Aufführungsbesprechung Mannheim: “Julius Cäsar” von William Shakespeare am 28. Januar und “Zaire” von Christian Ernst Graf von Benzel-Sternau nach Voltaire am 17. Februar 1811 in Mannheim (Teil 1/2)

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Hof- und National-Theater in Mannheim.

Am 28. Januar: (zum erstenmal) Julius Cäsar*, Trauerspiel in 5 Aufzügen. Nach Schlegel frei bearbeitet.

Am 17. Febr. (zum erstenmal) Zaire*, Trauerspiel in 5 Aufzügen nach Voltaire, von C. E. Grafen von Benzel-Sternau.

Daß diese Urtheile über Shakespear’s Julius Cäsar und Voltaire’s Zaire so spät nach der Aufführung dieser Stücke erscheinen, erklärt sich von selbst;* ihr Erscheinen überhaupt rechtfertigt sich in so fern sie etwas Wahres enthalten.

Die Freude war allgemein, als die brittische Muse seit langer Zeit* wieder zum erstenmale eine Gastrolle auf unsrer Bühne übernahm, als Shakespear’s Julius Cäsar gegeben ward. Konnt’ es auch anders seyn? Das Hohe und Herrliche regt den Sinn des Deutschen lebendig an, es sind ihm verwandte Töne, und die Saiten seiner Seele tönen mit im gleichen Accorde.

Shakespear’s Julius Cäsar ist ein bis zur Bewunderung treues historisches Gemälde, aufgefaßt im poetischen Widerscheine. Die alten Römer mit ihren Größen und Schwächen, das Volk mit den ausserordentlichen Eigenschaften, die es zum Beherrscher der Welt gemacht und ihm seinen eigenen Untergang bereitet, sehen wir noch einmal lebendig an uns vorüber geführt. Shakespear zwingt mit heiliger Gewalt die Todten aufzuerstehen, und beschwört die abgeschiedenen Geister noch einmal, Stimme von sich zu geben. So heldenmüthig und edel sprach ein Brutus, so prahlte ein Cäsar, so zartliebend und patriotisch stark war eine Portia; die Zuckungen der sterbenden Tugend sind eben so meisterhaft geschildert, als ihre Henker, Luxus und Herrschsucht. Mitternächtlich schauerlich ist die Verschwörung und doch kühn auftretend, des edeln Zwecks sich bewußt; Brutus und Cassius bewähren im Tode die Reinheit ihrer Triebfedern. – Dieses Stück nennen die französischen Dichter ein Ungeheuer!*) – Freilich der Zwerg erschrickt leicht vor dem Riesen – : aber worin besteht denn diese angebliche Monstruosität; darin, daß Shakespear nicht alle zum Theil schalen Regeln befolgt hat, von denen man so häufig ohne allen Sinn blos auf Auctoritäten gestützt den Mund voll hat. Es ist ja keine Einheit der Handlung beobachtet, schreit man, welch ein Chaos! Freilich, setzt man die Einheit der dramatischen Handlung darein, daß immer nur Eine Handlung an der Zahl in einer Tragödie geschehe, dann steht es übel um Shakespear; Cäsars Tod, die Schlacht bei Philippi, Brutus Tod sind lauter einzeln verschiedene Handlungen. Aber wer möchte wohl mit einer nackten Handlung ohne alle dramatische Entwickelung derselben sich begnügen wollen? und doch kann diese Entwickelung nur wieder in mehrern, wenn auch noch so unbedeutenden Handlungen bestehen, falls man nicht an die Stelle lebendiger Darstellung, um doch den Zuhörer ein wenig au fait von dem Zusammenhange zu setzen, langweilige Erzählungen treten lassen will, wie man sie leider so häufig in französischen Tragödien antrift.

Nicht im Einzelnen kann daher die dramatische Einheit liegen, sondern im Einen, d. h. in der Darstellung eines für die Seele auffaßlichen Ganzen; dieses mag nun in noch so viele Theile und Handlungen zerlegt werden können: desto schwieriger wird nur die Aufgabe seyn, sie zu einem Ganzen zu verbinden.

Von diesem Gesichtspunkte aus wird sich Shakespear’s Julius Cäsar vollkommen rechtfertigen; alles greift ineinander, nichts ist überflüssig, nichts unzusammenhängend, nichts kann am Gemälde gestrichen werden. Brutus ist der Haupt-Charakter des Stücks; nicht der fallende Cäsar, sondern der fallende Brutus konnte das Gemüth tragisch in Anspruch nehmen, nicht der Tyrann, sondern die unterliegende Tugend. Shakespear hat die poetische Seite dieser Weltbegebenheit aufgefaßt, das schöne Bild der im Tode sich rettenden Freiheit: konnte er daher anders schließen, als mit Brutus Tode? wurde nicht dieser durch jene höhere Ansicht zur Hauptsache, und sank dadurch nicht von selbst Cäsars Tod zur bloßen vorbereitenden Entwickelung der Endkatastrophe? Warlich man begreift es kaum, wie Voltaire diese Schönheiten nicht fühlen konnte, und besser mit Cäsars Tode in seinem aus dem Englischen entlehnten Stücke* zu schließen glaubte. Wie kalt und unbefriedigt bleibt der Zuschauer dabei! Wie fühlt man die drückende Ungewißheit über das Schicksal so großer Menschen und über ihre höhere Rechtfertigung! Aller Affekt, in den man dabei gerathen könnte, besteht in einigem Unwillen gegen den Autor, der in einer solchen Verstümmelung eine Verbesserung zu finden glaubte.

Aber, schreit man weiter, wie ist es denn mit der Einheit des Orts und der Zeit? Erst ist man in Rom auf den Straßen, im Capitol, dann gar in Griechenland; mein Gott! und das alles in einem Abende, wie unwahrscheinlich! wie geht da alle Täuschung verloren! – Freilich unwahrscheinlich, ja für die ordinäre Post ganz unmöglich. – Aber ist es denn nothwendig, daß die Poesie den Schneckengang des trägen Alltagsleben gehe, und daß die prosaische Wahrscheinlichkeit in die Gebilde der Phantasie aufgenommen werde? Welche Täuschung fordert man denn von dem tragischen Dichter? und finden sich in diesem Sinne nicht hundert Unwahrscheinlichkeiten die theils nicht zu beseitigen sind, theils absichtlich erscheinen, wie z. B. daß die heftigste Leidenschaft sich in Versen ergießt? Nicht die Sinne sollen durch die Poesie getäuscht werden, sondern die Seele, und dies ist, leider! gerade die Täuschung, auf die sich so wenige Dichter verstehen. Aus dem schweren Reiche der Formen soll sie den Menschen emportragen in leichtere schönere Regionen, daß er auf Stunden vergesse, wie trübe es unten ist. Die Seele hat einen andern Maßstab für Zeit und Wahrscheinlichkeit; und wie wir uns im Traume mit Blitzesschnelle von einem Orte an den andern versetzen, und alles leicht vereinigen, was uns im wachen Leben wundern könnte, so auch in der Poesie: denn sie ist nur ein schöner Traum von einem höhern Seyn. O es ist schlimm, wenn der Dichter so tief an dem Boden der Wirklichkeit mit seinen Flügeln schwebt, daß der Zuschauer die Erde gewahr wird, und, entzaubert, sich wieder nach Raum und Zeit erkundigt!

Voltaire vermeidet zwar sehr sorgfältig in seiner nachgeahmten Tragödie die oben eingewandten Unwahrscheinlichkeiten, begeht aber dagegen andere dem Gemüth viel empfindlichere. Er schließt nach dem Tode Cäsars mit der herrlichen Rede des Antonius* an das Volk aus Shakespear und bekümmert sich weiter nichts mehr um seinen Brutus; der Schauplatz ist auf dem Capitol, und alles lebt da untereinander; man verschwört sich, während Cäsar aus und einlauft, und in drei Stunden ist man mit allem fertig, und Cäsar todt. – Das heißt freilich viel geleistet in so kurzer Zeit!

Nun noch einige wenige Worte über die hiesige Darstellung.

der Beschluß folgt

[Original Footnotes]

  • *) Théâtre de Voltaire. Paris, 1764. T. III. p. 4.*

Editorial

General Remark

Zuschreibung: Sigle; Text außerdem enthalten im Nachlaß Duschs (GLA Karlsruhe, N. v. Dusch 8) Kommentar: Zu Julius Cäsar vgl. auch eine weitere Kritik von Dusch (1811-V-16); die Aufführung der Zaire erwähnt auch G. Weber in einer Korrespondenz-Nachricht in der Zeitung für die elegante Welt (1811-V-09).

Creation

Tradition

  • Text Source: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 7 (7. März 1811), pp. 26–27

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