Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 22. bis 24. Mai 1817
Am 22. Mai: Agnes Bernauerin, Trauerspiel in 5 Aufzügen von Freiherrn von Dörring.
Die Sprache in diesem, zu seiner Zeit sehr gefeierten und für seine Zeit sehr feiernswerthen, Stücke ist doch wohl zu veraltet und zu wenig den Ansprüchen angemessen, die wir jetzt – abgesehn davon daß für solche Werke der Rythmus der gebundenen Rede unerläßlich scheint – selbst an ein dramatisches Produkt in ungebundenem Ausdruck machen, als daß es nicht eben dadurch den Keim eines geringern Gefallens in sich selbst tragen müßte. Und dieß war gewiß auch allein die Ursache der ziemlich kalten Aufnahme, die dieses Stück, ohnerachtet des braven Spieles fast aller Darsteller, fand. Auszuzeichnen waren besonders Herr Julius als Albrecht, der mit Kraft und Wärme spielte, und vorzüglich in der Scene vor den Schranken treffliche Declamation entfaltete, Herr Hellwig, welcher als Kaspar der Thoringer, den Heldengreis mit edler Würde, und dem Aufblitzen der Flamme der Jugend selbst unterm Schnee des Alters darstellte, und Dem. Schubert, die in den sanftern Parthieen ihrer Rolle als Agnes, mit gewinnender Milde zum Herzen sprach. Herr Zwick gab den Vicedom mit kalter Gemessenheit im Geiste des Charakters.
Am 24. Mai: La famiglia Svizzera, von Weigl. So wie man den Mai selbst jedes Jahr mit neuer Rührung, mit seliger Wehmuth und froher Lust begrüßt, so erfüllt diese himmlische Oper auch stets mit süßem Schmerz und reinem Entzücken. Die ¦ se einfachen Melodien sind der Natur selbst abgelauscht und tönen in jedem fühlenden Gemüth nach. Diese Musik steht in ihrer Art einzig da, sie hat kein Vorbild und kann nicht nachgeahmt werden, ihr Zauber kann nie verschwinden, so wenig wie der Reiz der Alpenhirtenlieder selbst; jeder Tonsetzer wird leicht glauben: warum hatte ich nicht diese glückliche Idee! aber diese liebliche Alpenrose war nur einmal zu finden! Ausgezeichnet schön und wahrhaft gelungen war die heutige Ausführung zu nennen. Hier, wo die Instrumente oft so einzeln ertönen, wo die holden Klänge sich so sehnsuchtsvoll zu wecken und zu rufen scheinen, hier fühlt man mehr als je die Vollkommenheit unsers Orchesters, wo die Reinheit und Schönheit jedes Tones zum Herzen redet. Unsere seelenvolle Sandrini stellt dies tieffühlende, zartverschloßne Gemüth der Alpenhirtin immer trefflich dar, aber glühender und zarter zugleich als heute noch nie. Einen hohen Reiz gewinnt diese Oper noch bei uns durch unsers Polledro trefflichen Vortrag und seine beiden köstlichen Solo’s, das erste bei dem süßen Schlummerlied, womit der zweite Akt schließt, wo die lieblichsten Träume sich auf diesen schmelzenden Tönen zu wiegen scheinen, das zweite bei dem frommen Morgenlied der Eltern, wo die begleitenden Töne sich rein und hell wie ferner Lerchenruf aufschwingen. Die klangvolle Kraft, die dieser Künstler mit so seltner Weichheit des Tones zu vereinen weiß, wird hier, wo alles Seelensprache ist, doppelt wohlthuend. Sehr zu wünschen wäre ein vortheilhafteres Costüm für den armen Giorgio! Sämmtliche Sänger zeigten rege Theilnahme und unterstützten die Hauptrolle gut.
Editorial
Summary
Aufführungsbericht Dresden: “Agnes Bernauerin” von Dörring am 22. Mai 1817 / “La famiglia Svizzeria” (Die Schweizerfamilie) von J. Weigl
Creation
vor 6. Juni 1817
Tradition
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Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 135 (6. Juni 1817), f 2v