Friedrich Heinse: Bericht über die Aufführungen der Euryanthe in Dresden am 7. und 14. November 1824

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Korrespondenz und Notizen.

Aus Dresden

Sie können gar nicht glauben, lieber Freund! welchen hohen Genuß es mir gewährt hat, unsers Weber’s Euryanthe durch eine zweimalige Darstellung auf dem hiesigen K. Theater am 7ten und 14. v. Mon.* kennen zu lernen! So besitzen wir Deutschen denn ein wahres Meisterwerk der dramatischen Musik mehr! Denn welcher Komponist hat die Tiefen der bewegten Menschenseele mit tieferer Innigkeit, welcher das Bangen sehnsuchtsvoller Liebe reizender und schwärmerischer; welcher das Leid des im Tode brechenden treuliebenden Herzens, eben so, wie die Wonne des Entzückens ausdrucksvoller und energischer; welcher endlich hat die Leidenschaft der Rache und Wuth aus verschmähter und verzweifelnder Liebe kräftiger ausgedrückt, als unser Komponist der Euryanthe?

– – Des Dichters Lippe,Die süßeste, die je von frühem HonigGenährt war, wünscht’ ich, ihn zu preisen, mir.*

Dem großartigen Wechsel der hochgespannten Leidenschaft, in welchem Zartes und Furchtbar-Großes, die Schwärmerei der Liebe wie des Hasses sich auf den höchsten Höhen der Empfindung bewegen, fehlt es in den vollkräftigen Chören von heiterem Charakter nicht an dem Gegensatz, welcher nöthig war, um dem Ganzen das hohe Interesse einer wahrhaft romantischen Musik zu verleihen, und welcher mir namentlich in der monotoneren, düsteren Musik Spohr’s zur Jessonda nicht in dieser gelungenen Maße vorhanden zu seyn scheint. Tief ergreifend hat auf mich auch besonders die Kunst gewirkt, mit welcher der Meister die Partien der Eglantine und des Lysiart – besonders des letztern durch das, den Mittelpunkt seiner großen Scene bildende Cantabile in G dur – uns menschlich näher gebracht und das Gehässige gemildert hat. Laut aufjauchzen möchte ich allemal bei dem so höchst gelungenen und schwärmerischen Ausdruck, welchen der Tonsetzer in Adolar’s Arie im 2ten Akt und in den Jubelruf Euryanthens: Zu ihm, zu ihm u. s. w. gelegt hat.

Ehre aber auch der trefflichen Aufführung, welche der Berichterstatter im Aprilheft ihrer Zeitung mit gerechtem Anerkenntniß gewürdigt hat. Die Devrient hat wahrhaft begeisternde Momente, und ist doch dabei ohne alle Uebertreibung, stets natürlich, und ihr Ausdruck auch in den höchsten Punkten der Leidenschaft sehr wahr und höchst energisch. Die Funk tritt in der Rolle der Eglantine als vollendete Künstlerin auf, und ihre kräftige Stimme drückt den Kampf ihrer leidenschaftlichen Seele oft durch Accente aus, welche wenigen andern Sängerinnen auf gleiche Weise gelingen möchten. Ich wünsche ihrem herrlichen Talente aufrichtig, was Tasso sich selbst wünscht, und rufe dem Glücke zu:

Begünst’ge diese Pflanze fort und fort!Sie strebt gen Himmel, tausend Zweige dringenAus ihr hervor, entfalten sich zu Blüthen.*

Auch Bergmann’s süßer Tenor eignet sich ganz, die zarten Weisen des gefühlvollen Tondichters wiederzugeben.

Friedrich Heinse.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 24, Nr. 236 (30. November 1824), col. 1895

Text Constitution

  • “v. Mon.”sic!

Commentary

  • “… 7ten und 14. v. Mon.”Der Autor ging wohl davon aus, dass der Bericht erst im Dezember veröffentlicht würde, so dass fälschlich vom vorigen Monat die Rede ist. Gemeint sind die achte und neunte Vorstellung des Werks in Dresden (Erstaufführung 31. März 1824, Wiederholungen: 3. und 28. April, 3. Mai, 30. August, 14. September, 11. Oktober, 7. und 14. November). Im Tagebuch der deutschen Bühnen 1824 ist die Premiere fälschlich mit 2. April ausgewiesen (S. 103, Korrektur nach Webers Tagebuch); zu den weiteren Aufführungen vgl. ebd., S. 154, 236, 245, 284f. (14. September fehlt, ergänzt nach Webers Tagebuch).
  • “… ich, ihn zu preisen, mir.”Johann Wolfgang von Goethe, Tasso, Akt II, Szene 2.
  • “… hervor, entfalten sich zu Blüthen.”Johann Wolfgang von Goethe, Tasso, Akt II, Szene 2.

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