Korrespondenz-Nachrichten Berlin: darunter die Auseinandersetzung zwischen Brühl und Spontini

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Korrespondenz-Nachrichten

In meinem lezten Schreiben versprach ich, die weitern Ereignisse mitzutheilen, hinsichtlich der inneren, zur auswärtigen Angelegenheit gewordenen Differenzen, die in der Leitung unsers Theaterwesens statt finden. Außer jener Erklärung des Hrn. Grafen Brühl gegen die öffentliche und unrichtige Kundmachung des Hrn. General-Musik-Direktors Spontini, die ich aus den hiesigen Zeitungen wörtlich abschrieb, haben sich auch die Mitglieder der Musik-Kommission mit Ausnahme des Hrn. Ritters Spontini öffentlich in dem hiesigen Intelligenzblatt folgendermaßen dagegen erklärt:

Unterzeichnete erklären hiemit, daß die in Nro. 111 der Zeitung eingerückte Verhandlung der General-Musik-Direktion, die besprochene Aufführung mehrerer Opern betreffend, ohne ihr Wissen öffentlich bekannt gemacht worden ist. Berlin den 12. Mai 1824. F. L. Seidel. C. A. Seidler.
J. A. Schneider. A. Bohrer.
C. Moeser. Carl Blum.

Dabey erzählt man sich das komische Faktum, daß einige der unterschriebenen Herren, erschreckt ob ihres eigenen Muthes, diese Erklärung, noch vor dem Drucke, wieder hätten zurücknehmen wollen, daß ihnen diese unmaßgebliche Maßregel auch bey unsern beyden Zeitungs-Redaktionen gelungen sey, mißlungen aber bey dem Intelligenzblatte, welches idealistisch-real erklärte, daß die Anzeige schon gesezt sey und demnach das a posteriori gegen das a priori nichts vermöge. Man kann dieß als einen Sieg der transcendentalen Intelligenz über die irrationale Empirie ansehen. – Trotz dem nun der Hr. Ritter Spontini diese Erklärung nicht unterschrieben hat, so behauptet dennoch auch er, daß jene erste öffentliche Kundmachung nicht von ihm direkt in die Zeitung sey befördert worden; er habe lediglich, ohne etwas dabey zu denken, dieselbe einem Freunde mitgetheilt, der ihm versprochen habe, sie zu seinem Besten zu gebrauchen, und demnach sey es augenscheinlich, daß er das Einrücken derselben in die öffentlichen Blätter nicht habe ahnen können. Man ist bey so bewandten Umständen allgemein von dem untadeligen Betragen des Hrn. Ritters Spontini überzeugt, und nimmt nur um so mehr Theil an seinem unverdienten Schicksale, als es die allzugroße Theilnahme eines Freundes war, die ihn in diese Unannehmlichkeiten verwickelte. – Auch ist von einer Veränderung in der bestehenden Bühnenverwaltung die Rede nicht mehr; es bleibt wieder Alles beym Alten, und alle Vorschläge schwärmerischer Theoretiker sind von der Hand gewiesen, besonders der höchst unmystische Gedanke: die große Prachtoper total von den übrigen Gattungen der dramatischen Kunst zu trennen. Daß die Eingeweihten diesen Gedanken unmystisch nennen, kommt daher, weil sie wissen, daß es durch dessen Anwendung an den Tag kommen würde, wie unsre Prachtopern den sieben magern Kühen vergleichbar sind, welche das Trauer- und Lustspiel, das Melodram und die Operette, das Drama, die Posse und das Vaudeville (die sieben fetten Kühe) verschlingen. – Der Hr. Graf Brühl erlebte übrigens, während die Differenzen mit seinem ihm subordinirten Kollegen in üppigster Blüte standen, eine seltene und hohe Genugthuung, die einen Beweis von der Mildigkeit seiner Amtsführung liefert. Es war nämlich gerade in dieser Zeit sein Geburtstag eingetreten, und nicht nur alle Mitglieder des Schauspiels, sondern auch die ersten Herren und Damen der Oper und des Ballets hatten sich, der Feyer des Tages zu Ehren, festlich geschmückt im Schauspielhause eingefunden. Daß dem Hrn. Grafen hier Lieder gesungen wurden, daß man ihm einen silbernen Pokal mit einer passenden Inschrift überreichte, und ihm ehrerbietig Glück gewünscht wurde, das ist in der Regel, und könnte auch einem Andern begegnen. Was aber dieses Fest zu einem eigenthümlichen stempelte und die eigentlichste und unvorbereitete wahrhafte Ehrenbezeigung bekundete, das war die allgemeine Rührung, die unwillkürlichen Thränen, welche flossen, als man den gütigen und geliebten Chef bat, die Kunstanstalt nicht ohne würdiges Haupt zu lassen und nicht auf seine Entlassung zu dringen. – Auch heißt es, daß Se. Majestät der König in dieser Hinsicht ein schmeichelndes Schreiben an den Hrn. Grafen Brühl erlassen haben.

Eigentliche Kunstnachrichten von der Bühne habe ich Ihnen nicht zu geben, es müßte denn seyn, daß das lezte Mal im lezten Akt des Spontinischen Cortez* die obligaten Pferde aus der Partitur gestrichen waren, welches ein erfreuliches Zeichen der Zeit ist und zu großen Hoffnungen berechtigt. Sonst ist auf den Brettern nichts Neues von Bedeutung vorgefallen noch ausgefallen. Von Mad. Neumann vom Hoftheater zu Karlsruhe, die hier im Claurenschen Sußchen aufgetreten und mit Kränzen und Gedichten empfangen wurde*, möge Ihnen jener Ihrer hiesigen Korrespondenten schreiben, der sich über Stücke und Darstellung immer so kritisch-ausführlich vernehmen läßt. Ich bin nicht würdig, die Kunstgeschichte der hiesigen Bühne zu schreiben; ich schreibe bescheiden nur ihre Geschichtchen, welche amüsanter und drolliger sind, als ihre Historie, und also auch wohl mehr Leser finden. – Ein Freund Jean Pauls hat einen Auszug aus einem seiner Briefe in unsere Zeitung einrücken lassen, worin derselbe seinen Dank für die hier stattgefundene Feyer seines Geburtstages ausspricht und Berlin eine Bergstadt der Philosophie und der gesellschaftlichen Bildung nennt. – Die Werdersche französische und reformirte Kirche soll in diesen Tagen niedergebrochen und an ihrer Stelle eine neue, in gothischem Geschmacke, nach dem Plane des Geheimen Oberbauraths Schinkel, errichtet werden. – Auch sagt man, daß unsere städtische Behörde mit einem Privaten einen Kontrakt abgeschlossen habe, nach welchem der Fußweg in den Straßen, der sogenannte Bürgersteg, durchaus mit Steinplatten würde belegt werden. Der Kostenaufwand soll durch eine mäßige Abgabe von dem Miethzins bestritten werden. Dieß würde zu dem nothwendigen Bedürfniß unserer schönen Stadt ungemein viel beytragen, und es würde dann nur zu wünschen bleiben, daß sich auch ein Unternehmer fände, der, in den vier Sommermonden und in den Nächten, wo im übrigen Jahre der Mond scheinen soll, es aber zuweilen nicht thut, die pechrabenschwarze Nacht erleuchtete.

In dem nah gelegenen Badeorte Freyenwalde wurde dieser Tage des Amtsjubiläum des bekannten Oekonomen und Arztes Dr. Thaer gefeyert. Die näheren Umstände dieses Festes gehören in die politische Zeitung und stehen auch darin; ich erwähne desselben hier nur, um eines Gedichtes von Goethe, das zu dieser Feyer eintraf und nach einer Komposition des Professor Zelter gesungen wurde. Für Leser, welche die Berliner Zeitung nicht zur Hand haben, stehe es hier. [Folgt das Gedicht: „Zum 14ten Mai 1824“]

[Ludwig Robert]

Editorial

Summary

u.a. Abdruck der Gegen-Erklärung der Theaterkommission, über Geburtstagsfeier des Grafen Brühl, Gastspiel Amalie Neumann

Creation

Responsibilities

Übertragung
Mo, Ran

Tradition

  • Text Source: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 18, Nr. 142 (14. Juni 1824), pp. 567f.

Text Constitution

  • “J.”sic!

Commentary

  • “… lezten Akt des Spontinischen Cortez”Aufführung am 20. Mai 1824.
  • “… Kränzen und Gedichten empfangen wurde”Amalie Neumann gab am 18. Mai 1824 das Suschen im Bräutigam aus Mexiko.

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