Albert Gottlieb Methfessel an Fürstin Caroline Louise von
Schwarzburg-Rudolstadt in Rudolstadt
Hamburg, Mittwoch, 3. bis Montag, 8.
September 1823
[…] Vollständige und ehrenvolle Beschäftigung, die mir sehr freigebig belohnt wird, Aufmunterung zu größeren Werken und die Möglichkeit, sie selbst aufzuführen, und so mancher andre Vorzug macht meine Lage in künstlerischer und ökonomischer Hinsicht zu einer der angenehmsten, die es geben kann. Freilich konnten so viele‡ Auszeichnungen, die ich hier erfuhr, nur verletzend auf manchen hiesigen Künstler wirken, der sich jahrelang vergeblich darum bemühte, und namentlich hat die Anzahl von Schülern, die ich zu dem höchstmöglichen Stundenpreise erhalten habe, so wie neuerlichst die Aufführung meiner Kirchencantate* den Neid und die Mißgunst hervorgerufen. Was die Aufführung dieser Cantate | betrifft, die zunächst die Veranlaßung zu diesen Zeilen ist, da es mich drängte, Ihnen etwas Ausführliches darüber zu sagen, so habe ich nach dem Urtheil aller Hamburger, in Hinsicht auf die enormen und mitunter ganz verzweifelten Schwierigkeiten und Hinderniße, eine Aufgabe gelöst, die nur dem festen Willen und nur unter göttlichem Beistande gelingen konnte.
[…] Außer mehrern kleinen häuslichen Proben habe ich von dem ganzen Werke nur 3 Quartettproben u. 2 Orchesterproben gehalten. Die letzte, die Hauptprobe, (den 1ten Sept.), ging noch so ungewiß und zweifelhaft von Statten, daß mir in der Nacht vom 1ten zum 2ten Sept. kein Schlaf in die Augen kam. Die Solosängerinnen hatten, da die Kirche schon ganz angefüllt war, beinahe‡ fast noch mehr Angst, als die weiland unter meinen Befehlen stehenden jungen Damen im Singverein am Chorfreitage. – Das Orchester hatte mehrern Zuwachs erhalten, u. horchte erst, wo es hinaus wollte; kurz es sah noch sehr finster und wüst aus. Vor allen aber machte mir der erste Bratschist, ein Bruder des C. M. von Weber, zu schaffen. Eine Alt-Arie mit Begleitung von 2 | Bratschen, Cello’s u. Contrabaß, mußte ich seinetwegen in dieser Probe gewiß 4mal wiederholen, was eine göttliche Form gab. Ich hatte kaum geglaubt, daß ich mich ja so in Autorität setzen könnte, als ich bei dieser Gelegenheit thun müßte – aber es war auch‡ wahrlich eine ernste Stunde für mich. Endlich brach der ängstlich erwartete Morgen an – […] Pünktlich halb 9 Uhr begann der Gottesdienst mit dem Choral: „Allein Gott in der Höh’ sey Ehr“ Ich traf während der ersten Verse noch manche Veranstaltungen, redete heimlich mit Herrn von Weber, markirte den Bäßen noch einmal das Fugenthema, sprach den Sängerinnen Muth ein, und endlich begann der letzte | Vers: O heilger Geist, Du höhstes Gut!“ Mein Herz drohte zu zerspringen – sechsmal muß ich die Farbe gewechselt haben – die Heimath und die Gegenwart durchkreuzten sich vor meinen Blicken. fiel auf meine Hand – nun aber mußte die Rührung weichen – jetzt galt es: handeln! Die Orgel verstummte; sie endte ganz leise, wie ich geboten – ich machte noch eine Pause von einer halben Minute, dann trat ich an das Pult – lautlose Stille herrschte ringsum, die Bogen waren gehoben, die Blasinstrumente an den Lippen, ich erhob, fast zitternd, die kleine Notenrolle, verweilte, um den ersten Accord recht sicher hervortreten zu hören, einen Augenblick in der Luft, und schlug dann mit Festigkeit nieder. Schon der erste Accord wirkte ermuthigend auf mich, u. sichtbar‡ erschütternd auf die Versammlung, und ich war überzeugt, es müßte gehen! Und es ging! Es ging ohne den mindesten Fehler, Chöre, Solostimmen u. Orchester – alles beeiferte sich, seine Pflicht zu thun – kräftig, sicher und ruhig entrollte sich das Werk, und mit einem Blick zu dem, der droben dirigirt, legte ich meinen | Stab nieder! –[…]
Editorial
Summary
berichtet der Fürstin von seinem Wirkungsbeginn in Hamburg, beschreibt ausführlich die Entstehung, Vorbereitung und Aufführung seiner neuen Kantate, plant als nächstes eine Oper zu schreiben (Der Prinz von Basra); außerdem leitet er verschiedene Konzertmusiken in Hamburg und hat einen großen Schülerkreis
Responsibilities
- Übertragung
- Prof. Dr. Götz Methfessel
Tradition
Text Constitution
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“viele”added above
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“beinahe”added above
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“auch”added above
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“sichtbar”added above
Commentary
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“… neuerlichst die Aufführung meiner Kirchencantate”Cantate zur Jubelfeier der fünfzigjährigen Amtsführung des Herrn Doctors und Archidiaconus Rudolph Gerhard Behrmann, als Prediger der Kirche St. Petri in Hamburg, aufgeführt ebenda am 2. September 1823; gedruckt bei Johann August Meißner o. J.; auch in der Beilage zur Staats-und Gelehrten Zeitung des hamburgischen unpartheyische Correspondenten, Nr. 141, (3. September 1823).