Aufführungsbesprechung, Hamburg: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber, Februar/März 1822 (Teil 1 von 2)
Der Freischütz, von Karl Maria von Weber komponirt und von Friedrich Kind gedichtet, hat hier in kurzen Zwischenräumen 9 Vorstellungen erlebt*, und verdient in jeder Hinsicht das Glück, das er machte. Die glückliche Idee, ein altes Volksmährchen zur Oper zu benutzen, ist wirklich dan¦kenswerth, besonders, wenn sie, wie hier geschah, glücklich durchgeführt ward. Kind’s Dichtungen tragen fast alle einen romantischen, oder doch den mit diesem verwandten idyllischen Charakter an sich, und diese beiden Gattungen scheinen ihm vorzüglich zuzusagen; er bewegt sich frei und anmuthig in demselben, und lieferte uns schon manches Dankenswerthe. Wie bekannt, ward das hier besprochene Mährchen, das ursprünglich aus Böhmen stammt, schon von dem hoffnungsvollen Schriftsteller Apel, zu früh uns leider entrissen! in dem von ihm und Friedrich Laun gemeinschaftlich herausgegebenen Gespensterbuche, erzählt, und zwar auf eine höchst anziehende Weise, wie sich denn überhaupt dieser Schriftsteller durch eine lebhafte Phantasie und einen blühenden, korrekten Styl auszeichnete. Das Mährchen hat im Gespensterbuche einen tragischen Ausgang, den Kind aber, heitern Genien unterthan, in einen befriedigendern umwandelte, dem Mährchen in allem andern fast genau folgend, bis auf zwei episodische Personen, die er einschob, Annchen und den Einsiedler. Erstere belebt durch ihre Heiterkeit die dunkeln Tinten des Süjets auf eine anmuthige Weise, und bereitet durch ihr Erscheinen gewissermaßen auf einen fröhlichen Ausgang vor, denn endete die Oper tragisch, so wäre sie nicht allein durchaus überflüssig, sondern sogar hinderlich; letzterer dient dazu, den glücklichen Ausgang herbeizuführen, und ist daher gewiß an rechter Stelle. Der Operntext ist, was so wenige sind, gut und vernünftig, auch die Dichtung angenehm und gefällig, denn man muß bedenken, daß die Opernpoesie, eben weil sie sich der Komposition unterordnen muß, nicht so ausgezeichnet und vollkommen seyn kann, als jede andere; so gibt es sehr schöne Versarten, die nicht zu komponiren sind. Die Cavatine im dritten Akte:
Und ob die Wolke sie verhülle,Die Sonne bleibt am Himmelszelt!Es waltet dort ein heil’ger Wille;Nicht blindem Zufall dient die Welt!Das Auge ewig rein und klarNimmt aller Wesen liebend wahr! u. s. w.ist wirklich als Poesie betrachtet lieblich und angenehm, und auch mehrere andere Gesangstücke sind es mehr oder minder. So viel über die Dichtung, jetzt zur Komposition!
Es ist gewiß nicht zu viel behauptet, wenn wir sagen, daß seit Mozarts Tode kaum eine ansprechendere im deutschen Vaterlande erschien. Webers ganze Originalität und Tiefe zeigt sich in dieser Komposition, und besonders ist die Ouvertüre ein Musikstück von ausgezeichnetem Werthe; sie ist gleichsam die Inhaltsanzeige des ganzen Stücks, ganz das, was eine gute Ouvertüre seyn soll. Herrlich bereitet sie auf das Romantische der Oper vor, indem sie selbst höchst romantisch ist. Süße, wonnevolle Schauer durchbeben die Seele, wenn man sie anhört; Harmonie und Melodie gehen Hand in Hand darin, und keine von beiden ist der andere[n] untergeordnet, oder, wie bei Rossini’s Stücken, für die andern aufgeopfert. Eben dies läßt sich von den einzelnen Gesangstücken sagen, die höchst charakteristisch sind, es sey nun vom wilden Trinklied: „Hier im ird’schen Jammerthal,“ oder von der Aria Agathens: „Wie nahte mir der Schlummer,“ oder von Annchens neckender Romanze: „Einst träumte meiner sel’gen Base,“ die Rede. Besonders herrlich aber zeigt sich Webers Genie in den Chören; die, welche in diesem Stücke vorkommen, sind ohne Ausnahme vortrefflich und originell.
Editorial
Summary
Aufführungsbesprechung, Hamburg: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber (Teil 1 von 2). Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.
Creation
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Responsibilities
- Übertragung
- Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas
Tradition
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Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 22, Nr. 97 (18. Mai 1822), col. 775–776
Commentary
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“… kurzen Zwischenräumen 9 Vorstellungen erlebt”Aufführungen am 5., 7., 11., 13., 15., 20., 23. und 27. Februar sowie 4. März 1822.