Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 12. März 1817

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Am 12. März: La Vestale, von Spontini, worin Mad. Neumann-Sessi die Giulia als Gastrolle gab. Ueber diese herrliche Oper, die längst als eines der höchsten Meisterwerke der neuern Tonkunst anerkannt ist, etwas sagen zu wollen wäre überflüssig, aber da es stets interessant ist eine so wichtige Rolle aus mannigfsltigen Gesichtspunkten genommen und dargestellt zu sehen, so war man mit Recht sehr gespannt auf die Erscheinung einer so gefeirten Künstlerin wie Mad. Neumann-Sessi. Wollen wir vergleichen, so kann eine andere Kunst uns leicht die Bilder dazu leihen, denn man möchte sagen: diesmal haben wir die Giulia wie mit fester Hand hingezeichnet, in scharfen, großen Umrissen, statt daß wir sie sonst im sanften Schmelz der Mahlerei, im vollen Zauber des Helldunkels zu erblicken gewohnt sind. Der erste Ton womit Mad. Sessi sich auszeichnete, als sie am Schluß der Morgenhymne sämmtlicher Vestalinnen ihn aushielt, kündigte die Meisterin an, denn er war krystallenrein und fest; aber später fühlten wir wohl oft daß diese schöne Stimme doch auch die scharfkantige Härte und Unbiegsame des Krystalls hat, denn das sanfte Tragen und Verschmelzen des Tones fehlte ihr eben so auf den Vokalen als auf den Mitlauten zu ruhen versteht, dies machte ihren Gesang, besonders bei den Tönen wo die Bruststimme in die Kopfstimme übergeht, oft schneidend. Doch ist die Einfachheit des Vortrages und die Vermeidung jedes überflüssigen Schmuckes allerdings sehr an dieser Künstlerin zu loben, sie bringt oft ergreifende Wirkung hervor, aber stets mehr durch bestimmte Zeichnung als durch Vertheilung von Licht und Schatten, ihr Vortrag hat mehr Geist als Seele. Daß das Spiel unserer Sandrini schöner, ausdrucksvoller und reicher an mahlerischen Momenten ist, wird wohl niemand ¦ läugnen, besonders wußte sie bei den letztern Darstellungen dieser Oper die herrlichsten Beleuchtungen durch die Altarflamme ganz ungesucht und auf sinnig künstlerische Weise zu benutzen; übrigens nehmen aber beide Künstlerinnen diese Rolle dem Sinne nach ganz verschieden. Mad. Sandrini’s Giulia würde untadelhafte Vestalin bleiben, ihre Göttin liebend, ihre Priesterin mütterlich ehrend, wenn sie Licinins nie gekannt hätte, nur dieser Eine konnte ihr so theuer werden; nicht im wilden Rausch vergibt sie die Hütung der Flamme, sondern im innigen Vertrauen der Schwärmerei des Gefühles glaubt sie an die Billigung der Vesta! Später ist es ihr Ernst, daß sie zu sterben wünscht und im Tod die Befreiung begrüßt, und obgleich sie mit jugendlicher Wärme und überströmender Liebe sich schmerzlich von ihren Gefährtinnen und vom Leben trennt, so folgt sie dohc mit stiller hoher Ergebung des Befehlen des Oberspriesters. Dieser Giulia mußte wohl Vesta verzeihen! – Mad. Neumann-Sessi greift mehr die Worte auf wo Giulia sich im halben Wahnsinn dem Gott der Liebe weiht, sie scheint von einer fremden Gottheit begeistert, sie erscheint erst strenger und dann pflichtvergeßner, weil sie nie vermochte zu Vesta Liebe und Vertrauen zu gewinnen; der Moment wo sie zurückschaudert als ihr der schwarze Schleier übergeworfen wird, war groß und trefflich, aber ihr zu Boden stürzen, war, so schön und wirkungsvoll sie es auch ausführte, doch nur in diesem Sinne zu rechtfertigen, stand aber mit den Worten, wo sie sich das Grab wünscht, im Widerspruche. Um konsequent zu bleiben hätte eigentlich Amor dieser Giulia zu Liebe ein Wunder thun sollen. Doch dankbar erkennen wir auch den Werth der fremden Künstlerin an, die um so größere Ansprüche auf unsere Billigkeit hat, da sie nur um dieserAufführung willen diese Rolle in der Sprache ihres Vaterlandes einstudierte.

C.

Editorial

Creation

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 68 (20. März 1817), f 2v

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