Gottfried Weber: “Noch etwas über, oder vielmehr gegen die fünftheiligen Taktarten”

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Noch etwas über, oder vielmehr gegen die fünftheiligen Taktarten.

Es ist schon so manches zum Lobe dieser Taktgattungen und über die Brauchbarkeit derselben geschrieben worden, und doch bis jetzt ohne wesentlichen Erfolg – letzteres, wie mir scheint, mit Recht, und zwar darum, weil diesen Taktgattungen, man sage und schreibe auch zu ihrer Vertheidigung so viel man wolle, im Grunde doch die Symmetrie fehlt, welche eben den eigenthümlich Reitz der Taktordnung ausmacht. Es ist daher weniger zu verwundern, dass Taktarten dieser Art, ungeachtet so vieler Apologen, so wenig Eingang und Aufnahme, als, dass so wenig eingehende Taktarten so viele Apologen gefunden haben.

Man mag einen fünftheiligen Takt als einen einfachen, oder als einen zusammengesetzten ansehen: auf jede Art klebt ihm ein Missstand an.

Man betrachte ihn als einfachen Takt, so enthält er gar zu viele, unmittelbar auf einander folgende, leichte Takttheile, nämlich vier gegen einen schweren, und folglich gar zu wenig Accent. Diese Armuth an Accentuation wird dem Gemüthe des Zuhörers um so lästiger, weil er dadurch in einer unangenehmen Ungewissheit herumgeworfen wird. So wie nämlich der 2te Takttheil vorüber ist, kann man schon wieder einen schweren (sogenannten guten) erwarten. Es folget aber keiner: man schliesst daraus, dass es wol dreytheiliger Takt seyn werde, und erwartet dann, die 4te Zeit werde ein schwere seyn. Auch in dieser Erwartung wird man betrogen. Nun meynt man wieder, es sey vielleicht doch viertheiliger Takt, und die 5te Zeit werde wieder eine schwere seyn, aber auch diese nicht, sondern erst wieder die 6te. Das ist zu viel!

Als einfacher Takt betrachtet ist also der fünftheilige matt und lahm; als zusammengesetzter ist er hinkend. Denn aus welcher einfachen Taktart ¦ wäre er zusammengesetzt? Immer aus einem geraden und einem ungeraden Takt zugleich, der 5/4 Takt aus einem 2/4 und einem 3/4 Takt. Eine solche Zusammenstellung ungleicher Bestandtheile ist aber unsymmetrisch, das Taktgewicht kann unter fünf Takttheilen unmöglich symmetrisch vertheilt werden; es müsste einmal nach dem 2ten und das andremal nach dem 3ten Taktgliede wiederkehren: dies wäre aber unsymmetrisch, folglich unrhythmisch.

Gewissermassen liesse sich wol eine Art von 5theiligem Takt denken, welcher wenigstens in so fern nicht hinkte, dass seine Hälften nicht ungleich lang wären, nämlich wenn man die 3theilige Hälfte nach Art einer Triole so zusammenkürzte, dass drey Takttheile nur gerade eben so viel Zeit einnähmen, als die zwey übrigen: allein dieses wäre dann schon nicht mehr eigentlich fünftheiliger Takt, sondern zweytheiliger, und doch wäre dadurch die Disproportion nicht beseitigt, denn es bliebe jeder Takt eines solchen Tonstückes aus einer zweytheiligen auch einer dreytheiligen Hälfte, folglich doch wieder unsymmetrisch, zusammengesetzt; das Verhältnis der verbundenen Glieder aber soll nicht bald gleich, bald ungleich, und gleichsam durcheinander geworfen seyn, denn so bald die verbundne Anzahl der Tonfüsse zu vielartig in Ansehung ihrer Verhältnisse ist, so wird die Gruppe nicht fasslich, nicht überschaulich genug, die Vergleichung ihrer Theile durch Auffassen des so unvollkommnen Ebenmasses erfordert zu viel Aufmerksamkeit und mühsame Anstrengung, und diese tödtet allen Reitz.

Wer ausser diesen, aus der Wesenheit des Rhythmus entwickelten Gründen noch Bestätigung von Seiten der Erfahrung wünscht, findet sie darin, dass die fünftheiligen Taktarten, ungeachtet sie von Schriftstellern so manches Mal in Schutz genommen werden, und der Zeitgeist von selbst so geneigt ist, alles Neue, wenn es irgend brauchbar erscheint, nicht nur zu benutzen, sondern hervor zu suchen, bis jetzt immer nie in Aufnahme und Gebrauch | kommen wollten, sondern nur einzelne, hie und da wie man sagt wirklich gebräuchliche, Tonstücke als Seltenheiten bekannt gemacht, oder ähnliche als blosse Versuche componiret werden, nur um zu beweisen, dass sich etwas in solcher Taktart wirklich componiren lasse. Alle diese Beyspiele bleiben aber ohne praktische Nachahmung, eine Erfahrung, welche denn doch auch eben dasselbe beweisen hilft, was jeder an sich selbst gleich fühlt: dass fünftheiliger Takt dem natürlichen Gefühle widerstrebt, und dieses widerstrebende Gefühl tiefer begründet ist, als selbst das moderne Bestreben neu zu seyn.

Man täuscht sich wol zuweilen selbst, glaubt fünf Theile eines fünftheiligen Taktes zu zählen, und findet doch, dass unser Gefühl nicht widerstrebt. Allein, prüft man sich genau, so findet man, dass man Eins, Zwey, u. s. f. folgendermassen gezählt hat: d. h. man hält nach "fünf” einen Augenblick ein, und macht folglich einen 6/4 oder 3/2 Takt, von dem man 5 Viertheile laut zählt, und das 6te pausirt. Gerade dass man sich hier so leicht und unwillkürlich täuscht, beweiset, wie tief die Missbilligung des fünftheiligen Taktes in unserm Gefühl begründet ist.

Was von siebentheiligen Taktarten, von zehntheiligen, und ähnlichem zu sagen und zu halten sey, erklärt sich durch Anwendung des Obigen von selbst: Siebentheiliger Takt müsste aus zwey zweytheiligen, und einem dreytheiligen, oder aus zwey dreytheiligen und gar einem eintheiligen – oder vollends aus einem fünftheiligen und einem zweytheiligen, zusammengesetzt seyn – oder es kämen 6 schlecht Takttheile unmittelbar nach einander gegen einen einzigen schweren.

Indessen soll diesen sämmtlichen paradoxen Taktgattungen hiemit nicht geradezu das Leben abgesprochen, sie sollen nicht als unbedingt fehlerhaft verworfen seyn, denn auch das Bizarre ist in der schönen Kunst nicht unbedingt verwerflich, und wer also eine eigne Wirkung damit zu erreichen gedenkt und zu erreichen vermag, dem sey es unverwehrt.

Gottfried Weber.

Editorial

Summary

1813-Gottfried-09: Über 5er-Takte

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 15, Nr. 51 (22. Dezember 1813), col. 825–827

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