Aufführungsbesprechung Wien: “Euryanthe” von Carl Maria von Weber am 26. Oktober 1823, Teil 2/2
Correspondenz-Nachrichten.
Aus Wien.
(Beschluß.)
Wie die Dichterin hier zu viel gethan hat, so hat sie an andern Orten zu wenig gethan, z. B. in der ersten Scene des ersten Aktes. Am Schlusse dieser Scene, wo der Componist ein tüchtiges Ensemble schaffen soll, gab sie jedem der handelnden Personen nur einen Vers.
Adolar singt: Ich bau’ auf Gott und meine Euryanth’.
Lysiart: Ich bringe Dir ein sichres Unterpfand.
Das Chor: Die Unschuld schütz’, o Gott, mit starker Hand! ¦
Wollte der Tonsetzer nun einen wirksamen Schluß hervorbringen, so mußte er natürlich jeden dieser Verse 6 bis 10mal wiederholen lassen. – Noch giebt es einen unangenehmen Klappklang, daß die Dichterin so vielfältig zwei nach einander folgende Verse gereimt hat, und mehrere derselben, z. B.:
Was zischest aus dem Staub du nicht’ger Wurm?
Vasallen! werft den Fremdling in den Thurm!
fielen fast eben so störend auf, als einst in Schikaneders Oper: „Vesta’s Feuer,“ die Verse:
Auf! bindet ihn an Hand und Fuß
Und werft ihn in den Tiberfluß! |
Ich bin überzeugt, daß selbst die beßten Dichter unserer Zeit, wenn sie nicht zugleich selbst musikalisch sind, bei Dichtung einer Oper dieselben Fehler begehen werden, daher es auch kömmt, daß eine gutgedichtete Oper nicht immer zugleich auch eine gut zu componirende Oper ist, und ich will durch die Aufzählung dieser Fehler weder dem Opernbuche der Euryanthe selbst etwas von seinen Schönheiten, deren es in Menge besitzt, nehmen, noch der Dichterin ein Blatt aus ihrem Kranze brechen, aber aufzählen wollte ich sie doch, um zu zeigen, daß manche Stellen, die dem Laien lang und vielleicht auch langweilig scheinen mögen, nicht auf die Schuld des Tonsetzers zu schreiben sind, der seinem einmal gewählten Buche folgen mußte und nichts gegen dasselbe thun konnte und mochte, hätte auch der Effekt dadurch gewonnen. Denn in diesem Falle würde er ein falscher Effekt geworden seyn.
Nun zur Musik!
Wie soll ich Ihnen einen Begriff von dieser herrlichen Tondichtung geben, wie soll ich Töne mit Worten malen? Verstand, Gemüth, Phantasie, regelrechter Satz, Melodie, Charakteristik, Eigenthümlichkeit, Alles geht hier Hand in Hand. – Es ist ein gediegenes Kunstwerk in der umfassendsten Bedeutung dieses oft mißbrauchten Wortes. – Erkennt man den Tonsetzer des Freischützen darin? – Nein, man erkennt ihn nicht, er ist ein Eigner, ein ganz Anderer, er ist der Tonsetzer der Euryanthe. Kein Anklang von andern berühmten Meistern, kein Anklang von sich selbst, nur Klänge vom Gott eingehaucht und von der Handlung und den Worten bedingt; schrecklich malt er die Wuth und Rachsucht Eglantinens und Lysiarts, würdevoll sind die Töne des Königs. Lieblich, zart, angenehm, wehmüthig, schmerzvoll, freudig, sehnsuchtvoll, liebend spricht Euryanthe, den verschiedenen Situationen dieser armen, verkannten Dulderin gemäß zu unserm Herzen, alterthümlich und pomphaft, kräftig und rührend, begütigend und verwünschend, galant und muthig sprechen sich die Chöre aus, kurz Jedes hat seine eigene Farbe und doch hat Alles zusammen nur eine Farbe; dieses Stück ist schön, und jenes Stück ist noch schöner, und doch ist es kein Stückwerk, sondern ein in sich selbst bedingtes, auf allen Seiten abgerundetes Ganzes. Adolar girrt bei der Zyther und raset bei der vermeinten Untreue seiner Geliebten. – Lysiarts Hohn gegen den Nebenbuhler ist eben so klar, richtig und schön durch Töne gemalt, als seine Wuth und sein Rachedurst. – Weber huldigt keiner Schule, keiner Parthei, er huldigt der Wahrheit. Wo Melodie am Platze ist, (ich meine hier nicht die eigentliche Melodie, denn diese ist überall am Platze, sondern das, was unser verweichlichter musikalischer Zeitgeist Melodie nennt) da ist sie auch zu finden, er sucht keine Uebergänge, aber sie finden sich, wo die Leidenschaft einer handelnden Person in eine andere übergeht. Die Kraft (bei uns nennt man sie gewöhnlich musikalischen Lärmen‡) tritt ein, wo sie sich zeigen muß; die Zartheit und Innigkeit spricht aus dem Sang der Liebe. Wollt’ ich etwas rügen, so wäre es dieses, daß der Componist die Geisterverkündigung zur bessern Verständlichkeit derselben vielleicht ohne alle Orchesterbegleitung in Euryanthens Mund hätte legen können. Deutschland wird dieses Meisterwerk hören und bewundern, der Beweis für meine Worte ist nur in der Anhörung zu führen. In einen Bericht kann man nicht eine Opernpartitur einlegen. Das Werk wird stehen und seinen Meister loben, so lange in ¦ Deutschland noch deutsch gesungen werden darf, und Mancher wird erst bei der zehnten wiederholten Anhörung Schönheiten finden, die ihm neunmal durch die Würdigung und Bewunderung anderer Schönheiten entgangen sind. – Es lebe Weber!
2te Frage: Wie wurde die Oper gegeben?
Das Personale unserer Hofopernbühne wirkte mit einer Liebe, mit einer Freude von der ersten Probe bis zur Aufführung zusammen, welche einestheils durch die Gediegenheit des Werkes selbst und die verständige Leitung seines Verfassers, anderntheils auch durch den Gedanken veranlaßt wurde, der sich jedem deutschen Sänger in dieser Zeit aufdringen muß: Es steht Alles auf dem Spiele! – Eine wahre Anekdote ist hier am Platze, welche sich wirklich ereignete und selbst von dem Eifer der Geringsten zeigt. Eine Chorprobe war zu Ende, die Choristen sollten auseinander gehen, die Mittagglocke hatte schon geschlagen, dennoch baten sie selbst den Meister, einen der Chöre, der noch nicht ganz richtig zusammenging, noch einmal wiederholen zu dürfen. – Die Krone der Vorstellung Dlle. Sonntag als Euryanthe. Diese Frische der Stimme, gepaart mit zum Herzen dringendem Ausdruck, reiner Intonation und bedeutender Kraft, eignete sie ganz zu diesem schweren Part. Mit ausserordentlicher Wirkung trug sie ihr Duett mit Eglantinen und den Schluß des ersten Aktes, dann die Arie: „Zu ihm! zu ihm!“ vor und wurde dreimal gerufen. Etwas mehr Deutlichkeit hätten wir ihr bei der früher bemerkten Erzählung des Geisterspruches gewünscht. Ihr zunächst stand Herr Forti (Lysiart). Wir haben ihn lange nicht mit solcher Klarheit und Kraft singen, mit so feiner Nuancirung vortragen gehört. Besonders war sein Recitiren lobenswerth und einige Stellen seines Recitatives wurden laut beklatscht. Auch er wurde öfters gerufen. – Mad. Grünbaum (Eglantine) hat einen schweren, angreifenden Part; sie führte ihn mit Kraft durch, nur war auch sie sehr oft unverständlich und übernahm sich ein paarmal aus zu großem Eifer. Nach einem Duette mit Lysiart wurde sie gerufen. – Hr. Seippelt (König) wirkte zum Gelingen des Ganzen. – Hr. Heitzinger (Adolar) war leider nicht an seiner Stelle. Dieser junge Mann wurde durch die Rossinischen Opern an sich selbst – und vielleicht eben dadurch auch das Publikum an ihm – irre. In den hohen Corden hat er eine angenehme Stimme; diese hohen Corden braucht er nun in Rossinischen Tenorparthieen und erwarb sich dadurch großen Beifall, nun aber, da er in dieser Oper einen eigentlichen Tenor singen sollte, bemerkte er und auch das Publikum, daß es damit nicht gehe. Er strengte sich übermäßig an und wurde dadurch nicht selten kreischend. Die Chöre waren über alle Beschreibung vortrefflich. – Bei der scenischen Ausschmückung hatte die Direktion keine Kosten gespart, und Hr. v. Stubenrauch, der Costumier, sein Bestes gethan.
3te Frage: Wie wurde die Oper aufgenommen?
Antwort: Mit Furore. (Ich wähle hier mit Willen das italiänische Wort.) Alle Musikstücke wurden beklatscht. Der Jäger-Chor mußte dreimal wiederholt werden. Weber wurde viermal, Mlle. Sonntag dreimal, Mad. Grünbaum zweimal, Herr Forti zweimal gerufen. Geklatscht wurde und gelärmt. Aber das alles nur von dem Parterre und den Gallerieen. In den Logen rührten sich sehr wenige Hände.
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung der Euryanthe in Wien, Teil 2/2
General Remark
Zur Autorschaft der Besprechung vgl. Brief von H. v. Chézy an K. Th. Winkler vom 31. Januar 1824
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Jakob, Charlene
Tradition
-
Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 7, Nr. 266 (6. November 1823), pp. 1063–1064