Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater vom 14. und 15. April 1819 (Teil 1 von 2)

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Am 14. April. Die Entführung aus dem Serail. Hr. Klengel, vom Leipziger Stadttheater, Belmonte als Gastrolle; Herr Meyer aus Cassel, Osmin als Debüt. Nach Beschluß des erstern Gast- und des letztern Debütrollen, wird über diese Künstler ausführlicher gesprochen werden.

Am 15. April. Zum Erstenmale: Das Vogelschießen. Lustsp. in 5 Akten, von H. Clauren. Zu Darstellung kleinstädtischer Sonderbarkeiten gab unstreitig Picard’s petite ville, die zu ihrer Zeit in Paris das größte Gelächter erregte, die erste Veranlassung. In Deutschland konnte sie natürlich bei so gänzlicher Sittenverschiedenheit keine große Wirkung hervorbringen, aber Kotzebue ergriff glücklich den Gedanken und schrieb seine Kleinstädter, unstreitig eins seiner besten, ihn gewiß überlebenden Lustspiele. Liegt doch auch ein unerschöpflicher Lachstoff in diesen Gewohnheiten, Sitten, Ansichten und Ueberhebungen, der noch dazu das Gute hat, daß er mit seiner Satyrgeißel keinem der Götzen des Tages zu nahe tritt, folglich um so unbefangener sich entfalten kann. Wenn nun Kotzebue in den Kleinstädtern mehr das innere Getreibe des Familienwesens solcher Pfahlbürger geschildert hat, so beschäftigt sich die komisch Muse Claurens in dem Vogelschießen dagegen mehr mit dem äußern Leben kleinstädtischer Verhältnisse und vollendet also in diesem Gemälde die ganze Schilderung. Dort giebt es die Aufnahme eines Unbetitelten in den Schoos einer Familie, hier den Empfang eines hohen Besuchs, dort einen Familienrath, hier ein öffentliches Fest; darum hat auch jenes mehr innre, dieses mehr äußere Lebendigkeit, und nach diesem Gesichtspunkte möchten wohl beide Stücke zu beurtheilen seyn.

Der Anklang zu diesem Claurenschen Stücke liegt wohl in dessen Erzählung: Munter ist die Hauptsache; welche in dem Vergißmeinnicht für 1818 stand. Doch kann man mit Recht nicht sagen, daß diese Erzählung hier dramatisch bearbeitet sey, denn nur der Anfang derselben giebt die hier zum Theil benutzte Intrigue der Erscheinunng der falschen Prinzessin auf dem Vogelschießen, die übrige Wendung und mehrere Charactere sind völlig neu hinzugekommen, wodurch denn das Ganze auch an Freheit und Frische gewonnen hat, die gewöhnlich bei Umarbeitungen von Erzählungen zu Dramen verloren zu gehen pflegen. Nicht ganz wahrscheinlich bleibt freilich der einleitende Stoff, daß der vortragende Rath des Fürsten, dem dieser in vielen Dingen ein ungedingtes Vertrauen schenkt, sich mit der Kammer¦frau der Prinzessin zu einer solchen im Entdeckungsfall gefährlichen und außerdem ganz nutzlosen Sache einlassen solle, wie der letztern Erscheinen als fürstliche Person auf dem Vogelschießen zu Flachsensingen ist, so wie Seltings Kenntnisse von allen Umgebungen des Fürsten und den Ränken und Schlechtigkeiten derselben; aber wer im Lustspiel, besonders in einem, das wie das vorliegende sich mehr der heitern Posse als dem feinen Conversationsstück nähert, an dem Zusammenhange jedes Fadens kritteln und den Einschlag in die feinsten Theile zergliedern will, der wird das fröhliche Gewebe bald zerreißen, und, indem er sich selbst die Freude verdirbt, niemand wohl thun. Die Scenenfolge ist in dem vorliegenden Lustspiel über dieses natürlich, die Verwicklung fortschreitend, die Charactere sind mannigfach, belebt und interessant, und der Dialog unterhaltend, leicht und witzig. Daß der Witz sich unter den Kleinstädtern nothwendig dann und wann etwas kräftig hören lasse, liegt in der Natur der Sache, und die Zeichnung würde unwahr seyn, wenn sie anders wäre. Daß der Verf. recht wohl weiß auch feinere Nüancirungen anzubringen, zeigt er in den Conversationen im Vorzimmer des Fürsten im ersten Akt; daß die Erregung des Gefühls ihm zu Gebote stehe, in den Auftritten zwischen Lottchen und Selting, und in der sehr ausgezeichneten Scene des 5ten Akts, wo Lottchen mit dem Fürsten und seiner Tochter spricht. Es wäre also sehr unbillig, dem Dichter, der jedoch nie die Grenzen des Anständigen überschreitet, in dieser Hinsicht Vorwürfe zu machen. Sitten und Verhältnisse der Zeit sind oft mit hoher Laune berührt, und wer muß die Idee nicht trefflich finden, wie der Schützenkönig Trampel seinem Neffen Selting den Rittergutbesitzer von Stauden durch’s Fenster zeigt, der unten als gemeiner Schütze Schildwacht steht, und als dieser fragt, wer es sey, antwortet: Das ist der Zeitgeist. Eben so verdient Trampels komische Schilderung seiner frühern Hofverhältnisse als Stallschreiber, so wie sein angenommenes Bürgerthum Auszeichnung. Das Stück ist übrigens bereits auf den Bühnen zu Hannover und Cassel mit entschiedenem Beifall aufgeführt worden, und auch hier erkannte das Publikum durch stets rege Theilnahme daran, immer neugereizte Lachlust und den lauten Beifall, der mehrern Scenen gezollt warn, an, wie gern es Beiträge zu dem jetzt so spärlich angebauten Felde größrer Lustspiele aufnimmt, wenn sie mit der muntern Heiterkeit geschrieben sind, die Clauren schon in so manchen Erzeugnissen beurkundet hat.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Summary

Chronik Dresden, Hoftheater vom 14. und 15. April 1819. Dabei der erste Teil der ausführlichen Besprechung von “Das Vogelschießen” von Heinrich Clauren. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 101 (28. April 1819), f 2v

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