Aufführungsbesprechung St. Petersburg: „Oberon“ von Carl Maria von Weber am 12. Dezember 1837

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Ueber die Aufführung von Weber’s Oberon.

Das von dem Herrn Capellmeister Keller am 12ten d. M. gegebene Concert, in welchem Weber’s Oberon aufgeführt wurde, fiel in jeder Beziehung glänzend aus, und die ungewöhnlich zahlreiche Versammlung drückte sowohl dem Concertgeber selbst ihre Anerkennung für die glückliche Idee, das hiesige Publicum mit diesem herrlichen Kunstwerke bekannt zu machen, als den mitwirkenden Künstlern und Künstlerinnen enthusiastischen Beifall für die treffliche Ausführung aus. Man kann wohl sagen, daß eine solche Aufführung die wahre Probe für den Kunstwerth einer Oper sey. Hier wird der Zuhörer nicht von der Pracht der Decorationen und von dem Glanze der Costüme geblendet und durch die Reize der Action und der Tanzkunst bestochen; das Tonwerk tritt in seiner reinen ungeschmückten Gestalt vor ihm auf, ohne sich auf etwas anderes, als auf seinen eigenen innern Werth, zu stützen. Zugleich hat eine solche Aufführung einen doppelten Vortheil: sie befreit nämlich die Sänger und Sängerinnen von dem Zwange der Action und erlaubt ihnen, alle Aufmerksamkeit, von der sie auf der Bühne einen Theil der Rolle, die sie spielen, opfern müssen, bloß auf den Gesang zu wenden, während der Zuschauer sich dem reinen musikalischen Genusse überlassen kann, ohne durch die Nebendinge, welche in unserer Zeit immer mehr sich an die Stelle der Hauptsachen zu setzen drohen, zerstreut zu werden. Weber’s Oberon hat diese Probe siegreich bestanden. In dieser Oper, dem Schwanengesang des großen Componisten, erkennt man wieder ganz den Schöpfer so vieler unvergeßlicher Melodieen. Der „Oberon“ steht seinem musikalischen Charakter nach der in der Mitte zwischen der „Euryanthe“ und ¦ dem „Freischützen“; denn er entfernt sich von der mehr gelehrten Musik der ersteren Oper in demselben Grade, als er sich der populären Musik des zweiten nähert. Mit Vergnügen findet man in ihm nichts von dem Gesuchten und Verzerrten, was der entartete Tagesgeschmack für charakteristische Musik gelten läßt. Das Publicum konnte die Vorzüge dieses trefflichen Werkes ums so deutlicher erkennen, da die Aufführung im höchsten Grade gelungen war*. Hr. Breiting als Hüon war, so weit seine Stimme im Tenor reichte, unübertrefflich; eben so sangen die Herren Hoffmann (Oberon) und Versing (Scherasmin) ihre Parthie mit der Meisterschaft, die man bei ihnen zu finden gewohnt ist. Dem. Neureuther als Rezia war besonders durch die Reinheit und den Klang ihrer Stimme in den hohen Tönen ausgezeichnet; Dem. Bothe (Fatima) wurde von dem Publicum mit ums so größerem Interesse und Vergnügen gehört, da man jetzt so äußerst selten diese treffliche Sängerin auf der Bühne auftreten sieht und Mad Lenhardt entzückte die Zuhörer besonders durch den zarten Vortrag des wunderschönen Gesanges der Meermädchen. Der Chor war, wie es sich unter solcher Leitung nicht anders erwarten ließ, gut einstudiert und machte in manchen Stellen eine unvergleichliche Wirkung. Wir können dem Hrn. Concertgeber nicht dankbar genug seyn für die Mühe, die er sich giebt, dem Publicum zuweilen Werke vorzuführen, die durch ihren reinen und edeln Geschmack das beste Gegenmittel wider den verweichelnden Einfluß der süßlichen und faden Mode-Musik sind, und wir hoffen, daß er uns auf diese Art noch mit manchen Opern bekannt machen werde, die auf dem hiesigen Opern-Repertoire fehlen, obgleich sie ihrem Kunstwerthe nach oben an stehen.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: St. Petersburger Zeitung, Nr. 284 (15.= 27. Dezember 1837), S. 1258

    Einzelstellenerläuterung

    • „… im höchsten Grade gelungen war“Das Konzert fand im Saal des adligen Vereins (im Engelhardtschen Hause) statt; alle Solisten waren am Petersburger deutschen Hoftheater engagiert: Hermann BreitingHüon, Johann Hoffmann (geb. 1802) – Oberon, Wilhelm Versing (1811–1879) – Scherasmin, Marie Neureuther (geb. 1809) – Rezia, Auguste BotheFatime sowie Victorine LenhardtMeermädchen.

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