Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden: 26. Juni bis 2. Juli 1817

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Am 26. Juni. Auf dem Theater in der Stadt: Octavia. Trauerspiel in 5 Aufzügen von Kotzebue.

So oft wir dieses Trauerspiel gesehen haben, und das ist bei dem öftern Wiederholungen desselben, die es üebrall erlebt und verdient hat, nicht selten geschehen, hat uns auch das viele Schöne und Erhabne, welches die ersten 4 Akte desselben enthalten, ungemein ergriffen, eben so oft sind wir aber auch von dem fünften Akte, und namentlich von dem unmännlichen Todte des Antonius, dem Verschwinden der Kleopatra, ohne daß über ihr Schicksal genügende Entscheidung erfolgt, und den Versuch Octaviens sich selbst zu tödten, wieder verstimmt worden. Welch ein treffliches Kunstwerk müste das Ganze seyn, wenn dieser Akt den erstern entspräche! Denn, aufrichtig gestehen wir es, wir kennen wenige Scenen, die uns in Anlage und Ausführung so meisterhaft geschienen hätten, als namentlich im ersten Akte die Unterredung zwischen Cäsar und Octavia, die im zweiten zwischen Octavia und Antonius mit ihrem wohlthuenden Aktschluß, und der ganze Schluß des vierten Akts von dem sechsten Auftritt an. Oder muß es nicht jedes fühlende Herz tief bewegen, und ihm sanfte Thränen geben, wenn Octavia zu ihrem Bruder, rückkehrend in die Erinnerungen einer schönen Kinderzeit, sagt:

Aus ener Zeit behielt ich diese Narbe,Dein Adler schlug sie mir; es blutete,Es schmerzte: Doch ich sah Dein bleiches SchreckenUnd weinte nicht. Du schleudertest den AdlerMit Ungestüm ins Feld, Du preßtest michAn Deine Brust – die brüderliche AngstThat mir so wohl – es war ein süßer Schmerz!Ich weinte nicht. – Du zogst mich sofort zur Quelle,Und meine Wunde waschend schwurst Du mirNie wieder mich zu schlagen. Halte Wort!Ach halte Wort! Schlag mich nicht wieder, Bruder!Hier (auf die Wange deutend) ist’s vernarbt, hier (aufs Herz) würd’ es ewig bluten.

Dieses edle, weiblich milde und männliche starke Gemüth Octavia’s, muß aber auch um hinzureißen, mit der Wärme der Empfindung, der Innigkeit des Spiels, dem kräftigen Entschlusse der Tugend dargestellt werden, wie es Mad. Hartwig that, um wahr und ergreifend zu wirken. Die treffliche Künstlerin hat sich schon oft in dieser Rolle Lorbeerkränze erworben, auch diesesmal mußte ihr einer der belaubtesten geweiht werden, und die Versammlung that es auch. Antonius wird sich selten Freunde gewinnen, und soll er es, so muß am wenisten Manneskraft in ihm hervorleuchten, weil sonst seine Schwäche für Kleopatra dagegen allzu empörend hervortritt. Ganz zum orientalischen Weichling geworden, lodert nur selten sein frühreres Römerfeuer in ihm auf, verlischt aber eben so leicht wieder in Erschlaffung bei Kleopatra’s Thränen und ihren Rosen, Bechern und Flöten. Recht lobenswerth gab Herr Schirmer den mehr kalten aber (so schildert ihn wenigstens der Oekonomie des Stücks angemessen der Dichter) grad ¦ und kräftig handelnden Octavian. Auch freuten wir uns den Veteran Christ als Eros, in einer immer von ihm mit Beifall gegebenen Rolle wieder auftreten zu sehen. Seine Tochter, Dem. Christ gab die so höchst schwierige Rolle der Kleopatra mit Einsicht und ächtem Anstand.

Am 29. Juni. Auf dem Theater in der Stadt. Jakob und seine Söhne in Egypten. Herr Stümer, Mitglied des Königl. Theaters zu Berlin, sang den Joseph als Gastrolle. Es ist zu bedauern, daß wir diesen Künstler, dem ein sehr guter Ruf vorausging, nur in dieser einzigen Darstellung sehen konnten, da eine unerwartet schnelle Abreise ihn hinderte, noch einige andre Rolle zu geben, unser Urtheil folglich auf zu kurze Ansicht sich gründen mußte, Herr Stümer auch eben an diesem Tage an einem Katharr zu leiden schien, und daher die volle Reinheit seiner Stimme nicht entfalten konnte.

Am 2. Juli. Auf dem Theater am Linkeschen Bade. Peter und Paul. Lustspiel in 3 Akten, von Castelli. Schon beurtheilt. Hierauf zum Erstenmale: Der erste April. Lustspiel in 1 Akt, von C. Lebrün. Wahrscheinlich auch zum letztenmale, denn das Publikum äußerte sein Mißfallen über dieses Produkt am Schlusse sehr laut. Zu läugnen ist es auch nicht, daß es trotz dessen, daß es nur einen Akt hat, doch schon mit der ersten Scene, wo der Herr Gutsbesitzer Fröhlich, sich mit dem Bedienten Fritz recht gemächlich hinsetzt und brüderlich und mit vielen Redensarten ein Pfeifchen raucht, und ein Glas Bier trinkt, ungemein langweilt. Eine eigentliche Verwickelung enthält das Machwerk auch nicht, denn Alles läuft darauf hinaus, daß der Vater schon in der zweiten Scene erklärt, er wolle seine Tochter durch die Einwilligung in ihre Verbindung mit dem Geliebten, und mit diesem selbst überraschen, und diese Absicht nun bis zum Schlusse mühsam verschweigt. Der Verfertiger, selbst Schauspieler im Fache der Chevaliers, wollte sich ohnstreitig eine Bravourrolle in dem Charakter des Baron von Finkenstein schreiben, und baute darum nun jenes gebrechliche Gerüst auf. Diese Rolle selbst ist aber auch ohne Haltung, und ward nur durch das treffliche Spiel des Julius zu der einzig interessanten Erscheinung im Stück, daher die Versammlung ihm auch allein und laut Beifall zollte. Wir danken Herrn Hellwig, daß er die Rolle des Fritz nicht verschmäht hatte, aber selbst der bravste Künstler kann doch nicht aus einem absoluten Nichts, Etwas machen. Dem. Julie Zucker bitter wir freundschaftlich, ihr Gefühl mehr vorwalten zu lassen, als es heute geschah. Beim Lesen des Briefes ihres Geliebten, den sie bei jeder Zeile mit Anmerkungen, Ausrufungen, Bezeichnungen zu begleiten hat, gab es eine gute Gelegenheit feine Nüancirungen dieser Art zu zeigen, und sie schien sie zu vernachlässigen. Freilich konnte sie den Gang des Stücks selbst nicht heben, aber um so mehr ist es dann Verdienst für den darstellenden Künstler, durch seine Rolle zu wirken, so viel er vermag, und gute Beispiele gingen ihr heut und zu andrer Zeit darin voraus.

Editorial

Summary

Aufführungsbericht Dresden: “Octavia” von August von Kotzebue am 26. Juni 1817 / “Jakob und seine Söhne in Egypten” am 29. Juni 1817 mit Herrn Stümer aus Berlin als Gast

Creation

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Veit

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 175 (23. Juli 1817), f 2v

    Commentary

    • enerrecte “jener”.

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