Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Dresden, erhalten Dienstag, 17. September 1850

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Da wäre denn die alte Grosmama wieder ins Winterquartier eingerückt! aber leider nicht an Leib und Seele gekräftigt. Die letzte stürmisch, regnerische Zeit hat fast allen Landbewohnern mit Zinsen das Gute wieder entführt was sie eingesamelt hatten, und man hörte in unsern kleinem Kreis nur Klagen über Husten, Schnupfen und sonstige Beschwerden. Ich war die Erste welche vor der rauhen Witterung floh, weil ich wohl von Allen diejenige war welche Pflege und ärtz[t]lichen Beystand bedurfte, denn nicht allein dass sich ein tüchtiger Husten eingestellt hatte, so kehrte auch das böse Uibel, welches mich im Anfang des Somers befallen hatte, mit aller Macht zurück, und da in meiner Apotheke keine Johannisbeeren mehr zu haben waren, so musste ich mich denn wieder zu andern Medikamenten entschliessen welche mir aber gewiss auch so wenig helfen werden als im Juni und Juli. Ich bin eben ein altes baufääliges Haus was dem Einsturz entgegen geht, und darf mich nicht wundern wenn der alte Baumeister da oben nicht mehr reparieren will. Hat es doch der Stürme und Wetter so viel ertragen dass man sich wundern muss dass es noch so lange ausgehalten hat. Der ganze Sommer ist mir eigendlich, mit kleinen Unterbrechungen, ganz ungenügend vergangen, denn auch das Zusammenleben mit Mad. Gerstäcker hat mir der Freuden wenig gebracht. Wie genügsam, und bald zur Heiterkeit gestimt ist man doch in der Jugend, und welche Ansprüche an geistige Genüsse bringt das Alter mit. Was mir sonst an der Frau ganz erträglich vorkam, was ich wenigstens in ihren langweiligen etwas natschigen* Wesen übersah, quelte mich oft, bey dem imerwährenden Beysamensein, auf’s peinlichste und oft schlich ich mich heimlich aus dem Haus und in den Wald um nur den Krittel welcher mich oft befiel, los zu werden. Ja, ja! solche halbe Heurathen nehmen oft ein schlimes Ende, und mögte damit doch ja recht vorsichtig sein. Es ist möglich dass mich in der letzten Zeit, mein Unwohlsein und das schlimme Wetter auch etwas undultsam machte, aber ich dankte Gott wie der Spass vorüber war. — Hier bewohne ich nun mein neues Logie* welches lieb und freundlich ist. Ich habe die schönst Aussicht in weite Ferne und erfreue mich wenigstens daran bey meinem Hausarest. Freylich will der Artzt ich solle viel liegen, aber das ist mir gar so langweilig und ich betrüge ihn zuweilen um mich, wenn auch am trüben Himmel, zu erfreuen! Ich kome auch wenig hinunter zu meinen Kindern wo jetzt wieder Mad. Krause als Besuch wohnt*. Marichen komt oft zur Grosmutter, doch Max wünscht nicht dass sie sich der Mutter ganz entfremdet, und darum schicke ich das liebe Herzens Kind immer bald wieder fort. Besuche habe ich noch gar nicht machen können und wenn das abscheuliche Uibel wieder wie im Sommer monate lang anhält so werde ich wohl viel zu Haus im traulichen Stübchen sitzen müssen. Das Sonderbarste ist, dass noch kein Artzt eigendlich die Ursache des Uibels ergründet hat, und Brückman und Gränzer* das selbst eingestehen. Es kömt und geht ohne dass ich weiss was der Grund ist, nur so viel weiss ich dass es mich sehr betrübt macht und mir allen Lebensmuth raubt. Ihr seht meine lieben Kinder dass ich Euch abermals wieder nur etwas vor lamentieren kann, und dass ihr froh sein müsstet keinen Brief mehr zu bekomen, denn Vergnügen ist nicht mehr dabey zu erwarten. Doch ich weiss ihr habt mich doch lieb wenn ich auch ein armes immer krankes Wesen bin was nichts mehr zu Eurer Erheiterung thun kann. Max hat sich sehr über Wilhelms Brief gefreut, so wie ich mich freue dass die kleine Säure welche sich bey ihm, ich weiss nicht wodurch erzeugt hatte auch gänzlich wieder dem bessern Gefühl Platz gemacht hat. Auch die dummen Misseligkeiten wegen dem albernen Mädchen sind beseitigt. Max ist wieder lieb und gut, und es ist Friede im Hause. Gott behüts + + +. Carlchen hat seit kurzen 4 Zähnchen bekomen, und ist munter und gesund. Die beiden Ma[e]dchen sind es auch. Linchen hat ganz aufgehört zu natschen* und zu brüllen, und wird jetzt ein grosser Liebling von uns allen. Die Fr. v. Quandt* wird von Prag wieder hieher zurückkomen und den Winter hier zu brungen, was mir in mancher Beziehung gar nicht lieb ist. Doch Nettchen hat sie gern, und freut sich auf ihren Umgang und man muss es ihr gönnen dass ihr endlich irgend Jemand einmal zusagt.

Habt Ihr lieben Kinder wirkich noch die Idee im October hieher zu komen? gewiss werde ich mich herzlich darüber freuen aber Brückman will mich, in der, dann vorgerückten Jahreszeit bey meinen Körper-Zustandt nicht reisen lassen er fürchtet es könnte mir plötzlich Etwas zustossen was Euch dann in die grösste Verlegenheit setzen würde, und für mich wäre ein Krankliegen am fremden Ort auch recht qualvoll. Ich hatte diesen Somer schon mit Brauer einmal verabredet Euch zu überraschen, aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Meinen Weg scheint er nun einmal nicht nach Berlin lenken zu wollen, wohl aber an einen hübschen ruhigen Ort wo liebe Seelen meiner warten. Der Weg dahin ist leider nur etwas beschwerlich — Schreibt mir nur recht fleisig denn ihr macht mir damit in meiner Häuslichen Einsamkeit eine grosse Freude. Sagen Sie mir lieber Wilhelm, brauchen Sie jetzt die Partitur des Oberon noch, oder wird Schlesinger sie gar nicht stechen lassen?* wenn das der Fall ist so sind Sie wohl so gut sie mir einmal mit zu bringen.

Gott sey mit Euch Allen – Grüsst und küsst die guten Jungen von der armen Tante Weber. und behaltet sie alle lieb.StetsEure alte Mutter
Weber

Editorial

Summary

Ist in ihr neues Quartier in Dresden gezogen, lobt die gute Aussicht; Brief in wehmütiger Stimmung und Todessehnsucht, Bericht über ihre angeschlagene Gesundheit, Klagen über Mad. Gerstäcker; eine Reise nach Berlin kann sie nicht mehr unternehmen; Freude über evtl. Besuch des Ehepaars Jähns im Oktober; fragt, ob er die Oberon‑Partitur noch braucht, wenn Schlesinger sie nicht stechen wolle, möchte er sie wieder mitbringen

Incipit

Da wäre denn die alte Grosmama wieder

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler; Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Shelf mark: Mscr. Dresd. App. 2097, 136

    Physical Description

    • masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 136 des Konvoluts)
    • 5 S.
    • am Kopf die Notiz: “Empfangen den 17. Sept. 50.”

    Corresponding sources

    • Max Jähns, Familiengälde, S. 348 (Auszug)

Text Constitution

  • baufääligessic!
  • “brungen”sic!

Commentary

  • “… in ihren langweiligen etwas natschigen”Weinerlich.
  • “… ich nun mein neues Logie”Anfang 1850 lebte Caroline von Weber laut Adreßbuch (S. 124) in der großen Plauenschen Gasse 9b; im Adreßbuch für 1851 (S. 144) wird die neue Adresse mit „Röhrhofsgasse 2. II. [Stock]“ angegeben.
  • “… Mad. Krause als Besuch wohnt”Max Maria von Weber ist im Adreßbuch für 1851 (S. 144) unter derselben Adresse wie seine Mutter („Röhrhofsgasse 2. II. [Stock]“) genannt.
  • “… hat, und Brückman und Gränzer”Dr. Woldemar Ludwig Grenser (1812–1872).
  • “… hat ganz aufgehört zu natschen”Weinen.
  • “… allen. Die Fr. v. Quandt”Vermutlich S. von Quandt.
  • “… sie gar nicht stechen lassen?”Nach der Partiturausgabe des Freischütz (1849) verzögerte sich die von Schlesinger angekündigte Partiturausgabe von Oberon und Euryanthe noch viele Jahre (1874 bzw. 1866).

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