Nachruf auf Carl Maria von Weber
Karl Maria von Weber.
Es ist nicht selten das Loos ausgezeichneter Männer, daß sie in der Blüthe ihrer Jahre den irdischen Schauplatz ihres Wirkens verlassen. Zu diesen gehört Karl Maria von Weber, den der Tod in Mitte seiner künstlerischen Thätigkeit ereilte. Nach seinen Jahren hätte er noch Vieles wirken können für die Kunst, allein er hat genug gethan, um der Welt zu zeigen, daß er, ein bevorrechtetes Kind Polyhymniens, tief eingeweiht war in den Mysterien der seelenergreifenden Kunst. Ueberbaupt soll der Hingang eines großen Mannes nie so sehr mit Rücksicht auf das, was er noch hätte leisten können, ein Gegenstand der Trauer seyn. Wenn seine Zeit gekommen ist, tritt er ab; was er der Welt noch hätte seyn können, welches menschliche Auge will es bemessen? Und wissen wir (ohne hier eine Anwendung auf unsern Künstler zu machen), ob nicht seine Zeit gekommen war in einer andern Hinsicht, nämlich die Zeit, wo er den Gipfel des Berges erstiegen und die höchste Glanzseite seines Wesens uns entfaltet hatte? Mehr als ein Dichter hat sich selbst überlebt und mancher würde groß heißen, oder doch einen Namen davon getragen haben, wenn er nicht den, durch einige von Genie zeugenden Werke erlangten, Ruf selbst wieder in einer Flut von ephemeren Erzeugnissen zu Grabe getragen hätte. ¦ Ohne also zu fragen, was hätte unser Held noch wirken können, wollen wir uns lieber an das halten, was er wirklich geleistet hat, und dieß ist hinlänglich, ihm die Krone des Ruhms für die Zukunft zu sichern. Es ist hier aber keineswegs auf eine vollständige Würdigung seiner musikalischen Verdienste abgesehen, sondern nur auf Darlegung einiger Züge, welche dem Verfasser nach seiner Individualität aus dem reichen Ganzen sich am deutlichsten entwickelten.
Es ist allgemein bekannt und angenommen, daß dieser ausgezeichnete Mann seinen Ruf nicht so sehr seinen zahlreichen Instrumentalkompositionen verdankt (wiewohl sich auch hier der originelle Geist, öfters zwar auch bis zu den Gränzen des Gesuchten schweifend, offenbart), sondern seinen Opern und Gesangstücken. Karl Maria von Weber zeigt sich hier als schöpferisches Kunstgenie und nicht bloß als schön-empfindender, sondern auch als denkender Künstler. Wenn der Instrumentalkomponist uns in Tönen gewisse Empfindungen ohne bestimmtes Maß, ohne Regel und Folge darstellt, wenn er willkürlich den Bewegungen seines Innern folgt und folgen darf und uns in einem Musikstück oft die verschiedenartigsten Regungen des Gemüths darlegt, wie er sich, ohne sich selbst davon Rechenschaft zu geben, bewußtlos gleichsam, dazu gestimmt fühlt, so ist die Sphäre des Gesangtondichters, und besonders des dramatischen, eine ganz andere. Ihm ist im Text die Bahn, die er zu durchlaufen hat, streng vorgezeichnet. Seine innere Befugtheit wird auf eine äußere, bestimmte, und oft auf die mannigfaltigste Weise in Anspruch genommen. Er soll uns das Verschiedenartigste, Ruhe und Bewegung, Friede und Zwiespalt, Unschuld und Gewissensqual, Liebe und Haß, Freude und Schmerz, Erhebung und Demüthigung in Tönen fühlbar machen, und zwar für die besondern Stände, Alter und Geschlechter angemessenen Ausdruck ihrer Empfindungen zu wählen wissen. — Dazu gehört nicht allein eine umfasseude Kenntniß der verschiedenen Tonmittel, sondern auch Geist und Gemüth, dazu gehört ein treues Nachfühlen der mancherley Seelenstimmungen und Gemüthszustände, dazu gehört Studium des menschlichen Herzens und der Leidenschaften, dazu gehört ein Studium des Menschen überhaupt in seinen verschiedenartigen innern und äußern Lebensbeziehungen. Nur wer über solche Mittel frey gebieten kann, wird die seltene Kunst besitzen, uns das Leben in Tönen ergreifender zu malen als irgend eine andere Kunst. Und gerade in dieser Beziehung hat sich Weber als Meister bewährt. Der Genius, der in ihm dichtete, war gezügelt von den Weisungen des Verstandes; er bewegte sich innerhalb der Gränzen einer höhern Besonnenheit, und er gebot über eine Fülle innerer Erfahrung und vielseitiger Lebenskenntniß. Daher die seltene Treue, Klarheit und Angemessenheit in seinen Gesangwerken, beson|ders in jener ganz volksthümlichen Oper, dem Freyschütz, und in seinen Volksliedern. Wer so treu das Leben wiedergeben kann, der muß von Allen verstanden werden, oder die Muse der Tonkunst muß ihr Angesicht vor den Menschen verhüllt haben. Webers Tongedichte sind durchaus nationell. Er erscheint als deutscher Künstler durch die Tüchtigkeit seiner Bildung und die weise Anordnung seines Stoffs. Wenn Italiens Meister und besonders Rossini in freyer Erfindung melodischer, ohrenbezaubernder Sätze es unserm deutschen Helden zuvorgethan haben, so ist es nicht selten auf Kosten der Wahrheit und mit Hintansetzung des Textes geschehen. Die Vollkommenheit einer Gesangkomposition ist stets durch die strenge Beziehung zum Texte bedingt. Diese bestimmt das Charakteristische, das eigenthümliche Gepräge eines Stücks und fordert darum die unerläßlichste Berücksichtigung. Kein anderweitiger Vorzug kann ihren Mangel ersetzen. Sey ein Satz noch so gelungen, noch so originell in Melodie und Harmonie, er ist als durchaus verfehlt anzusehen, wenn er sich nicht in der Sphäre bewegt, die ihm durch Form und Gestalt der Dichtung vorgezeichnet wird. Daher ist eine Gesangkomposition um so vollendeter, je weniger man ihr einen andern Text unterlegen kann. Sind darum in subjektiver freyer Schönheit jene als unerreicht zu betrachten, beweisen sie von der einen Seite eben so sehr ihren Reichthum natürlicher, unmittelbarer Künstlergabe, als von der andern Seite ihren Mangel an künstlerischer Durchbildung und an den Eigenschaften und Besitzthümern, ohne die kein Künstler wahrhaft groß seyn kann, nämlich an verständiger Besonnenheit und an Kenntniß und treuer Auffassung der menschlichen Leidenschaften und mannigfaltigen Seelenzustände, so dürfen wir sagen, daß Webers Ruhm in der Vereinigung beyder Elemente besteht. Die Schönheit seiner Gesangstücke beruht jedoch zunächst auf ihrer Angemessenheit zum gegebenen Zweck, durch tiefes Eingehen in den Charakter des Darzustellenden, durch enges Anschmiegen an den Gegenstand. Dadurch erhalten dieselben eine Wahrheit und ein Leben, die uns den innigsten Antheil an dem Dargestellten nehmen lassen. Poesie und Musik erscheinen in ihrer gegenseitigen Durchdringung, verschmolzen zu Einem Guß, um Ein schönes Ganze dem empfänglichen Gemüthe zum Genuß darzubieten. Webers Töne sind Farben, aufgetragen von der Hand eines Meisters, der die Natur und den Menschen studirt bat, der seine Gruppen so zu ordnen und Licht und Schatten so zu vertheilen weiß, daß der beabsichtigte Zweck im Einzelnen wie im Ganzen erreicht wird. Mag es dann seyn, daß die bezaubernde Sangbarkeit Rossinischer Arien uns im Augenblick hinreißt und in einer Fülle weicher Empfindungen uns gleichsam schwimmend erhält; es bleibt doch eine unklare, mehr das Ohr als das Herz rührende Lust, die er in uns erzeugt und deren Reiz darum, weil er keine ¦ bewußte Haltungspunkte hat, sich bald abstumpft. Weber dagegen bereitet uns einen verständigen Genuß, von bestimmter Gestalt und Farbe, der seinen Zauber behält, weil er durch das Leben und seine mannichfaltigen Erscheinungen bedingt ist. Dieß ließe sich durch eine Menge treffender Beweise aus seinen Werken in’s Licht stellen, wenn es für den Kenner nicht überflüssig, und für den Nichteinverstandenen nicht unwirksam wäre. De gustibus non est disputandum. Jedes Kunsturtheil muß in lezter Instanz durch ein unmittelbares Gefühl motivirt werden. Webers Verdienste als Tondichter sind anerkannt, und werden es bleiben, doch die schönste Perle in seiner Krone ist die der Nationalität.
Editorial
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Sebastian Schaffer
Tradition
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Text Source: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 20, Nr. 300 (16. Dezember 1826), pp. 1198–1199