Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, 4. September 1813

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Ständisches Theater in Prag.

Am 14. November wurde zum Benefiz für Mad. Brunetti zum ersten Mal aufgeführt: Zwei Nichten für eine, Lustspiel in 2 Acten von Kotzebue. Hierauf: Das Waldmädchen, Balett von Hrn. Brunetti. – Das Stück wurde mit Beifall aufgenommen, wozu das unterhaltende Spiel der Mad. Brunetti als Mlle. Käferwurm, und des Hn. Liebich als Hr. Tunder, besonders beitrug. – Am 15. December erschien zum ersten Mal auf der Bühne: Standesproben, Lustspiel in 3 Acten von Babo. – Es wäre zu wünschen, der Verfasser hätte den fruchtbaren Stoff dieses Lustspiels mit mehr Sorgfalt und Rücksicht | auf den Geist unserer Zeit behandelt, so würde er es nicht bei dieser flüchtigen Skizze haben bewenden lassen, die den Kenner auf keine Art befriedigt. – Der Bruder der Frau von Trespen, die das Glück der Ehe in dem Stande ihres zukünftigen Mannes zu finden hoffen, und die er von dieser Thorheit heilen will, drei Freier aus den nämlichen Ständen zu, welche die Fräuleins ausgewählt haben: einen Offizier, einen Gelehrten uud einen Kaufmann. Um nun ihre Wahl von dem Stande auf den Werth des Mannes selbst zu lenken, müssen die Freier auf Veranlassung des Onkels ihre Stände umtauschen, und versuchen durch innern Werth und Liebenswürdigkeit die Herzen der Geliebten zu erobern. Mutter und Töchter sind gleichfalls von dieser Masquerade durch ihn unterrichtet; die Freier kommen in dem Landstädtchen, wo Frau von Trespen mit ihren einfach erzognen Töchtern wohnt, an, und die Handlung soll beginnen. Der alte Onkel, ein närrischer Kauz, hat in seiner langen Erfahrung unter den Menschen nur Einen Flembach, Einen Mundenheim, Einen Silberberg ganz nach seinem Wunsche gefunden. Wir müssen daher die edelsten Repräsentanten dieser Stände in den Freiern erwarten – und mit welchen Figuranten derselben macht uns der Dichter bekannt! – Mit einem Offizier, der sich weder durch eine wissenschaftliche Erziehung, noch durch Sittenbildung in der feinen Welt auszeichnet, und den Militärstand dadurch zu ehren glaubt, daß er außer den Dienstverhältnissen die Sprache und Tournüre des Militärs vergessen zu haben scheint – nicht mit einem Muster dieses Standes, die uns der Krieg von allen Nationen ausstellt, sondern mit einem Manne, der ganz an der Außenseite seines Standes zu hängen scheint, und vom Dichter im Verlauf der Handlung keine Gelegenheit erhält, sein schönres inneres Selbst zu entfalten. Ferner mit einem Professor der Rechte – einem Fakultätspedanten, der den Stand des Gelehrten repräsentieren soll, und der seinen Mitbewerbern, schon vor der persönlichen Erscheinung, mit Recht zur Scheibe des Spottes dient, weil er seinen Einzug in das Städtchen in einem Kindtaufe-Wagen, alle Glasfenster fest verschlossen, mit beiden Händen in den Trottelschleifen hängend – die Brille auf der Nase – hält, und zum Umfallen erschrickt, als Kaufmann Silberberg an den Schlag seines Wagens sprengt; aus Furcht ¦ das Fenster nicht herabläßt, der schnaubende Fuchs könnte zu ihm hineinsetzen; der außer seinem juristischen Handwerksstudium wenig zu wissen, und seinen Geschmack gebildet zu haben scheint, denn sonst würde er nicht schaalen, zu Zweideutigkeiten sich aussprechenden Witz, wie „O schießt nur zu meine Damen! unser einer kann euer Pulver schon riechen.“ – selbstgefällig hören lassen; der für ein unverdorbenes Mädchen eher etwas Zurückstossendes als Liebenswürdiges haben muß. Endlich mit einem Kaufmann, der aber in Hinsicht seiner eingeschränkten Bildung eher Fabrikant in einer Provinzialstadt seyn könnte, denn sonst würde ihn der Dichter nicht Vergleichungen, wie nachstehende, in den Mund legen, die sich ein gebildeter Leipziger, Frankfurter, Berliner Kaufmann gegen einen Gelehrten wohl nie erlauben würde: „Geht, geht! Ihr Gelehrten setzt immer und ewig, und wenn ihr ausgegakelt habt, liegt nichts im Neste. Was Sie bei dem Fräulein X setzten, gilt eben so gut bei dem Fräulein Y und Z. u. s. w.“ – Diese drei, vom alten Hornbach erwählten Verscheucher der Standesgrillen bei den Fräuleins, werden nun in die Intrigue des Stücks als Selbsttheilnehmer verflochten, und dienen dem Dichter nach seinem Plane: aber der gebildete Zuschauer, ihres alltäglichen Benemens halb müde, wartet mit Ungeduld auf die zu hoffende Entfaltung ihres innern verborgenen Gehals, ihrer Liebenswürdigkeit im Umgange mit den Fräuleins, die die Vorurtheile der Standeswahl verscheuchen könnten – aber vergebens! – diese Kleinigkeiten werden hinter der Scene eiligst abgemacht, die Sieger ergreifen ihre leicht errungene Beute, des Onkels Plänchen ist geglückt – und die Komödie hat ein dreimalerfreuliches Ende. – Wer möchte wohl in diesem flüchtigen, weit hinter die Welt der Gegenwart zurücktretenden Machwerk den würdigen Verfasser von Bürgerglück, dem Puls u. a. m. erkennen, wenn es uns nicht noch die wohlausgeführte Charakterzeichnung der Frau von Trespen glauben machte? – Edle Frauen und Mütter mit den wehrsten und liebenswürdigsten Zügen darzustellen, ist des Dichters achtbares Talent; nur dem Professor gelingen keine Professoren, weil er sie am Pulte, aus seiner Jugenderfahrung, nicht aus der gegenwärtigen Welt auffaßt*) ; und eben so wenig wird es ihm der Militär- und Kaufmannsstand danken, sich in Hornbach’schen Lieblingen repräsentirt zu sehen. Hieraus resultirt die Wahrheit; „daß der Lustspieldichter | ehe er die Welt schildern will, sie in ihrer steten Bildung nach dem Zeitgeist kennen, daß er in und mit ihr leben muß, um lebendige Darstellungen aus ihrer Mitte zu schöpfen, daß man am Pulte, entfernt vom Markte des thätigen Lebens, eher zehn gute Tragödien, als Ein klassisches Lustspiel schreiben könne.“ –

Die drei Fräuleins sind mit wenig Pinselstrichen treffend gezeichnet, haben aber eben so wenig wie ihre Freier Gelegenheit, sich vor unsern Augen in der Wahl ihrer Geliebten zu rechtfertigen, sondern sie erzählen der Mutter nur, was mit ihren schnell eroberten Herzen im Arbeitszimmer vorgegangen ist. – Desto achtungs- und liebenswürdiger spricht sich der Charakter der Frau von Trespen in warmer Mutterliebe, reifer Welt- und Menschenkenntniß und feinnm Benehmen der Dame von Erziehung und Welt aus, und dies anziehende Gemälde wurde durch die treffliche Darstellung derselben von Mad. Liebich noch reizender. Bei der edelsten Einfachheit war ihr Spiel würdevoll, und gegen ihre Töchter ergoß sich das Mutterherz in den zärtlichsten Besorgnissen für ihr wahres Glück, denn mit wahrer Begeisterung sprach sie ihrer Sophie, die nicht glänzen will, sondern sich in stiller Häuslichkeit mit einem Herzen, das sie liebt, beglückt fühlt, die segnendene Worte ins Herz: „Dann hast du den größten schönsten Schmuck, dessen Form nicht veraltet.“ u. s. w. Gewiß, der Stoff dieses Lustspiels hätte würdiger und erschöpfender behandelt, unsere Bühne mit einem anziehenden Gemälde des Lebens bereichert, da er in dieser oft an die Posse streifenden Gestalt, jedes höhere Interesse für den denkenden Zuschauer verloren hat. – Am 22ten December wurde von einer Gesellschaft Theaterfreunde im Ständischen Theater zum Besten der hiesigen Wohlthätigkeits-Anstalten in böhmischer Sprache aufgeführt: Brzetislaw der Erste, der böhmische Achilles, oder: Der Sieg bei Tauß, vaterländisches Original-Schauspiel, aus dem 11. Jahrhundert, in 5 Aufzügen von J. N. Stiepanek. – (Die Einnahme betrug 782 fl. W. W.) Referent, obwohl der böhmischen Sprache unkündig, konnte doch durch die Fabel und Charakteristik der verdienstlichen Dichtung vorbereitet, die Talente der Darsteller nach ihrem mimischen Ausdruck würdigen, und fand hier seine Erwartung übertroffen. – Der Held des Stücks: Brzetislaw wurde von Hrn. Kaupowsky mit Würde und kraftvoller Wahrheit gegeben. Seine Darstellung erhielt lauten Beifall. – Den alten blinden Fürsten von Böhmen, Jaromir, stellte Hr. Stiepanek mit einfachwahrem Spiel für den Ausdruck tiefer Leiden dar, und erweckte Rührung. – Der böhmische Ritter Alex von Slawibor wurde vom Hrn. Klitzpera recht brav gegeben. Eine imponierende Figur, ein kräftiges Organ und ein freies Spiel unter¦stützten seine Darstellung. – Noch zeichnete sich Hr. Brinke als Kochan, einen heimtückischen, stets lächelnden Bösewicht, dessen schwierige Darstellung er mit treuer Charakteristik durchführte, vortheilhaft aus. – Eben so bieder und hochherzig griff das Spiel des Hrn. Haklik, als Boromäus Teptowsky, Begleiter des Fürsten, so wie die fleißige Leitung der H.H. Wildt (Drahausch), Swoboda (Wischeslaw), Nigrin (Rohowin), Ruschek (Fürst Markomir) in das wohleingeübte Ganze ein. – Die weiblichen Rollen der Jutta (Brzetislaws Gemahlin), und der Milada (Drahauschs Tochter) waren vortheilhaft durch Dlle. Wildt und Dlle. Schwamberg besetzt; und letztere hatte Gelegenheit auch heute, wie als Therese in dem Gelegenheitsstück: Die Patrioten, ein angenehmes, höherer Ausbildung werthes, Talent zu entfalten. – Recht brav gab der kleine Franz Unschuld (Brzetislaws und Juttas Söhnchen) den im Kinde erwachenden Krieger, und schleppte die schwere Rüstung, die er seinem zarten Körper anpassen zu können glaubte, mühevoll in den Saal. – Die Vorstellung erhielt den lauten Beifall des sprachkundigen Publikums; es war so befriedigt, daß es den Dichter nach Endigung des Schauspiels hervorrief. Er dankte in der emphatischen Wortstellung, welche der böhmischen, wie der lateinischen Sprache nur in dieser Kürze eigen ist, mit den Worten: „Wám wlastencowé! wlasti, a chudým! – Für Euch, meine Landsleute! Für das Vaterland! Für die Armen!“ –

Jdt.

[Originale Fußnoten]

  • *) Auch würde ein Professor der Philosophie und schönen Wissenschaften den Stand des Gelehrten umfassender und nicht so einseitig dargestellt haben, als ein Fakultist, obwohl die gebildeten jungen Professoren der Rechte sich heutzutage nicht so albern als Freier ankündigen, ihre juristische Gelehrsamkeit nicht in Gesellschaft zur Schau stellen, und wohl wissen, was eine Rotte, ein Zug, eine Division sey.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schaffer, Sebastian

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeiner Deutscher Theater-Anzeiger, Jg. 4 (1814), Nr. 9 (Fortsetzung zu Jg. 3.1813), S. 33–35

    Einzelstellenerläuterung

    • uudrecte „und“.
    • Gehalsrecte „Gehalts“.
    • wehrstenrecte „hehrsten“.
    • Jdt.recte „Qdt.

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