A. Müllner: Brief der constitionell gesinnten Dame [zur neuen Berliner Bühne], Juli 1821

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Brief der constitionell gesinnten Dame.

"Ich melde Ihnen, daß trotz des schönen neuen Hauses noch alles bey’m Alten ist, von einer neuen Theaterverfassung, wie ich sie haben will, ist nicht die Rede. Und wie will ich sie | haben? Der Intendant soll ja ganz unumschränet bleiben, er soll nur die Schauspieler antreiben, daß ich hier gleich alles neue sehen kann. Gott, was ist das für ein elendes Wesen mit dem Lesen! Da les’ ich von einer Erdennacht, einer Medea, einer Dido, einem Peter dem Großen, einem Scanderbeg, einem offenen Geheimniß, einer Sophronia, einem König Erich, einer Johanna Gray und was weiß ich? Und all davon ist hier nichts zu sehen, es lässt sich nach dem Bilde berechnen, daß es 20 Jahre dauert, ehe die lezte dieser Neuigkeiten hier daran kommt. Uebrigens gefällt mir das Haus sehr, und auch das Gedicht auf den Baumeister, besonders diese Strophen:

Der Tambour wirbelt, die Trompeter blasen,Der ruh’ge Bürger tritt aus seinem Haus,Die Menschenmenge füllt den Markt, die Straßen,Mit Sorg’ und Neugier schaut die Frau hinaus.Was soll dieß Toben; dieß verwirrte Rasen?In allen Blicken ein entsetzlich Graus!Mit Eisenhüthen zieh’n die Spritzendiener,Weh’! ruft Berlin und Wehe! die Berliner.Die Elemente kennen kein Erbarmen,Sie brechen in der Menschen Hütten einUnd tragen kühn mit starken RiesenarmenVerderben in der Götter heil’gen Hain.Thalia! Auf dem Markte der Gensd’armen,Dein Tempel brennt! Willst du nicht hülfreich seyn? –Die Muse schweigt, und unter gier’gen FlammenBricht krachend das gewölbte Dach zusammen.Und unter dem Gedränge bey dem BrandeBegegnet mir ein wunderbarer Mann,Ein Magus scheint er fast aus fernem Lande,Mit langem, braunem Polrock angethan,Das Haupt bedeckt ein Hut mit breitem Rande,Behaglich schaut er sich das Unglück an,Und, weit entfernt dem Feuer zu gebieten,Reizt er es an zu immer neuerm Wüthen.Das alte Haus will er den Furien weihen,Er übergibt es streng dem Flammengrab,Doch sinnt er schon es schöner zu erneuen,Und hebt in sichrer Hand den Zauberstab.Er zeichnet in die Gluth die Säulenreihen,Die breiten Stufen führt er schon hinab,Dem Frontispiz bestimmt er seine Winkel, –Und dieser Magus war? – Du warst es, Schinkel!

Aber nun denken Sie, mein Mann, der hämische Ultra und Aktenreiter, sowohl als mein Aesthetischer, sind ganz dagegen. Jener sagt, das Anfachen der Feuersbrunst, blos um neu zu bauen, das sey criminell, wenigstens eign’ es sich zu fiscalischer Untersuchung bey einem Baurathe." (Die poetischen Licenzen sind davon ausgenommen.) "Und dieser, der Aesthetische, spottet über den Vers:

Thalia auf dem Markte der Gensd’armen –

So nämlich liest er ihn. Das ist doch keine Kunst, wenn man den Sinn verdreht, wie?" (Recensentenkunst!) "Im Bilde hab’ ich geweint, also widerruf’ ich, es ist gut gemalt. In der Eleganten steht aus Weimar, man wolle im Marchese den Valeros, im Leonhard den Otto, Oscar, Leonz wiederfinden, was ist denn das?"

Reminiscenzenjagd. Bekanntlich hat man sie jezt auch in England auf Lord Byron’s Revier angestellt, und ihn an den Straßenecken von London einen Plagiarius geschmäht. Es wird wohl bey uns auch noch dahin kommen.

Müllner.

Editorial

Summary

“Brief der constitionell gesinnten Dame” zur neuen Berliner Bühne.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 15, Nr. 172 (19. Juli 1821), pp. 687–688

Text Constitution

  • “unumschränet”sic!

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