Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater vom 14. und 15. März 1819: “Die Indianer in England” von Kotzebue und “Der leichtsinnige Lügner” von F. L. Schmidt

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Am 14. März. Die Indianer in England. Dem. Schaffner, vom Königl. Theater zu Berlin, gab die Gurly als erste Gastrolle. Der Gurly’s hat es seit dem Erscheinen dieses Stücks in und außer dem Theater so viele gegeben, daß der Name eine Art Characterbezeichnung geworden ist. Eine etwas übertriebne Naivetät, die wohl über die Gränze der heutigen guten Erziehung hinausgeht, und den geselligen Ton hie und da ins Auge schlägt, nennen wir gurlyhaft, verbinden aber damit eine Gutmüthigkeit des Characters, einen Reichthum von heiterer Neckerei und eine Lieblichkeit der Erscheinung, die mit den erstern Vernachlässigungen wieder aussöhnt. Wir glauben, Dem. Schaffner hat die Gurly so dargestelt, und folglich der Rolle Genüge gethan. Die Natur hat sehr freundlich für sie gesorgt, sie ist eine sehr angenehme Erscheinung auf der Bühne, ein wohltönendes Organ nimmt uns ein, ein sprechendes Auge sagt uns die innern Empfindungen ohne Wort, und ein selbst in seiner halbasiatischen Tendenz doch noch gewählter Anzug verräth den Geschmack der Darstellerin. Sie unterscheidet recht gut, daß Gurly in allem was äußere Verhältnisse betrifft kindisch, in allem jedoch was durch das Gemüth erfaßt oder wiedergegeben wird, kindlich ist, und theilt so ihr Spiel in den verschiedenenen Beziehungen, in welchen sie mit ihren Umgebungen steht. Wie sanft schmiegt sie sich an Liddy an, wie zärtlich liebt sie ihren Vater, wie alle Form nicht kennend, weil sie durch innres Geneigtseyn sie nicht blos ersetzt, nein, auch veredelt, ist sie mit dem lächerlichen Sir Samuel, mit der ahnenstolzen karrikirten Mistr. Smithy. Muthwillig treibt sie sich in den Scenen, wo ihre Herz nicht beschäftigt ist, auf dem Theater umher, macht sich Püppchen als ächtes Kind, und klimpert ohne Tonsinn – man bedenke woher sie kam – auf dem Klavier. Wo aber ihr Herz mit im Spiele ist, da verliert sich der kindische Leichtsinn, das Gefühl bricht hervor, innige Theilnahme entsteht, und die Gutmüthigkeit spricht sich in hundert kleinen Zügen aus. Die ganze Rolle sprach erfreulich an und erweckte mehr als einmal verdienten Beifall. Der ausgezeichnetste Punkt darin war im zweiten Akt die Erzählung von Gurly’s Schicksal an Liddy. Die Abwechselung in den ¦ Bildern, die hier vor dem innern Auge des Naturkindes vorübergehen, giebt zu einer Menge interessanter, rührender und lieblicher Nüancirungen Veranlassung, und mit Vergnügen bemerkten wir, daß Dem. Schaffner sich keine derselben entgehen ließ, und eine Mannigfaltigkeit von Ausdruck in Miene und Sprache zeigte, die auch für höherstehende Rollen ein eindringendes Studium erwarten ließ. Vortrefflich gab Herr Werdy die oft vergriffene Rolle des Kaberdar mit Wärme und wohlthuender Innigkeit. Herr Pauli zeichnete den in seiner Bedächtlichkeit lächerlichen Sir Samuel mit Wahrheit und ohne Uebertreibung, und Dem. Schubert spielte die Liddy mit Innigkeit. Unser Veteran Bösenberg war noch ungemein lebendig als Zollvisitator, und Herr Heyne zeigte als Fazir ein lobenswerthes Streben.

Am 15. März. Der leichtsinnige Lügner. Lustsp. in 3 Akten, vom Schauspieler Schmidt (er ist jetzt Schauspiel Director in Hamburg und dort hoch um die Kunst verdient). Felix Wahr hält das ganze Stück, welchem, wie bekannt, das Accessit bei den von Cotta vor mehrern Jahren ausgesetzten dramatischen Preisen zu Theil ward. Fällt diese Rolle nun in die Hände eines Darstellers, wie Hr. Meyer* vom Theater zu Schwerin, der sie hier als erste und letzte Gastrolle gab, das heißt, wird sie mit einer Schwerfälligkeit gesprochen, die sich jede Lüge erst lange zu überlegen scheint, ehe sie sie an den Tag giebt, so erhält das ganze Lustspiel einen falschen Anschein, denn der Lügner, welcher bei innrer aufsprudelnder Lebendigkeit, bei dem Ueberströmen lustiger Einfälle, bei dem Trieb nur stets zu sprechen, und sich überlegunglos in den Strudel scherzhaften Umtreibens zu stürzen, allerdings nur leichtsinnig, folglich ein passender Gegenstand für das Lustspiel wird, artet nun in einen besonnenen aus, und tritt folglich aus der Sphäre des Scherzes. Es that uns leid um das, lange nicht auf dem Repertoir erschienene Stück, das wohl durch gelungene Darstellung der Hauptrolle ein besseres Schicksal verdient hätte. Wir erwähnen noch Hrn. Pauli, der in der Rolle des eifersüchtigen Advokat Loder, eine interessante und sehr beifällig aufgenommene Characterzeichnung gab.

Th. Hell.

Editorial

Summary

Chronik Dresden, Hoftheater vom 14. und 15. März 1819: “Die Indianer in England” von Kotzebue und “Der leichtsinnige Lügner” von F. L. Schmidt.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 73 (26. März 1819), f 2v

    Commentary

    • “… eines Darstellers, wie Hr. Meyer”Laut Oscar Fambach (Das Repertorium des Königlichen Theaters … zu Dresden 1814–1832, Bonn 1985, S. 381) handelte es sich um den gerade siebzehnjährigen Ludwig Meyer (1802–1862). Tatsächlich dürfte allerdings der von Sommer 1817 bis Februar 1819 als Theaterdirektor in Mecklenburg-Schwerin tätige Schauspieler Fr. Meyer gemeint sein; vgl. Hans Wilhelm Bärensprung, Versuch einer Geschichte des Theaters in Mecklenburg-Schwerin, Schwerin 1837, S. 254–267.

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