Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber am 18. Juni 1821 (Teil 1 von 2)
Theater.
Der Freischütz, romantische Oper in 3 Aufzügen, zum Theil nach dem Volksmährchen, von F. Kind; Musik von C. M. v. Weber.
Der große und immer steigende Beifall, mit welchem die Berliner zwei fast gleichzeitig erschienene, durchaus verschiedenartige, Opern, nemlich Spontini’s Olimpia* und Weber’s Freischütz aufgenommen haben, beweist die Unpartheilichkeit des größern Publikums, und macht seiner Vielseitigkeit in demselben Maaße Ehre, wie es aberwitzigen Thoren Schande macht, alles Heil nur in der Opposition und in der Erhebung Eines Verdiensts auf Kosten des Andern, zu suchen (man sehe M. v. Weber’s Bekanntmachung in Nr. 74. der hiesigen Zeitungen). In diesem Falle und auf solche Weise Parthei nehmen, heißt gleich fremd im Gebiet der Kunst und der guten Sitten sein, und die Art wie H. v. Weber sich zu seiner Ehre dabei benommen hat, giebt für beides einen ti‡chtigen Fingerzeig. Doch zur erfreulichen Hauptsache.
H. v. Weber gehört entschieden der Romantik an und die Neigung dazu hat ihn, von seiner ersten Oper, dem Waldmädchen, an, die er als Knabe schrieb und als junger Mann (unter dem Titel: Silvana) umarbeitete, begleitet, hat sich in seinen spätern Erzeugnissen für die Bühne und den Gesang kundgethan, und da er dieses neue fantastische Werk, an welches sichtbar der größte Fleiß verwendet ist, zu der, Epoche machenden, musikalischen Eröffnung der Bühne Berlins ausersehen hat, so muß man annehmen, daß er hier auch sein innerstes Wesen offenbaren und das Beste hat leisten wollen, was er zu geben vermogte.
Seine Wahl ist auf das gute alte Volksmährchen, vom Freischütz, gefallen, der sich dem Teufel ergab, um seine Braut zu erlangen, und am Ende durch des Teufels Bosheit die Braut erschießt.
Fr. Kind hat dieses Mährchen in der Art wesentlich verändert, daß nicht die Braut, sondern der Verführer, erschossen wird und der verführte Schütz mit einem blauen Auge (einem Prüfungsjahr) davonkommt. Was übrigens verändert und hinzugethan worden, entspricht dem musikali¦schen und szenischen Bedürfniß einer Zeit, welche mit einem gewaltigen Satz mitten in die Romantik hineingesprungen ist, und jetzt mit guter Manier schrittweise eine rückgängige Bewegung aus dem unheimlichen Gebiet versucht; so daß es doppelt heilsam ist, wenn tüchtige Mährchen aus einer verschwundenen, einfachen und frommen Zeit, mit ihren guten und bösen Geistern sich auf den Opern-Bühnen festsetzen.
Bis jetzt hat dies nicht recht gelingen wollen, entweder, weil die Zeit ungemein an Aufklärung laborirte und höchstens die neckischen Possen der Donaunymfe tolerirte: oder die Musiker haben sich lieber an heroische und erotische Stoffe gemacht, oder Gluck und Mozart haben nichts anderes neben sich aufkommen lassen (welches noch der beste Grund wäre) oder, es ist, wie z. B. bei der Undine, der Brand dazu geschlagen.
Kurz es ist Zeit, daß das Mährchen wieder zu Ehren kommt, und wenn sich gute Komponisten nur fleißig an die zahllos vorhandenen guten Stoffe halten, so kann manches Schöne in Tönen und Farben aufleben und aufblühn, was mit der Zeit im herbario mortuo der Buchläden zur Mumie eingeschrumpft ist.
Der Freischütz ist solch eine frische Blüthe und wir wüßten unter den neuern mährchenhaften Opern, außer der Undine, keine, worin das Fa[n]tastische und Naive, mit Kraft und Zartheit, mit dem Zierlichen und Kecken, so wohlgefügt zu finden wäre. Am entferntesten davon stehn uns die, in neuerer Zeit herübergekommenen Französischen, sogenannten Zauber- und Feenopern, z. B. eine Cendrillon, le chaperon rouge etc. denen das Mährchen nur zum Vorwand frappanter Theaterkoups dient, und die seine tiefe Bedeutung so wenig ahnen lassen, wie seine reichen Quellen für die musikalische Behandlung darin benutzt sind.
Ueber Beides ist Weber zur Klarheit gelangt und sein Werk voll Sinn und lebendiger Gestaltung, wozu ihm der Dichter allerdings recht sorgsam und geschickt behülflich gewesen ist. – (Fortsetzung künftig.)
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber am 18. Juni 1821 (Teil 1 von 2). Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Fukerider, Andreas
Tradition
-
Text Source: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, Jg. 82, Nr. 76 (26. Juni 1821), pp. 7