Brief von Carl Maximilian Kind über Webers Tod vom 6. Juni 1826

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Korrespondenz und Notizen.*

Aus London, den 6 Juni *).

– – – Gestern starb ein großer Mann: Carl Maria von Weber! Fühlen Sie, mein theurer Freund, was ich leide und gelitten habe, da ich nicht blos als Arzt, sondern auch als Freund durch persönliches Interesse an den großen Todten gefesselt war. Doch ich will Ihnen, wo möglich, alles ruhig erzählen: Weber, der wohl schon früher Neigung zur Luftröhren- und Kehlkopf-Schwindsucht hatte, ward auch hier wieder von einer, dieser ähnlichen, Krankheit der Athmungs-Werkzeuge befallen, welche nur dadurch im Allgemeinen modifizirt ward, daß eine allgemein erhöhte Nerven-Reizbarkeit mit Neigung zu Krampfbewegungen und überhaupt zu nervösen Leiden dabei Statt fand. – – – Die Prognose stellte ich gleich Anfangs bedenklich, und, wenn ¦ der Kranke in England bleiben würde, sehr ungünstig. Vor ungefähr drei Wochen entstand Geschwulst der Füße, die auch zugleich mit Petechien bedeckt waren; in den letzten Tagen häufige Anfälle von Stickfluß, heftige, unbezähmbare Diarrhöe, kalte Nase, Ohren und Gliedmaßen, Zittern der Glieder, zitternder Puls; dabei jedoch sanfte, weiche Haut, freier Kopf, feuchte Zunge, immer guter, erquickender Schlaf. Die völlige und bis zu seinem Tode anhaltende Heiterkeit des Geistes, und die von aller Ahnung des Todes freie Stimmung täuschten mich mit den letztgenannten Symptomen in soweit, daß ich seinen Tode nicht so sehr nahe glaubte. Bei der Leichen-Oeffnung, die ich in Gegenwart eines deutschen Arztes, des Dr. Jeniken, und eines englischen, des Dr. Frobes, anstellen ließ*, zeigte sich ein Geschwür in dem Kehlkopfe, die linke Lunge sehr, die rechte weniger knotig, und einige Eitergeschwüre in den Lungen, von denen das eine die Größe eines Hühnereies hatte. Das einstimmige Urtheil der gegenwärtigen Aerzte ging dahin, daß die Krankheit unheilbar, und der Tod unter diesen Umständen durchaus unvermeidlich gewesen sey, ein Zeugniß, daß ich sogleich zu meiner eigenen und zu aller Freunde des Todten Beruhigung schriftlich niederlegen ließ. – Ich war mit Weber sehr genau bekannt, und nächst den Herren Fürstenau und Göschen fast der Einzige, der in der letzten Zeit seiner Krankheit beinahe beständig um ihn war. Das herzliche Dankgefühl, das der Kranke uns dafür oft durch Blick und Wort bezeigte, ist in dem jetzigen Zustande der Trauer ein großer, lindernder Trost. Daß ich oft und zuweilen recht dringend gegen den Kranken den Wunsch äußerte, einen zweiten Arzt zu Rathe zu ziehen, können Sie denken, aber es war immer vergebens; was theils auf dem Mangel an Zutrauen auf alle Medizin, theils auf der gänzlichen Unbekanntschaft des Kranken mit seinem wirklichen Zustande, beruhen mochte. Die Heiterkeit seines Geistes dauerte bis zu dem letzten Augenblick, wie die Milde und Ruhe, die auf dem Gesichte des Todten liegt, unverkennbar zeigt. Noch wenige Stunden vor seinem Tode bestand er auf seinem seit ungefähr acht Tagen gefaßten Vorsatze, den 7. Juni die Rückreise nach Dresden anzutreten, zu der ich ihm jedoch natürlich meine Einwilligung immer verweigert hatte, weil ich überzeugt war, daß er den ersten Tag seiner Reise nicht überleben würde. Er starb in der Nacht vom 4. zum 5. Juni. – –

[Original Footnotes]

  • *) Dieser Brief des Hrn. Dr. Kind in London an einen seiner hiesigen Freunde ist uns von letzterm zur öffentlichen Kundmachung mitgetheilt worden. d. Red.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 26, Nr. 116 (17. Juni 1826), col. 934–935

    Commentary

    • “… Korrespondenz und Notizen .”Nochmals abgedruckt in: Allgemeine Theaterzeitung und Unterhaltungsblatt für Freunde der Kunst, Literatur und des geselligen Lebens, Jg. 19, Nr. 75 (24. Juni 1826), S. 303.
    • “… . Frobes , anstellen ließ”Die Obduktion Webers nahmen am 5. Juni 1826 Ferdinand Jencken, Charles Ferguson Forbes, Carl Maximilian Kind und W. Robinson (Chirurg) vor; vgl. Leaves from the Journals of Sir George Smart, hg. von Bertram Cox und C. L. E. Cox, New York 1971, S. 250.

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