Gastrollen der Frau Schirmer vom königlichen Hoftheater zu Dresden auf dem königlichen Theater zu Berlin
Gastrollen der Frau Schirmer vom königlichen Hoftheater zu Dresden, auf dem königlichen Theater zu Berlin.
Ein bedeutender Ruf ausgezeichneten Kunsttalents und seiner Darstellungsgabe war der Künstlerin von Leipzig und Dresden aus vorangegangen. Sie hat ihn durch ihre Erscheinung auf der Bühne zu Berlin gerechtfertigt. Frau Schirmer ist vor uns aufgetreten zuerst am ersten Mai in der Rolle der Walburg, in Axel und Walburg von Oelenschläger, dann als Elise, in Ifflands Elise von Valberg, darauf als Susette, in den Rosen des Herrn von Malesherbes und als Käthe, in: welcher ist der Bräutigam? von Fr. v. Weißenthurn; als Guido, im Schutzgeist von Kotzebue, als Emilia, in Lessings Emilia Galotti und zuletzt am 17ten Mai, als Klärchen, in Göthes Egmont.
In allen diesen Rollen zeigte sie sich als denkende, in Geist, Sinn und Form der gegebenen Charaktere sorgsam eindringende Künstlerin. Mit einer für das Theater sehr günstigen Figur verbindet sie eine leichte, ausdrucksvolle, oft sehr graziöse Akzion. Ihre Stimme ist rein, wohltönend, biegsam in der mittleren Spähre, nur ermangelt sie der Kraft und Tiefe, um damit ein großes Haus zu füllen und die höchsten Grade tragischer Leidenschaft auszudrücken. Ihre Deklamazion ist im höheren versifizirten Schauspiel allerdings gebildet, schulgerecht, doch mehr im Geist, oder viel mehr der Manier, der ehemaligen Leipziger Schule, welcher ein gewisser singender, hüpfender Ton und ¦ etwas gezierte und zu gedehnte Aussprache, besonders der letzten Sylben, anklebt, der allen denen nicht ganz gefällig ist, welche an eine freiere, der Natur und jedesmaligen Empfindung und Handlung angemessenere Deklamazionsweise gewöhnt sind, wie sie z. B. auf der Berliner Bühne, vornehmlich durch die großen Muster Flecks, Ifflands und der Bethmann und Hendel-Schütz u. a., nun schon seit langer Zeit einheimisch geworden ist.
Frau Schirmer hatte zu ihren Darstlellungen eine bedeutende Zahl verschiedenartiger Charaktere gewählt, von denen uns diejenigen am gelungensten und vollkommensten erschienen, in welchen die Naivität des Ausdrucks und die natürliche, empfindungsvolle Unbefangenheit des Gemüths vorherrschend ist. Wir rechnen besonders dahin die Darstellungen der Elise, Susette, Käthe und des Klärchen im Egmont.
Wie schön und lobenswerth manches Einzelne in der Darstellung der Walburg, in Axel und Walburg, gelang, der gesuchte, manierirte Charakter dieser in Komposition, in vielen Charakterschilderungen, in der Sprache und allen seinen mystischen Nebentendenzen verfehlten Tragödie, die durch desselben Verfassers viel höher stehenden Hakon Jarl auch völlig verdunkelt worden ist, konnte der Künstlerin unmöglich Gelegenheit geben, aus ihren Rollen, selbst bei der zweiten Vorstellung, ein völlig ansprechendes Ganzes zu geben. Sie wird es selbst gefühlt haben, wie unter andern, der ganze langweilige und sehr zur Unzeit angebrachte Singsang und die mystische Spielerei gegen Ende des Stücks bei den Zuschauern völlig alle Wirkung aufheben mußte und selbst bei den | Darstellern alles Feuer der Empfindung auslöscht, welche manches bessere Einzelne, der ernsten und wahren Tragödie würdiger Gehaltene noch bis dahin erregt hatte.
Uebrigens wird Frau Schirmer aus der Aufmerksamkeit, womit das gebildete Publikum ihren Darstellungen beiwohnte und aus den Beifallsbezeigungen, welche ihr theils in einzelnen Momenten, theils nach ganzen Scenen und zu Ende mancher Vorstellungen erwiesen worden sind, die freundliche und gerechte Anerkennung ihres Talents und ihrer sorgsamen Bestrebungen erkannt haben; sie wird darin gewiß einen unzweideutigen Beweis finden, wie gern und unparteiisch das gebildete Berliner Publikum auch an fremden, verdienstvollen Künstlern das Gute und Schöne zu beachten zu zu würdigen versteht.
* * *Editorial
Creation
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Tradition
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Text Source: Dramaturgisches Wochenblatt in nächster Beziehung auf die königlichen Schauspiele zu Berlin, vol. 2, issue 49 (7. Juni 1817), pp. 385–386