Thaddäus Susan to Carl Maria von Weber in Dresden
Ried im Innkreis, Saturday, November 1, 1817
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Endlich ist die Reihe der Entschuldigung an mir; denn dein herzlicher Brief vom 2. März d. J. blieb bis jetzt unbeantwortet. — Bieten wir uns die Hände. Schweigen kann unter uns nie ein Vergessen seyn. Die Glut unserer Freundschaft ist unauslöschbar, so wie die Sonne — wenn auch noch so viele Flecken die Astronomen daran entdecken mögen — immer erwärmt, und die ewigen Sterne leuchten. Ja, ewig ist die Schöpfung, weil sie ein Abdruck und Spiegel Gottes ist, und so ewig ist auch der Deus in nobis, wenn er einmal zum Lichte erstanden ist, und in einer geliebten Bruder-Seele, so wie Gott in der Schöpfung, sich wiedergefunden hat. Das Eine und Alle suchen wir alle, und keiner findets, dessen Auge nicht das eine in dem andern entgegentritt. Du — Künstler und Freund — wirst mich nicht mystisch nennen, denn als solcher wirst und mußt du fühlen, daß man das innere Wetterleuchten wohl dem Gefühle darstellen, dem Verstande aber nicht vordefiniren kann, wie Mephistopheles in Göthe’s „Faust“ sagt: Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so, und drum das Dritt’ und Vierte so; und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’, das Dritt’ und Viert’ wär nimmermehr. Das preisen die Schüler aller Orten, sind eben keine Weber geworden. — Wenn es so leicht oder gewöhnlich wäre, den Geist herauszutreiben, so würde unsere Welt leider nicht so wässericht seyn. Wenn nur erst ein Ableiter für oder ein Damm gegen das Wasser der musikalischen Welt aufgefunden werden könnte! Allein unaufhaltsam bricht es herein, und droht die Mythe der Sündflut zu wiederholen. Nur wenige treten ihm mit Starkmuth entgegen, unter denen du, mein lieber Weber, einer der kräftigsten und lieblich|sten bist. Fahre fort, Bruder! wie ein ächter Diamant das Dunkel zu erhellen. Wenn auch die Mitwelt undankbar ist: die Nachwelt wird erkennen und richten. Der geistige Mensch richtet seine Blicke auch immer mehr auf diese, denn er will länger leben in edlen Gemüthern als er athmet, und dieß kann er nur, wenn er seine Kunstgebilde hoch genug stellt, um, vor dem Muthwillen der vorüberwandelnden Zeitgenossen gesichert, an sie gelangen zu können. — O mein lieber Weber! Herrlich hast du deine Bahn begonnen, schöner und milder noch wirst du sie vollenden. Blicke beharrlich nach Oben — dem Urborne alles Schönen. Erhalte dein edles und mildes Herz mit deinem durchdringenden Geiste in Eintracht und Harmonie. Wie die ewigen Gestirne gleich Eimern im unendlichen Weltall auf- und niedertauchen, so lasse auch deine Ideen die Höhen und Tiefen des menschlichen Gemüthes durchdringen; es werden in geweihten Stunden Töne aus einer bessern Welt dich anwehen, du wirst dann von selbst wie eine Äo[l]sharfe in mächtigen und himmlisch süßen Tönen erbeben, und die Sphärenmusik wird in dir als seinem Mikrokosmos wiederhallen. Und nur in solchen Gott geweihten Stunden soll der Künstler seine Pruductionskraft‡ spielen lassen, wenn er etwas Ewiges schaffen, und nicht bloß arbeiten will.
Du glaubst gar nicht, lieber Freund! mit welcher Liebe ich deiner Bahn folge. Jede Nachricht von dir in Zeitschriften ergreife ich mit Begierde und labe mich daran, und nicht selten wird mir diese Freude. Du hast dich zu einem der ersten und berühmtesten Capellmeister und Musikdirectoren emporgeschwungen. Dieß mußte so erfolgen, denn der kräftige Geist reißt Alles mit sich fort, und zieht auch das Untere zu sich herauf. Fahre fort, deutsche Kunst und Weise in deinen Schutz und unter deine Obhut zu nehmen. Gott hat des Deutschen Gemüth zu reich ausgestattet, als daß es von fremden Zungen etwas erbetteln dürfte; und alles Fremde muß aus dem deutschen Gemüthe so wiederstrahlen, daß es als ein in sein Eigenthümliches Verwandeltes und Verschmolzenes erscheine. Das heißt, man muß nie nachahmen, nicht einmal die Natur.
Wie gerne schwätzte ich in dieser Art noch fort, und wie vorzüglich gerne wollte ich noch auf die Nutzanwendung — das Besondere unserer Kunst kommen, wenn ich nicht besorgen müßte, dich zu ermüden, und den Anschein zu gewinnen, als ob der Lehrling mit dem Meister rechten und richten wollte! — Verzeihe mir daher dieses Wenige. Du weißt ja, daß dieses immer gerne meine Art war, und — jung gewohnt, alt gethan! —
Der Schattenriß deines Lebens seit deiner letzten Mittheilung hierüber hat mich hoch erfreut. Ich bitte dich um die periodenweise Fortsetzung. Dein gegenwärtiger Standpunct dürfte wohl für dich sehr passend seyn, um dich längere Zeit [zu] fesseln. Hast du dein Schifflein wohl auch im Hafen eingethan? Du hast mir geschrieben, daß du dich bis zum Herbste mit einem lieben Mädchen verbindes‡ wirst. Ist sie nun deine Lebengefährtinn, so grüße und — küsse sie in meinem Namen, und bitte sie für mich, daß sie mir doch auch etwas — wenn auch nur ein klein wenig — gut seyn möge. Der Segen des Allmächtigen überschatte euch, eure Liebe und Freundschaft schlage tiefe Wurzeln, und erwachse zu einem starken Baume, der allen Stürmen trotzet. Das Übrige kommt von selbst. Amen! —
Mein liebes Weibchen grüßt euch herzlich und innigst. Sie wurde am 15. August von einem Knaben entbunden, der aber leider nach vierzehn Tagen starb. Eine Stunde vor ihrer Entbindung dichtete sie anliegendes Sonnet an dich. Nimm es gütig auf. Eben so legt sie auch ein Sonnet an Theodor Kör|ner an. Solltest du mit der Mutter dieses Edlen bekannt seyn, und es passend finden, so kannst du es mittheilen. Nicht minder bittet sie dich, den Anschluß abzugeben. Ich habe absichtlich die Versiegelung dir überlassen, damit du den Inhalt lesen kannst.
Wird dein KünstlerlebenT nicht bald erscheinen? Auf dieses wäre ich wohl sehr begierig.
Für die Mittheilung des Textes deiner Cantate danke ich herzlich. Könnte ich doch auch die Musik dazu hören, und darüber mit dir philosophiren. Wenn ich einmal in der Lage bin, mir alle deine Werke anschaffen zu können, so werden sie mir vielleicht Anlaß zu einer Reihe philosophischer Abhandlungen darüber geben.
Nun noch etwas Weniges aus meiner Lebensgeschichte. Sie ist kurz und einfach — oder wenn du willst, einfältig, d. h. sie hat um eine Falte mehr, das Gesicht aber deren noch mehrere. Ich bin im November v. J. zum Criminaladjuncten beym hiesigen Criminalgerichte befördert worden. Mein Bezirk hat gegen 100,000 Seelen und 29 Quadratmeilen. Du kannst dir bey der dermaligen so reichen Spitzbuben-Ernte das Gedränge meiner Arbeiten selbst vorstellen, und dieses muß auch meine verzögerte Antwort entschudigen. Was man bey der bevorstehenden Organisation aus mir macht, habe ich noch zu erwarten.
Meine drey Kinder, zwey Knaben und ein Mädchen, sind an Körper und Geist gesund. So Gott will, soll auch einmal etwas aus ihnen werden. Oft plaudern sie mit dir, nemlich deinem aufgehangenen Bilde, und sagen, das ist Hr. von Weber, der so schön „tu tu tu“ macht. So nennen sie es nemlich, wenn ich musicire. —
Jetzt deine Hand her, lieber Bruder! und deinen Mund. Im Geiste umarme ich dich mit Inbrunst. Wenigstens einmal des Jahres laß uns schreiben, so lange wir leben. Wenn dann Einer von uns von der Schaubühne abtritt, so wird der Rückgebliebene den Bund mit einer Perle auf sein Grab besiegeln, und nach oben blicken, wo ihn der Vorausgegangene mit Sehnsucht erwartet.Ewig der Deine!Ig.‡ Susann m. p.
Editorial
Summary
Antwort auf Webers Brief an Susan vom 2. März 1817; philosophiert weitläufig über das Wirken des Künstlers; äußert sich über deutsche Kunst; nimmt Bezug auf Webers Mitteilung, er wolle heiraten; sendet je ein Sonett seiner Frau an Weber und Körner und bittet um Weiterleitung einer Beilage; fragt nach dem Erscheinen von Tonkünstlers Leben; dankt für den Text der Sieges-Kantate; berichtet über sein berufl. und familiäres Leben
Incipit
“Endlich ist die Reihe der Entschuldigung an mir”
Responsibilities
- Übertragung
- Eveline Bartlitz; Joachim Veit
Tradition in 2 Text Sources
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1. Text Source: Verbleib unbekannt
Physical Description
Accompanying Material
- urspr. beiliegend: Sonett Friederike Susans an Weber, Sonett ders. an Körner sowie Brief Fr. Susans an ?
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2. Text Source: Zwey Briefe I. Susann’s an C. M. v. Weber, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Jg. 28, Nr. 7 (10. Januar 1843), pp. 49–51