Moritz Gottlieb Saphir: Bericht über die Auseinandersetzungen um die geplante Erstaufführung des Oberon in Berlin
Stand- oder vielmehr Schwebepredigt des Rezensenten im Kronleuchter
Vielgeliebte und andächtige Zuhörer!
Die Worte, die ich meiner heutigen Predigt zu Grunde lege, finden sich aufgezeichnet in den Annalen der dieswochigen Theater-Theezirkel und der alttestamentarisch-belletristischen Klubbs, und lautet daselbst wie folgt: „Das Königsstädter Theater hat die Oper Oberon dem Königlichen Theater vor der Nase weg, und an sich gekauft, und wird dieselbe große Opera seria bei sich draußen aufführen.“
Meine andächtigen Freunde! Wie sehr sehe ich Euch gerührt von dem rührenden Inhalte dieses Textes. Ich fühle Eure Freuden und Eure Leiden mit Euch, und will mit Euch den ersten Stein aufheben umd die Direction der Königlichen Bühnen, oder vielmehr den G. M. D. Ritter Spontini recht zu steinigen! Es ist eine wahre Lust, wenn man jahrelang nach einer solchen Gelegenheit schnappt, ¦ und endlich fliegt sie einem, wie eine gebratene Taube, so in den Schnabel! Also die Königliche Bühne hat sich den Oberon wegnehmen lassen? Und das gewiß aus Oekonomie? nicht wahr, meine andächtigen Zuhörer? Freilich würde uns Jemand, der die Sache nicht versteht, einwenden: „Wie? die Königliche Bühne wäre auf einmal so karg geworden, da sie doch für die Oper Euryanthe, deren schwacher Succes ihr aus Wien bekannt war, baare 800 Thaler gegeben hat, und überdem noch der Mad. Chezy für den unsterblichen Mandelholztext ein besonderes Honorar bewilligte, während man anderwärts z. B. in Darmstadt nur 30 Carolinen für sie bezahlte? Das macht uns nicht weiß, da steckt was dahinter!“T So, meine frommen Freunde, würden Uebelgesinnte sprechen; wir aber, die wir nun einmal der Königlichen Bühne etwas anhängen wollen und besonders diesem vertrackten Spontini, weil seine Opern immer voll sind, und alle andern leer, wir schreien doch Zeter: „Warum hat die Königliche Bühne nicht den Oberon gekauft?“ Freilich würde uns Jemand, der die Sache nicht versteht, einwenden: „Wie? hat nicht die Königliche Bühne für den Oberon 500 Thaler Courant sogleich | und 300 Thaler Courant nach der 50sten Darstellung bezahlen wollen? Und ist diese Summe nicht die größte, die noch in Deutschland für eine Oper bezahlt worden ist? und noch dazu für eine Oper, die nicht für diese Bühne componirt, und auch schon anderweitig gegeben worden ist?“ So, meine vielgeliebten Zuhörer, würden Uebelgesinnte sprechen; wir aber, die wir nun einmal der Königlichen Bühne etwas anhängen wollen, und besonders diesem vertrackten Spontini, weil er der General-Musik-Director ist, und wir kaum Corporal-Musik-Directoren, wir schreien doch Zeter: „Ja, nach der 50sten Darstellung! So schlau wie die Königliche Theater-Direction sind wir auch noch, wer weiß, ob der Herr Oberon ein Funfziger wird! Zwar haben wir großen Respekt vor dem Oberon; aber es ist doch kitzlich! Und dann müssen wir doch auch kaufmännisch seyn, wenn man so eine Zwickmühle zwischen zwei Bühnen hat!“
Sehet, meine theuern, bis zu Thränen gerührten Zuhörer: Einer, der die Sache nicht recht verstehet, würde sagen: „Es ist doch sonderbar, die Königliche Bühne sollte den Manen Webers nun auf einmal nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, und war doch die erste Bühne Deutschlands, die ein Benefiz für seine Wittwe und Kinder gab*, welches die Bagatelle von zwei Tausend und zwei Hundert Thalern Courant abwarf? Eben diese Königliche Bühne, deren großartige Humanität alle deutschen und französischen Blätter als Beispiel anführten, sollte jetzt auf ein Paar Thaler gesehen haben? Scheint es nicht deshalb, als haben die Oberonverkäufer mehr geeilt, diese Oper an die Königsstädter Bühne zu verkaufen, als diese geeilt hat, sie zu kaufen?“ So, meine tiefergriffener Zuhörer, würden Uebelgesinnte sprechen; wir aber, die wir nun einmal der Königlichen Bühne etwas anhängen wollen, und besonders diesem vertrackten Spontini, weil ihm die Musikhändler seine Klavierauszüge so hoch honoriren, während wir keinen Käufer für die unsrigen finden, wir schreien Zeter: „Warum hat die Königliche Bühne nicht in die volle Kasse gegriffen, und geschwinde und ungezählt das Geld für den Oberon gegeben? Sie hätte ja befürchten müssen, die Königsstädter Bühne käme ihr zuvor?“ Freilich würde Jemand, der die Sache nicht versteht, darauf einwenden: „Wie sollte die Königliche Bühne befürchten, daß das Königsstädter Theater zuvorkommend wäre, da diese Oper, als Opera seria und so weiter doch nicht in dem Bereich ihres befugten Repertoires liegt?“ So würden Uebelgesinnte sprechen; wir aber, ¦ die wir nun einmal der Königlichen Bühne etwas anhängen wollen, und besonders diesem vertrackten Spontini, weil er das Orchester so dirigirt, daß eine ehrliche Seele für seine sechszehn Groschen nicht einmal schimpfen oder sich ärgern kann, wir schreien Zeter: „Hätte die Königliche Bühne nicht eine Tantieme für diese Oper bewilligen können, wie es vielleicht die Königsstädter Bühne gethan hat oder thut?“ Freilich würde dann Jemand, der die Sache nicht versteht, einwenden: „Mit einer Tantieme konnte den Oberonverkäufern von der Königlichen Bühne um so weniger gedient seyn, als sie doch selbst verzweifelten, ob diese Oper 50 mal gegeben werden wird. Im Königsstädter Theater hingegen ist man überzeugt, daß jede Sache sehr oft gegeben wird, so wie die Italienerin in Algier, eines der schwächsten Produkte Rossini’s, eine Oper die Tausend und eine Nacht spielt, so daß selbst der Verfasser der sieben Sticker- und Schneidermamsells sich bei der Tantieme jöttlich fände!“
So, meine vielgeliebten und andächtigen Freunde würden Uebelgesinnte sprechen; wir aber sagen den Verkäufern des Oberon innigen Dank.
Denn nur die Verehrung, die hohe Veneration, die sie für den geliebten Schatten des seligen Weber haben, hatte sie bewogen, das Königsstädter Theater zum Manifestiren seines letzten Werkes zu erwählen. Auf der Königlichen Bühne, dieser Heimath Mozart’s, Gluck’s u. s. w. hätte man den glücklichen Erfolg des Oberons dem klassischen Boden auf den er erscheint, zugeschrieben. Hier, wo drei erste Sängerinnen und ein Verein herrlicher Sänger, hier, wo ein unübertreffliches Orchester die Composition des Verewigten ausgeführt hätte, hier auf diesem Boden, wo wir ihn seine früheren Meisterwerke dirigiren sahen, hier wäre die Klassizität des Werkes weniger anschaulich geworden. Aber auf der Königstädter Bühne wird es der innere Werth der Composition allein seyn, der dem Ohre wohlthun wird, nicht die Vortrefflichkeit der Besetzung, noch vielweniger ein zu brillantes Orchester wird uns von dem Werthe der Musik selbst abziehen, und der Genuß, den das Ohr haben wird, wird ganz allein Werk des Compositeurs seyn. So muß man den Schatten großer Todten ehren, und der Selige wird über den Sternen Freudenthränen darüber weinen. Saphir.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Frank Ziegler
- Korrektur
- Eveline Bartlitz
Tradition
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Text Source: Berliner Schnellpost für Literatur, Theater und Geselligkeit, Jg. 2, Nr. 37 (5. März 1827), pp. 147f.
Corresponding sources
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Allgemeiner musikalischer Anzeiger, Jg. 1, Nr. 38 (17. März 1827), S. 364 (unter „Etwas zur Geschichte der Oper Oberon von C. M. von Weber.“ inhaltliche Zusammenfassung des Saphir-Textes mit dem Zusatz: „Nun wird den Oberon-Verkäufern […] einigermassen ein Marcia funebre geblasen, und das von Rechtswegen, ja er sollte eigentlich, wie der Beethovensche – [...] wenn’s wahr wäre, dass die Oberon-Verkäufer an den 50 Vorstellungen gezweifelt – auch aus as moll gehen; denn Oberon ist unbedingt Webers meisterlichstes Werk, dem nur noch die Darstellung von der Kön. Oper in Berlin fehlt, um von aller Welt als solches anerkannt zu werden.“)
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Thematic Commentaries
Commentary
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“… seine Wittwe und Kinder gab”Die frühesten Benefizvorstellungen für die Hinterbliebenen des Komponisten waren jene in London am 17. Juni 1826 (Coventgarden Theatre, Oberon), München am 28. Juli 1826 (Hof- und Nationaltheater, Freischütz) und Kassel am 18. August 1826 (Freischütz). In Berlin wurde erst am 6. November 1826 an den Königlichen Schauspielen zum Besten der Familie von Weber der Freischütz gegeben; es folgten weitere Benefizaufführungen u. a. in Paris (L’Odéon, 23. November 1826, Robin des bois/Freischütz und Les bohémiens/Preciosa), Leipzig (19. März 1827, Freischütz), Hannover (27. Dezember 1827, Oberon), Dresden (24. Februar 1828, Oberon), Breslau (15. März 1828, Oberon), Prag (18. Oktober 1828, Oberon) und Frankfurt/Main (1. Juli 1829, Oberon).
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“… Liebe kund u. s. w.”Nach Goethes Gedicht „Am siebten November [1825]“, als lithographiertes Faksimile seinem Porträt (K. A. Schwerdgeburth nach der Gedenkmünze von A. Bovy) unterlegt.