen sucht, ist selbstgefühltes Bangen auf dem Grunde des hellen Tongemäldes, in einer Beimischung von düstern Farben, unverkennbar. – Das Finale scheint zur vollen Verständlichkeit des Zuschauers nicht genügend vorbereitet zu seyn; es umfaßt die ganze Handlung der Katastrophe. Den so schön beginnenden, aber sehr kurzen imitirenden Satz weiter durchzuführen, lag wol ausser dem Plan des Komponisten, obgleich dem Charakter dieser Oper eine Fuge nicht entgegen seyn dürfte. – Dankbare Anerkennung verdienen die Leistungen sowol der Sänger und des Orchesters, als auch der Regie. Letztere hat für den beschränkten Raum das Mögliche geleistet. Unter den Sängern zeichneten sich lobenswerth aus: Dem. Corradini, (Aennchen) Hr. Mühling, (Max) Hr. Fries (Kasper).

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Freimüthiges Abendblatt, Jg. 4, Nr. 202 (15. November 1822), Sp. 788f.

    Einzelstellenerläuterung

    • „… und gut besetztem Hause gegeben“ Dieselbe Gesellschaft unter Direktion von Friedrich Lyser hatte die Oper bereits am 9. und 25. August in Doberan gespielt und präsentierte das Werk auch später in Rostock und Schwerin. Die erste Doberaner Vorstellung wurde in dieser Zeitschrift lediglich erwähnt; vgl. Freimüthiges Abendblatt, Jg. 4, Nr. 189 (16. August 1822), Sp. 566. Zur zweiten liest man in einer Zusendung vom 26. August: „Am Sonntage den 25sten war im Theater die letzte Vorstellung mit dem Freischützen, Oper in vier Abtheilungen. Dichtung von Fr. Kind, Musik von C. M. von Weber. Diese originelle schöne Musik wird von den Großherzogl. Hof-Musici mit einer Präzision und Eleganz vorgetragen, welche die Würdigung aller Kenner und Kunstfreunde erhalten hat. Es war dies die zweite Vorstellung, und die repräsentirenden Sänger und Sängerinnen hatten sich beeifert, dem Ganzen Ehre zu machen. Der Tenorist Hr. Mühling, welcher nach einer Krankheit zum erstenmal wieder auftrat, zeigte sich abermals als guter und gewandter Sänger.“; vgl. Freimüthiges Abendblatt, Jg. 4, Nr. 191 (30. August 1822), Sp. 607.

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