Carl Maria Webers Oberon (Teil 2/3)
Ueber Musik und Musikverwandtes.
Mit Bezug auf die eigenen Umgebungen.
Von Dr. R. O. Spazier in Dresden.
(Fortsetzung.)
VI. Carl Maria Webers Oberon.
Ueber den Werth des Oberon als musikalisches Kunstwerk entscheidet weder das Entzücken der LeipzigerT, noch das gänzliche Missvergnügen der Frankfurther, und weil eben die Ausstattung einer Oper etwas Zufälliges, nothwendig doch Ausserwesentliches, zuerst von dem Reichthume einer Bühne und dem mehr oder weniger splendiden Sinne ihrer Unternehmer Abhängiges ist, kann daher weder das grosse Wohlgefallen der Leipziger für ihren musikalischen Kunstsinn ein grosses Lob, noch für die Frankfurther das Missfallen einen Tadel begründen.
Wir sehen also, wie bei der Beurtheilung des Oberon und seiner Aufnahme an den verschiedenen Orten zwei Partheien betheiligt sind, einmal der für den Werth der Oper, das anderemal, der für den Zustand des Kunstsinnes des sie empfangenen Publikums, daraus zu ziehende Schluss. Es wird folglich bei keinem mehr die Kunstwissenschaft die, mit ihrem inneren und äusseren Wesen in allen ihren Theilen, nothwendig hervorgehenden Wirkungen zu untersuchen haben, weil ihr zugleich selten in solchem Masse wieder Gelegenheit werden dürfte, das Wesen des dramatisch musikalischen Gedichts und der dramatischen Musik in ihrer Wechselwirkung zu entwickeln, und dadurch zugleich Webers Kunsthöhe, dessen letztes Werk es war, dadurch anzudeuten.
Möge es dem Referenten vergönnt sein, einen geringen Beitrag hiezu zu liefern. ¦
2. Einheit des Planes nicht nur, sondern aller ausgeführten Theile, mithin auch der Wirkung ist wohl die erste Forderung, die an ein grosses Kunstwerk gemacht werden muss. Diese Bedingung ist schon unerlässlich bei solchen Schöpfungen, deren Medium nur ein einfaches ist, wie in der Poesie die Sprache, in der Malerei die Zeichnung und Farbe, in der Bildhauerkunst der Marmor und das Metall, in der Baukunst der Stein – schon hier ist es von der störendsten Wirkung, wenn irgend ein Theil nicht im Verhältniss zu der Alles übrige unterordnenden Idee des Ganzen steht, und vor den übrigen hervortritt, selbst wenn er ein wesentlicher Haupttheil des Ganzen ist. Wir sagen, die nothwendige Harmonie ist verletzt, wenn in einem Drama eine Person, selbst wenn es der Hauptcharakter, nicht von der Bühne herunter kömmt, wenn er in Declamation, in Monologen, seien sie auch Meisterwerke der Gedanken und der Diction sich zum Nachtheil des Ganzen und der ürbigen Personen erschöpft; ist es gar eine z. B. komische oder humoristische mit zu grosser Vorliebe und zu lang ausgemalte Nebenperson, ist von einem eigentlichen Kunstwerk so gar nicht einmal die Rede: – wir sagen ferner die Harmonie ist verletzt, wenn auf einem Gemählde der Madonna etwa eine Gardine oder ein Stuhl mit solchem auffälligem Farbenglanz und solcher Ausführlichkeit behandelt ist, dass es jeden Vorübergehenden, fast allein aus dem Ramen heraustretend zu sich hin zwingt, und von der Madonna gewaltsam ablenkt. – In diesem Falle wird der Maler sich um die ganze Wirkung seines Gemähldes bringen, wenn er anders nicht aus Charlatanerie diese Dinge benutzte, um dadurch, wie durch einen an einem Hause angebrachten Weinkranz, die Leute zu sich hinzuladen. – Aber vor Allem ist diese Harmonie da von Nöthen, wo mehrere Medien vereint zum Aussprechen einer Idee angewandt werden, wie Musik, Poesie und Malerei in der Oper. Diese Kunstgattung hat durch diese vereinte Mittelanwendung eben die grösste Wirkung unter allen Künsten, sie hat sie von Nöthen, weil dramatische Musik eine Sprache ist, die zwar unsaglich wirkt, die aber den Meisten nach unserem Scenenbau und nach ihrem Wesen ewig unverständ- ¦ lich bleibt, wenn nicht Malerei und Poesie zugleich die Schwingen sind, die sie vernehmlich in unsre Seele hineintragen. Da aber Musikwirkung ihr oberster Zweck ist, sind ihr Poesie und Malerei nur Dienerinnen; erscheint nun in der Oper Poesie und Malerei so, dass nur auf einen Augenblick man die Musik vergessen kann, so, dass man nicht durch sie im Gegentheil die Macht und Wirkung nur lebhafter empfindet, nicht sich sogar ihrer bescheidenen Mitwirkung im Augenblick der höchsten Erregung unbewusst ist, – dann ist ein solches Missverhältniss vorhanden, das in dem wahren für Schönheit und ihre Wirkung empfindlichen und durch die Natur zu diesen herangebildeten Menschen nothwendig jedesmal ein Misbehagen erzeugen muss. Wir haben in dem Muster aller Opern, für alle Völker und Zeiten auch dafür das schlagendste Beispiel. Betrachten wir in der Kirchhofscene des Don Juan die blosse Maschinerie, die Statue des Comthur. Sie ist anfangs, so lange sie schweigt, uns ein fast gleichgültiger Gegenstand, sie muss es als blosses plastisches Bild in der Oper; der Dichter mit seinem Plan tritt hinzu, sie nickt – hier ist schon Steigerung, wir fangen an uns zu entsetzen – sie singt – und nun erfasst uns das Grauen in der höchsten Potenz, wir sind uns der einzelnen Mittel der Wirkung nicht mehr bewusst, die grausen Töne durchtönen unser Ohr, unsere Seele, es ist uns nun klar, dass uns ein Geist erschienen ist, der mit dem, für die Seele ergreifendsten Mittel, mit Tönen, in unser Leben hineingreift. Dass wir dies Geisterwehen tiefer, körperlicher empfinden, das ist die Wirkung der Plastik, hätte ohne körperliche Erscheinung hinter der Scene irgend etwas dieselben Töne gesungen, sie wären ohne Schrecken an uns vorübergegangen; wir fühlen das aber erst lange hinter her; in dem Augenblick erliegen wir der durch die Musik ausgedrückten Geisterwelt – und das ist der Zweck des Kunstwerkes, den es mit Hülfe jener Mittel in diesem Grade erreichte. –
Wir müssen aus diesen Gründen daher schon dem Oberon jenes erste Erforderniss eines Kunstwerkes absprechen, weil aus den Resultaten zu deutlich sich ergeben hat, dass er schon in der ¦ überwiegenden Pracht der Scenerie Theile hat, die abgesondert von den übrigen wirken, ja die für sich allein eine ganze Classe von Menschen in Entzücken versetzen, die nothwendig der Musik in diesem Werke eine genügende Aufmerksamkeit weder schenken können, noch mögen. Wir werden um so strenger unsern Tadel darüber aussprechen müssen, weil durch dies eine hervorragende, das Publikum auf das Auffallendste verwöhnende und verderbende, durch einen Namen wie Weber’s sanktionierte, Beispiel es den neuern jüngern Componisten um so viel schwerer gemacht wird, nicht nur mit einer einfachen Musik in das Publikum zu dringen, sondern mit einer Oper auftreten zu können, da sie nicht berühmte Namen für sich haben, die Direktionen zu einem nun immer mehr erforderlichen Aufwande, zur Ausrüstung und in die Bühne Setzung jener Werke, zu vermögen.
Wir haben uns vorgenommen, so viel möglich von dem Oberon Gelegenheit zu nehmen, über die allgemeinen Gesetze der musikalisch dramatischen Kunstwerke zu sprechen. Es möge daher erlaubt sein, auf einen Einwurf Rücksicht zu nehmen, den man uns wegen der Schlüsse, die wir aus dem Entzücken der Menge an der Scenerie ziehen, gemacht werden könnte. Je grösser und glänzender in seinem Werthe ein musikalisches Kunstwerk dasteht, könnte man sagen, desto hervorstechender werden auch seine einzelnen Theile an sich sein müssen, jeder Theil wirkt entschieden mehr oder weniger vorzugsweise auf einen Theil der Menschen, und es ist daher nothwendig, dass die Scenerie des Oberon dem grossen übrigen Theile des Werkes gemäss von ebenso vorzüglicher Wirkung sein, und daher unbeschadet des Ganzen einen Theil des Publikums in besonderes Entzücken versetzen müsse. – Es ist dies zugleich eine jetzt allgemein verbreitete Meinung, dass es vorzüglich nöthig ist, das was wahr und falsch darin ist, zu untersuchen.
Allerdings wird ein Kunstwerk desto grösser sein, je mehr es in seiner Wirkung die verschiedensten Menschen, von dem höchsten bis zu dem niedrigsten hinunter, in seinen Theilen in Anspruch nimmt, weil es eben dadurch desto grösser ist, je mehr es die ganze Welt in sich repräsentirt. Ja es wird sogar dieses in Anspruchnehmen aller Klassen ¦ von Menschen, das Kriterium eines Werkes vom höchsten Range sein müssen, eines Werkes, wo der Geringste Anklänge für sich findet, die ihm eben um somehr imponiren, je weniger er sie begreift; indem er auch hier sieht, wie über seine kleinen Freuden und Bestrebungen sich ebenso, wie in der grossen Welt, der Sternenhimmel wölbt, indem er auch hier findet, wie das Grosse sich stets mit dem Kleinen paare, wie eben das Geringe und Gewöhnliche durch diese Verbrüderung das Erhabene zu ihm hinzieht und dieses sich durch jenes ihm vertrauter und heimischer macht. Aus diesen Gründen ist eben die, von Vielen angegriffene Vermischung verschiedener Arten einer und derselben Kunst, nothwendige Bedingung eines, zur höchst möglichen und ausgebreite[t]sten Wirksamkeit der Versinnlichung einer Idee – doch der Zweck jeder grossen allgemein menschlichen Erscheinung der Kunst – bestimmten Kunstwerks in der Poesie, durch Vermischung des Komischen und Kleinen mit dem Ernsten im Tragischen – in der Musik des Leichten, Komischen mit dem Tiefen und Erhabenen, in den möglichst verschie[de]nen, nach diesen Bedingungen sich richtenden, Stylen, Rhythmen und Tonarten. Darum sind ja die Shakespear’schen Dramen und der Don Juan von so ewiger, unendlich ergreifender allgemeiner Wirkung. Und nur in der Theorie der Malerei war bis jetzt noch jener Unterschied auf das strengste festgehalten worden, und dort nur bildet ein Tenier und eine ausgeführte Schüssel mit Blumen u. s. w. den grellsten Widerspruch mit einer Madonna. Aber würde selbst da nicht eben jene Madonna uns noch rührender, heimischer, wirkender erscheinen müssen, fänden sich neben den Insignien der göttlichen Verherrlichung noch die Kleinen mit emsiger Liebe ausgeführten Zeichen der menschlichen Häuslichkeit? Drückte sich uns nicht ein mit den kleinen Spielen der Kinder sich beschäftigendes Iesuskind näher ans Herz; besteht nicht eben das hohe heilige Mysterium des Christenthums in der Menschwerdung Gottes, die in der Hinzufügung menschlicher Attribute am anschaulichsten wird; feiern wir nicht das Sacrament am heiligsten, das uns daran erinnert, dass der Heiland wie ein Mensch mit seinen Iüngern ass und trank? – (Schluss folgt.)
Editorial
General Remark
Der gesamte Oberon-Bericht ist Teil 6 der Reihe: “Ueber Musik und Musikverwandtes. Mit Bezug auf die eigenen Umgebungen”
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Ziegler, Frank
Tradition
-
Text Source: Münchener allgemeine Musik-Zeitung, Jg. 1, Nr. 32 (10. Mai 1828), col. 506–510