Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden: Gastspiel des Bauchredners Alexandre Vattemare aus Paris am 13. Oktober 1817
Am 13. Oktober. Bei aufgehobenem Abonnement und Wegfall der Freibillets. Die Kunststückchen des sogenannten Bauchredners Alexander aus Paris. Denn anders dürften wir wohl kaum die Dinge zu benennen haben, welche dieser junge Mann uns zum Besten gab. Wir sind wirklich in einiger Verlegenheit, etwas über die Leistungen dieses Fremden zu sagen, da wir nicht wenigen Stimmen des Publikums widersprechen müssen, welche durch das Beifallklatschen, das jedoch am Ende der Vorstellung immer mehr abnahm, ihr Gefallen an diesen Gegenständen auszudrücken schienen. Wir glauben auch gern, daß für die, welche nicht Gelegenheit gehabt haben, einen wahren Bauchredner zu hören, das Interesse an einer solchen Neuigkeit, und die Gewandheit, mit welcher Alexander einiges wieder gab, Beifall erwecken konnte, uns aber, die wir in Paris in den Stand gesetzt waren, die berühmtesten Personen, welche dieses Kunststück übten, zu hören und zu sehen, wohnte zuvörderst die Ueberzeugung bei, daß Herr Alexander kein eigentlicher Bauchredner sey, und erstickte daher den erfreulichen Antheil an seinen Leistungen schon im Entstehen. Es ist nämlich die erste Grundregel des Bauchredners, daß sich die Lippen des Redners nicht bewegen, sondern die Töne im Innern der Kehle, ohne Beihülfe jener, durch eine allerdings sehr große Anstrengung hervorgebracht werden, welches dann auch zur Folge hat, daß ein solcher Bauchredner nur sehr kurze Zeit, mithin in keinem Fall eine halbe Stunde lang, wie Herr Alexander, dieses Kunststück fortsetzen kann, da er durch die gewaltsame Inversion des Sprachorgans genöthigt ist, nach wenigen Minuten wieder Kräfte zu sammeln und auszuruhen. Dadurch aber auch allein können lächerliche Scenen bewirkt werden, wie sie Herr Alexander in mehrern erzählten Anekdoten von sich rühmt, weil die Anwesenden keine äußere Veränderung am Munde eines solchen Redners gewahren. Dieses wesentliche Erforderniß fehlte aber gerade Herrn Alexander, denn er kann keinen seiner verstellten Töne ohne Bewegung der Lippen hervorbringen, und ist daher auch kein Bauchredner, sondern eine Person, die ihre Stimme zu verstellen gelernt hat, wie wir deren sehr viele finden, und worin besonders der geachtete Deklamator Solbrig viel mannigfaltigere Abwechselung oftmals an den Tag gelegt hat. Dadurch wird aber auch Herr Alexander genöthigt, den Mund jedesmal zu verbergen, so oft er eine fremde Stimme erschallen läßt, um sein Geheimniß nicht sogleich kund zu machen, und daraus entsteht es auch, daß er stets und ¦ ohne Ausnahme, entweder dem Publiko den Rücken zudreht und seitwärts spricht, oder sich in einem Kamine mit dem Kopfe versteckt, oder hinter eine sogenannte Kellerthüre, oder gar hinter einen Schirm sich zurückziehen muß. Gäbe nun Herr Alexander dieses Talent der Stimmenverstellung und der, allerdings dann und wann recht wohl gelingenden Abstufung des Tones in Nähe und Ferne, Tiefe und Höhe, mit Anspruchlosigkeit blos als ein solches, und wären besonders die, um micht dieses edlen Ausdrucks zu bedienen, dramatischen oder dialogisirten Späschen, die er auftischt, gewürzter, unterhaltender, vor allem aber dann und wann anständiger, so würde sich dagegen nichts einwenden lassen, das bescheidene Talent in der Angabe der Wahrheit aber schwerlich ein so gedrängtvolles Haus finden, als es jetzt der Fall war, wo Hunderte aus Mangel an Platz sich wieder entfernen mußten. Sonach eignet sich aber auch die Bühne selbst am allerwenigsten zu diesen Alexandrischen Kunststücken. – (Wie passend doch unsre ehrliche deutsche Sprache so etwas nur ein kleines Stückchen von der Kunst, ja nicht das herrliche Ganze der veredelnden Kunst selbst nennt!) – Denn bei dem nicht umschlossenen Raum, war – und dann um so mehr, wenn Herr A. ein wirklicher Bauchredner war, und wie es sich gebührte, ruhig im Vordergrund der Scene gesessen und das Stimmenspiel begonnen hätte, ohne daß man an ihm die geringste Veränderung oder Bewegung verspürte, – eine Täuschung durch oben, unten, oder seitwärts gestellten Mithelfer, so ungemein leicht, daß die Zuschauer, wenn sie wirklich getäuscht waren, nie hätten wissen können, ob es wirklich durch des Bauchredners Talent geschehen sey oder nicht. Aber daß auch in der Stimmenverstellung selbst, Herr A. keine Meisterstufe erstiegen habe, bewieß sich darin, daß sein Herr Denis eben so sprach, wie Herr Dùfour und Herr Thomas, und der Schornsteinfeger wie der Bediente im Keller. Wie aber Herr A. die Scene hinter dem Schirm, wo er darstellte, wie der Förster seine Frau im Bette umarmen will, diese ihn aber unsanft von sich stößt, ihm eine Ohrfeige giebt, und sich doch endlich recht herzlich küssen und umarmen läßt, so wie den Mißbrauch des armen Statisten, welcher nur hätte weniger verlegen seyn, und selbst mit gleicher geringer Kunst eben so aus des Herrn A. Bauche heraussprechen sollen, vor einer so hohen Versammlung entschuldigen will, wißen wir nicht. Allgemein wurde dies aber auch am Schlusse gefühlt und Herr A. entging nur mit Mühe öffentlichen Mißfallen.
Diesen Dingen vorher ging eine sehr gelungene Darstellung von Müllners Blitz.
Apparat
Entstehung
–
Verantwortlichkeiten
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Überlieferung
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Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 254 (23. Oktober 1817), Bl. 2v