Aufführungsbesprechung Berlin: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber am 18. Juni 1821 (Teil 2 von 3)

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Berlin. (Fortsetzung.) Das nächste Musikstück ist Caspars Gesang, der über das hoffentliche Gelingen des bösen Planes jauchzt und zugleich den Schluß des Aktes bildet. Im Gesange mit der lodernden Unruhe ausgestattet, womit die Unheimlichkeit die Brust des Verbrechers ausfüllt, ist auch die In|strumentirung ganz in diesem Sinne und als verwebtes Musikstück würde es seinen Zweck vollkommen erreichen. Ob es aber als Schluß eines Aktes an rechter Stelle ist? – darüber läßt sich, auch bei dem besten Willen, dem Gewöhnlichen den Einfluß zu versagen, dennoch zweifeln. Ohne andere Ideen damit beschränken zu wollen, war es uns, als wenn das Zwischen-Gemurmel der Hölle, deren Einwirkung kurz vorher durch ein Gelächter kund wird, die Spannung für diesen Schlußgesang hätte erhöhen können, und die vorhandenen Worte schließen auch schon die Freude der satanischen Mitgenossen ein, würden also die Nähe eines dumpfen Chores rechtfertigen. Wohl möchte man dagegen äußern: der geehrte Componist habe, da er im zweiten Akt die unsichtbare Hölle im Chor vereint, sich nicht Steigerungen nehmen wollen. Aber erstens würde sie bei jenem Schluß in anderer Stimmung seyn und noch in weiterem Hintergrunde bleiben, auch in der Folge (wie wir andeuten werden) vielleicht ein bestimmtes Heraustreten heilsam wirken; zweitens nährt eben dieses stete Bereitseyn eines geheimnißvollen Treibens – zwischen welches der Erdball und die Nacht gelegt ist, um es den prüfenden Blicken der Menschen zu verbergen – in dem Zuhörer die Erwartung, das einzige Element, auf welchem für die jetzige Zeit das Interesse solcher Mährchen-Gebilde sich erhalten kann, während des Bösen Erscheinung am lichten Tage (sie ist mit Recht in der letzten Vorstellung seltener geworden) gar leicht verkehrten Effekt hervor bringt. – Der zweite Akt eröffnet sich mit einem Duett Agathe’s und Annchens, das für den Componisten eben so sehr den Reichthum des Humors als des Gemüths bezeugt und von rascher Wirkung ist. Bei einer Erinnerung an eine frühere Composition Weber’s, welche hier anklingt, geht es uns auch, wie mit mancher Melodie dieser Oper: wenn wir glauben, dort eine Reminiscenz gefunden, hier eine Melodie zu haben, die wir auch gegeben hätten, so spottet er unserer durch eine neue originelle Wendung und zeigt glänzend seine Uebermacht. – Ein Lied Annchens folgt jenem Duett; – was der Componist für das Lied ist, wissen wir zu allgemein, als daß es hier noch zu erwähnen wäre; aber eben diese, ihm überall zuerkannte Auszeichnung bezeugt mehr seinen Beruf, als irgend etwas; denn es beweiset, daß er der Zustände des menschlichen Gemüths Herr geworden, daß im Getriebe des Lebens viel in ihm vorgegangen und er seine Musik psychologisch stützen will, obwohl er auch nicht davon abweichet, daß auf dem Erdengrund eine Seele ohne Fleisch und Blut nicht von andringlicher Wirkung seyn kann. Weil nun allerdings der Componist im Fortstreben sich immer klarer geworden ist, so meinen wir auch, daß manches Baroke, welches man sonst ihm vorrückte, und so auch manche anscheinende Reminiscenz, bei so geistreichen Kräften uns oft nur als ein Anschlag vorgekommen ist, die Schärfe unserer Beobachtung ein wenig stolpern zu lassen, weshalb wir denn bei solcher Schalkheit auch mit der Kritik stets auf unserer Huth seyn müssen. Dies haben wir, unter Anderem, nöthig, bei dem componirten Monolog der Agathe, der, wenn wir ihn lesen, uns zwar ein hübsches Gedicht, aber viel zu lang dünkt für einen Opern-Moment; der Componist aber macht uns dies so glücklich vergessen, daß es in jeder Hinsicht ein herrliches, und zugleich ein recht dramatisches Musikstück geworden ist, dem es das folgende Terzett kaum an innerem Leben gleich zu thun weiß, trotz der gegen einander stürmenden Aufregungen. – Den übrigen Theil des zweiten Aktes füllen die Beschwörungen u. s. w. und hier hauptsächlich wird es deutlich: daß Kind’s Phantasie sich auf andern Fittigen tragen läßt, als jene sind, welche, an die Pforten der Hölle schlagend, diese vor unserer Einbildungskraft öffnen: denn es bleiben fast nur äußerliche Mittel, welche die Schilderung vollbringen sollen. Dies war – wir können natürlich nichts thun, als treu unsere Ansicht geben – der wahre, der einzige Mo¦ment, wo es mit den Höllengeistern zu einer wirklichen, großartigen Erscheinung kommen durfte: es mußte in der Mitternacht das satanische Treiben ins Leben sich eindrängen, nicht bloß Dekoration statt Dichtung eingeschoben werden. Der Componist hat die flüchtige Muse zu erfassen gesucht, wo er es vermochte; der ferne Geister-Chor und die Worte ihres herbei gerufenen Beherrschers haben diejenige Monotonie, welche uns darthut, daß es hier für alle zarten Blüthen der Musik keinen Boden giebt; und ein Verschmähen und Entweichen aller Melodie verkündet die niedere Sphäre der eben gebietenden rohen Gewalt. Auch in den Schluß-Scenen, die meist nur die Instrumentirung in Anspruch nehmen, bleibt eine Kahlheit in der Dichtung, wie markvoll der Componist sich vor die Lücken stellen mag. – Der dritte Akt wird, nach einer Zwischen-Musik, durch motivirende Notizen eingeleitet, welche der Tonkunst gar nichts bieten, was wir für die Oper mangelhaft finden. Wenn man sich jedoch dafür dürfte entschädigen lassen, so geschieht es in der nachfolgenden Scene, welche Agathe mit einem frommen, von Dichter und Componisten gleich schön gehaltenem Liede beginnt. Welch eine völlig und augenblicklich entschiedene Wirkung es hervor bringt, wenn Wort und Musik so ganz Eines sind, das können wir überhaupt in dieser Oper mehrmals bemerken; und so bewährt sich denn auch hier Kind als Dichter, ob wir über die allgemeine Auffassung auch nicht immer einverstanden sind. – Das Erscheinen der Braut-Jungfern – nach einer launigen Romanze Annchens, die allerliebst gedichtet und componirt, aber dem Colorit des Ganzen nicht vortheilhaft ist – hilft dem Componisten, durch ein wundersam ächtklingendes Volkslied, zu einem neuen psychischen Triumphe; gegen die Scene selbst läßt sich jedoch erinnern: daß vor dem Probeschuß Agathe wohl nicht bestimmt als Braut begrüßt werden kann. Wir haben im Eingang dieser Beurtheilung über den Haupt-Moment dieser Scene, in Bezug auf Annchen, schon gesprochen, und bemerken nur noch: daß es uns war, als dürften, vor dem Wieder-Aufnehmen jenes Volksliedes, die beiden Mädchen uns die Spannung ihres Gemüths über die Umwandlung des Brautkranzes in einen Todtenkranz nicht verschweigen; ja, es würde auf einer dunkleren Tongebung die verstimmte Freude noch volleren Ausdruck empfangen haben. – Köstlich ist der Jäger-Chor, womit die Catastrophe ihren Anfang nimmt: der Drang hinaus zur That, ja zum Abentheuer springt aus der Melodie kräftig hervor. Von da an scheint indessen auch dem Componisten eine recht bestimmte End-Richtung nicht vorgeschwebt zu haben; der Dichter hält ihn auf mit ängstlicher, zerspaltener Entwickelung, und wir erklären unbedenklich: daß – auch angenommen, es sey eine tragische Wendung nicht nöthig – gleich nach dem Tode des Caspar der Eremit das Resultat bereiten müsse: denn das vorherige Einschreiten des Fürsten mit einem eigenen Urtheil, das ihm vom Eremiten doch verändert wird, ist unnütz und läßt uns den, musikalisch wieder recht kräftigen Schluß – zu lange erwarten. – So hätten wir uns nun dieses neue, merkwürdige Werk eines, den Deutschen schon recht lieb gewordenen Componisten in allen Einzelheiten betrachtet und zwar deshalb so ausführlich, weil wir eben auf Maria v. Weber unsere Blicke zuerst wenden, wenn die Rede ist von dem Fortschreiten auf dem Wege, welchen deutsche Musik erwählte, um ihre Eigenthümlichkeit zu bewahren und immer sicherer zu stellen. Consequent in seinem Erfassen, forschend in seinem Wissen, vermeidet er überall die Einseitigkeit; wagt auch einmal etwas auf die Gefahr, von denen, die ein Casten- und Etiketten-Wesen selbst in der Kunst begründet glauben, für wunderlich gehalten zu werden, wenn sie ihn in irgend einen Genre eingeordnet haben, und er sich dann erkühnt, aus ihrer engherzigen Classifizirung heraus zu springen. (Der Schluß folgt in der Beilage.)

Beilage: Zeitung der Ereignisse und Ansichten.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Berlin: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber am 18. Juni 1821 (Teil 2 von 3). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe, der nächste in der Beilage dieser Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Der Gesellschafter, Jg. 5, Nr. 106 (4. Juli 1821), pp. 491–492

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