„Freischütz“-Medienstation im neuen „Kulturwerk“ der Staatsbibliothek zu Berlin

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Als im Jahr 2020 der Festakt zur Wiedereröffnung des umfassend sanierten Stammhauses der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden näherrückte – der dann coronabedingt Ende Januar 2021 nur digital stattfinden konnte –, waren längst auch Überlegungen zur inhaltlichen Bestückung der letzten großen Baumaßnahme, des geplanten neuen Bibliotheksmuseums, in Gang. Im Gegensatz zur eigentlich anders vorgesehenen Bibliothekseröffnung spielte hier der Gedanke, Zimelien der Bibliothek einer breiten Öffentlichkeit nicht nur „analog“, sondern auch digital zugänglich zu machen, von Anfang an eine zentrale Rolle: Auf diese Weise sollten nicht nur Besucher:innen der Hauptstadt, sondern gewissermaßen Besucher:innen weltweit Gelegenheit erhalten, Schätze der Staatsbibliothek zu Berlin quasi vom heimischen Schreibtisch (oder Sofa) aus „unter die Lupe“ zu nehmen. Und da zu den bedeutenden Schätzen der Bibliothek die Originalpartitur von Webers Freischütz gehört und die Museumseröffnung ursprünglich im Jahr des 200-jährigen Jubiliäums der ersten Aufführung dieser Oper in Berlin stattfinden sollte, lag es nahe, auch diesen Schatz in die Planungen des neuen Bibliotheksmuseums einzubeziehen. Als die Leiterin der Musikabteilung, Dr. Martina Rebmann, der WeGA von diesen Plänen und den vorgesehenen „Medienstationen“ zu einzelnen Objekten berichtete, kam spontan die Idee auf, die Ergebnisse des zwischen 2013 und 2016 realisierten BMBF-Projekts „Freischütz digital“ (kurz: „FreiDi“) in die Präsentation der „Freischütz-Station“ mit einzubeziehen. Spontan wurde damals eine kleine Arbeitsgruppe mit ehemaligen FreiDi-Mitarbeiter:innen gegründet, und Solveig Schreiter, Johannes Kepper, Daniel Röwenstrunk und Joachim Veit nahmen Kontakt mit Stefani Wiatowski (Liquid Agentur für Gestaltung, Augsburg) auf, die die Konzeption und Planung der Medienstationen betreute. 2020 war noch nicht abzusehen, dass die Eröffnung des dann „Stabi Kulturwerk“ genannten Museums, das auf fast 1.000 Quadratmetern wertvolle Exponate präsentiert, erst im Juli 2022 stattfinden konnte – ebensowenig war der Aufwand abzusehen, den eine solche Medienstation erfordert.

Screenshot der Freischütz Medienstation-Startseite

Gemeinsam mit dem Bibliotheksmitarbeiter Jean Christophe Gero ermittelte und beschrieb Solveig Schreiter zunächst die Objekte, die „live“ in den Vitrinen gezeigt werden sollten – immer unter der Voraussetzung, dass es um Objekte rund um die Freischütz-Uraufführung ging, denn klar war, dass das wertvolle Originalmanuskript der Partitur (wie ähnlich herausragende andere Schätze, so zur Eröffnung u.a. das „Kyrie“ aus Bachs h-Moll-Messe) nur zeitweise in der Ausstellung liegen könnte – geplant ist ein vierteljährlicher Austausch der besonderen Kostbarkeiten innerhalb dieser „Schatzkammer des Museums“. Aber in diesen Fällen könnten den Besuchern die Objekte sozusagen „dennoch“ in den vorbildlichen Digitalisierten Sammlungen der Stabi zugänglich gemacht werden. Genau diese Idee prägte ja auch das Forschungsprojekt „Freischütz Digital – Paradigmatische Umsetzung eines genuin digitalen Editionskonzept“ , das gemeinsam von der Goethe-Universität Frankfurt, den Internationalen Audio Laboratories Erlangen und der Universität Paderborn durchgeführt worden war. Die Originalpartitur Webers stand auch dort – neben den überlieferten autorisierten Kopien – im Mittelpunkt und war im Digitalisat durch einen taktweisen digitalen Zugriff und eine ebenfalls taktweise Vergleichsmöglichkeit mit den Kopien, aber auch den später gedruckten Partituren und dem zeitgenössischen Original-Klavierauszugdruck erschlossen. Daher bildet ein sogenannter „Notentext Demonstrator“ auf der Basis der Edirom -Technik den ersten wichtigen Teil der Station – um Benutzer:innen nicht mit den eventuell verwirrenden vielseitigen Möglichkeiten von FreiDi zu konfrontieren, geschieht dies hier nur am Beispiel von Agathens großer Szene und Arie (Nr. 8 der Oper). Innerhalb der Edirom waren dabei erhebliche Umbauten nötig, mit denen Johannes Kepper und Daniel Röwenstrunk dann die Anwendung auch für Tablets und Mobile Devices tauglich machen konnten. Ebenfalls mit der Edirom-Technik wird ein zweiter Aspekt des Werkes beleuchtet: die Entstehung des Librettos. Hier ist Webers Handexemplar (die Textbuchkopie, die er beim Komponieren nutzte) in den Mittelpunkt gestellt und mit Faksimile, Übertragung und den verschiedenen Schichten von Eintragungen zugänglich.

Die drei weiteren Teile der Station betreffen stärker analytisch-technische bzw. Hör-Zugänge: Um die von Benjamin W. Bohl und Janette Seuffert M.A. konzipierte „Topic Map“ zum Netzwerk von „Referenztexten“ zu verdeutlichen, schien wiederum eine starke Beschränkung auf wenige Aspekte sinnvoll (wer jeweils tiefer einsteigen möchte, kann auf die entsprechend verlinkten Projektseiten wechseln). Daher ist hier ein kleiner Film mit einer Anleitung zu Funktion und Nutzung dieses Tools eingefügt. Nicht fehlen durfte selbstverständlich der sogenannte „syncPlayer“, der als Vorstufe eines Tools zum Interpretationsvergleich von Audio-Aufnahmen entwickelt wurde. Hier ist nun die auch über Edirom erschlossene Nr. 8 in sieben verschiedenen Aufnahmen zugänglich, zwischen denen stufenlos hin- und her gewechselt werden kann, gleichzeitig lassen sich in einem separaten Fenster die Noten im Faksimile oder im MEI-Rendering mitverfolgen. Eine dieser Aufnahmen, die unter spezifischen Bedingungen an der Hochschule für Musik in Detmold eigens für das FreiDi-Projekt erstellt worden war, liegt dem letzten Teil zugrunde: Mit dem „Single Microphone switcher“ kann gezielt der Klang einzelner Instrumente bzw. Instrumentengruppen und der beiden Sängerinnen im Duett Nr. 8 angewählt werden – der umgebende Raumklang ist hier partiell ausgefiltert. Mit diesem Ansatz verband der Leiter des Erlanger Teilprojekts, Prof. Dr. Meinard Müller, die Entwicklung von Algorithmen zur horizontalen und vertikalen Segmentierung von Audio-Aufnahmen.

Schließlich sollten in einem kurzen Begleitfilm sowohl die neuartigen Zugänge von „Freischütz Digital“ als auch die Bedeutung der reichhaltigen Sammlung an Freischütz-Handschriften und -Drucken aus dem Besitz der Staatsbibliothek und insbesondere die Bedeutung der Weberiana-Sammlung und deren Aufarbeitung durch die Gesamtausgabe umrissen werden. Hierfür entwarfen Solveig Schreiter und Joachim Veit zunächst ein grobes Konzept, Mitte August 2021 wurden dann gemeinsam zahlreiche Filmschnipsel als Materialsammlung erstellt. Außerdem stand freundlicherweise Dr. Martina Rebmann für ein Interview zur Verfügung und so konnten sich die Berliner Weber-Mitarbeiterin und der Detmolder Mitarbeiter in für sie völlig neuen Techniken üben, ja Solveig Schreiter erstellte eigenständig eine komplette Rohfassung des Films einschließlich unterlegter Musik. Im Kreise des kleinen Teams wurden die Inhalte anschließend in mehreren Diskussionsrunden „zurechtgeruckelt“ und Johannes Kepper goß das Ganze schließlich in die nun im Kulturwerk veröffentlichte Form. In der Endphase hatten Kepper und Röwenstrunk nochmals alle Hände voll zu tun, um ein reibungsloses Funktionieren aller Bestandteile zu garantieren.

Trotz des nicht geringen Aufwands waren alle im Team am Ende sehr dankbar für die wertvollen Erfahrungen, die sie in diesem Projekt machen konnten, die Mitarbeiter:innen der WeGA und des Projekts FreiDi sind höchst erfreut darüber, dass Weber, sein Werk und die neuen Erschließungsformen in dieser auch optisch ansprechend gestalteten Form im Bibliotheksmuseum vertreten sind. Dank für die allzeit höchst angenehme Zusammenarbeit gebührt u.a. Stefani Wiatowski, Dr. Anke Lünsmann, Felix Ostrowski und Jean Christophe Gero. Die WeGA-Mitarbeiter:innen danken zudem sehr herzlich Dr. Johannes Kepper und Dipl-Wirt.Inf. Daniel Röwenstrunk, ohne deren Einsatz dieses Projekt für sie nicht realisierbar gewesen wäre.

„Oper digital: Carl Maria von Weber. Der Freischütz“ steht nun im Stabi Kulturwerk neben zahlreichen anderen Themen (u.a. zur Gutenberg-Bibel , zu den Brüdern Grimm , zu Erdgloben , Musikalischen Nachlässen , E.T.A.Hoffmann u.v.a.m.) zur freien Einsicht vor Ort oder im Netz zur Verfügung. Und das Autograph kann sowohl in hoher Qualität in den digitalisierten Sammlungen der Staatsbliothek als auch taktweise erschlossen in „Freischütz Digital“ betrachtet werden. Ein herzlicher Dank seitens der WeGA für diese wunderbare Möglichkeit auch an die Staatsbibliothek zu Berlin!

Joachim Veit, Samstag, 24. September 2022

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