Aufführungsbesprechung Stuttgart: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber, April 1822, Ludwig Börne: Vertrauliche Briefe (Teil 1 von 2)
Vertrauliche Briefe.
1.
Ich habe Ihnen alles auf das schönste besorgt, und Sie werden Ihren Diener loben. Doch nein, nicht Alles, Oblaten von der Kleinheit, wie Sie sie wünschen, waren nicht zu haben. Vielleicht suchte ich auch nicht emsig genug, denn es war grade kein Geschäft, das mich erquickte. Zwanzigmale fragte ich mich auf dem Wege zum Papierladen: Für wen mögen Sie wohl bestimmt seyn? das sind ja die größten Geheimnisse, die man mit den kleinsten Oblaten versiegelt. Und da schwebte mir Ihr Onyx vor, der auch klein, und worauf, ich weiß nicht, welches Kind eingegraben ist; ich glaube, Ihr Brüderchen. Daß Sie mich zu Ihrem Literatur-Minister ernannt haben, machte mich sehr lachen. Sie sind doch immer neu! Welcher Mensch hat sich je an einen Kriminalrichter gewendet, daß er ihm einen treuen Bedienten verschaffe? Und ich soll Ihnen gute Bücher empfehlen? Ich, ein Buchrichter, ich, ein Blutmensch? Was kümmern mich die guten Werke der Leute! Nicht ihnen verdanke ich Amt und Brod. Alle Fehler Goethe’s und Jean Pauls stehen in meinem Register verzeichnet, aber von dem, was sie Edles haben, erfährt nur mein Herz, in den seltenen Stunden der Rührung. Doch es soll geschehen. Ich will meine Gerichtsferien nutzen, Leseproben für Sie zu halten. Seyen Sie aber dankbar, und wenn ich einschlafe, entschädigen Sie mich mit angenehmen Träumen.
Haben Sie den Freyschütz gehört oder gesehen? Ich glaube gelesen zu haben, daß man euch diese Oper verkündigt. Hier wurde sie seit vierzehn Tagen dreymal aufgeführt*. Die guten Leute waren entzückt davon, und das hat mich etwas ängstlich gemacht; denn wenn man berauschte Menschen vor sich sieht, bedenkt man sich, auch nur zum mäßigen Genusse, das Glas in die Hand zu nehmen. Ich habe aber doch getrunken, und den Wein feuerig genug, lieblich, und ganz rein und zuträglich gefunden. Das ist ein ächt deutscher Rebensaft, wie ihn nur der alte Vater Rhein schenkt; das ist – doch ich kann es vor Lachen nicht vollenden; nachher mehr davon, wenn ich wieder vernünftig geworden bin.
Wenn etwas, so ist es die Musik, worin die Gemüthsart eines Volks sich ausdrückt, und behaupten, daß wir eine deutsche Musik gar nicht haben, das heißt behaupten, daß das deutsche Volk gar keinen Charakter habe. Und so ist es auch. Weber gab uns in seinem Freyschützen die erste deutsche Oper, und weil sie so ist, haben wir durch sie, noch mehr gewonnen als sie allein; ein schönes Zeichen einer schönern Sache. Ich bin eigentlich kein Musik-Kenner, ich vermag für die Wahrheit meiner Gefühle keine gerichtliche Beweise darzubringen, aber ich weiß, Sie vertrauen mir. Denken Sie sich einen deutschen Don Juan, aber Einen, der nicht Champagner trinkt und Donnas liebt, sondern Landwein und ¦ Landmädchen – so ist dieser Freyschütz. Die Ouvertüre ist in einem sehr edlen Style gedichtet, und auch der Scherz darin, wie in allen Stücken der Oper, mit dem feinsten Anstande durchgeführt. Das Schelmlied, welches der böse Jäger singt, wird Ihnen gefallen; die Pickelpfeifen schreyen so frech heraus – ein sehr guter Einfall. Ach, und das Brautlied! Man möchte verschmelzen vor Lust. Unsere jungen Mädchen husten schon vierzehn Tage, und können die Kehle nicht frey bekommen von dem süßen Liede. "Wir winden dir den Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide." Welch ein Zauber in dieser veilchenblauer‡ Seide, man könnte einen Simson damit binden! Den Jägergesang im dritten Akte hört gewiß Jeder, vornehm oder gering, mit großem Vergnügen. Die genannten Musikstücke sind vielleicht nicht die besten der Oper, aber sie sind die liebenswürdigsten, die sich durch Einschmeicheln vordringen. Der Geisterchor vor der Erscheinung der wilden Jagd, und der diesen begleitende furchtbare Gesang, sind von großer Wirkung; doch ist mir dieser Theil der Musik noch nicht recht klar geworden, weil die Aufmerksamkeit durch die mannigfaltige Scenereyen, die das wilde Heer darbietet, abgelenkt und das Ohr betäubt wird. Liebe Freundin, welch’ ein Tosen, welch’ ein Grausen, welch’ ein furchtbarer Anblick! In Kassel ist ein armer Mensch darüber verrückt geworden, so daß man ihn ins Tollhaus bringen und fesseln musste. Hier aber ist so etwas nicht geschehen- –
Die Ritter schauten muthig drein,Und in den Schoos die Schönen.Aber nicht alle in den Schoos. Mehrere Schönen haben den Kopf gewendet, und andere in der höchsten Angst und Verzweiflung, recht starr in das Entsetzliche hineingesehen.
Einige Musikfreunde wollen bemerkt haben, daß Weber in seiner Oper sich manches ihm nicht Zugehörige angeeignet habe; aber vielleicht täuschten sie sich hierin. In jedem Werke deutschen Geistes muß sich Bekanntes finden; denn das ist ja eben die Art der Deutschen, daß sie die Farben der Kunst und Wissenschaft, worin das Völker-Prisma sich getheilt, wieder versammeln, um das reine Licht der Erkenntniß darzustellen. Doch das heißt nicht sich Ungebührliches zuwenden, denn Farben sind ja die Töchter des Lichts... Sie werden sich langweilen bey meinem Prisma, und wissen wollen, wie unsere Herren und Damen gepielt und gesungen, dann sind Sie auch eins von den neugierigen Kindern, die nicht einschlafen können, wenn sie nicht alle Tage erfahren, wie jede Mad. Müller in ganz Deutschland jeden Abend gesungen, und ob sie herausgerufen worden. Die Oper wurde vortrefflich aufgeführt. Die Intendanz, welcher die Leitung des Ganzen oblag, der Kapellmeister, der die Oper einstudirt, alle Sänge und Sängerinnen, verdienen wegen ihrer Leistungen großes Lob, | unter den Sängerinnen vorzüglich diejenige, welche die Rolle der Agathe hatte. Auch der Maschinist, der sich bey dieser Gelegenheit sehr lächerlich hätte machen können, hat sich mit Ehre aus der Teufelsverwirrung gezogen. Nur um von der Hahnenfeder eines Kritikers das Spitzchen zu zeigen, bemerke ich, daß, wie mir schien, das Lachchor mit zu vieler Bosheit zu Werke gegangen, welches besonders bey den Lacherinnnen auffiel. Max hat zwar schon eine Braut, aber er bleibt doch immer ein schmucker Mensch, und später erfährt man ja, daß ihn alle Welt geliebt. Warum ihn so giftig necken in seinem gerechten Verdrusse? Ferner glaube ich, daß das Tempo des Jägerliedes zu schnell genommen worden ist. Fragen Sie mich aber nicht, was ich von dem poetischen Theile der Oper halte. Ich will meine Gerichtsferien genießen, und es mir so bequem als möglich machen.
(Der Beschluß folgt.)
Editorial
Summary
Kritik von Ludwig Börne über die Aufführung des “Freischütz” in Stuttgart (Teil 1 von 2)
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Solveig Schreiter
Tradition
-
Text Source: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 16, Nr. 106 (3. Mai 1822), pp. 423–424