Aufführungsbesprechung Karlsruhe: 21. März 1824 (Euryanthe)

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Carlsruher Theater.
(Fortsetzung.)

Sonntag, den 21. März. (Zum ersten Male.) Euryanthe. Große historisch-romantische Oper in drei Akten. Dichtung von Helmine von Chezy, Musik von Carl Maria von Weber. |

Schon vielfältig ist über dieser Oper, Text und Musik gesprochen worden, mit Geschick und Einsicht, bloß deklamatorisch und blindlings anpreisend. Die Dresdner besonders haben sich in Versen stark angegriffen, und es frägt sich, ob Theodor Hell’s Sonnette in der Abendzeitung oder Webers Musik der Tadel der Schwerfälligkeit mehr trifft. Wir wollen uns hier in ganz schlichter Prosa auch ein wenig über Text und Musik auslassen, in so weit dieß nämlich geschehen kann, wenn man das Stück nur einmal an sich hat vorüberrauschen hören. Verdiente Helminens DichtungT kein anderes Lob, so mußte man sie doch musikalisch und romantisch nennen. Aber auch die Anlage, die Idee ist gut und poetisch; der geschichtliche Grund, den sie hat, giebt ihr immer Haltbarkeit und Lebensansprüche. Der Durchführung wüßte ich eben weiter auch nichts Schlimmes nachzusagen, als daß Manches etwas besser motivirt seyn könnte. Nun zur Musik. Diese ist allerdings gewaltig, wenn man diesen Ausdruck auf die Masse von Tönen, die sich, wie in einem beständigen Kampfe aus Dißharmonie zur Harmonie entwickeln. Auch geschieht dieß auf eine höchst überraschende, originelle Weise. So in der Ouvertüre, so ist fast allen Partieen. Soll nun aber die Ouvertüre die große Welt der Oper im Kleinen zusammengedrängt, darstellen, und zwar scharf und bestimmt: so möchte der zur Euryanthe doch Mangel an Klarheit und Bestimmtheit vorzuwerfen seyn. Die Töne gehen in chaotischen Massen durcheinander; manchmal meint man einen Halt, einen Lichtpunkt zu finden; aber bald brechen neue Kräfte streitend gegeneinander auf, und die Beruhigung, Verklärung, oder wie man es sonst nennen will, kommt erst spät, nachdem sich die riesige Kraft in sich selbst erschöpft zu haben scheint. Ein Gleiches meynen wir auch in den beiden letzten Akten, die dem ersten an Kraft und innerer Lebendigkeit allerdings bedeutend weit nachstehen, bemerkt zu haben, so weit dieses nämlich bei einmaligem Hören möglich ist. Einen unangenehmen Eindruck macht überdieß die Schwierigkeit, die überall bei Sängern und Spielern unverkennbar hervortritt. Bei der Darstellung des ächten Kunstwerks, soll man, meines Erachtens, nie etwas Mühseliges, alle Kräfte bis zur höchsten Anstrengung Spannendes und Folterndes verspüren. Der Komponist soll uns ja nicht beweisen, daß er das Talent, die Kraft habe, alle Töne disharmonisch durcheinander zu jagen, und doch zuletzt sie in Harmonie aufzulösen verstehe. Eben so wenig verlangt man geschraubte Originalität von ihm, verzwickte Gänge, Seiltänzersprünge etc. Der Theoretiker mag ein solches Werk allerdings interessant und gründlichen Studiums würdig halten; aber für die Welt ist es nichts. Vieles der Art findet sich in der Weber’schen Musik, und so kam es denn hier, wie es anderwärts früher gekommen ist, und später kommen wird, daß die Euryanthe die erwartete Wirkung nicht hervorbrachte. Die Ouvertüre blendete. Der erste Akt sprach an. Die Theilnahme war lebhaft. Mit dem zweiten nahm sie jedoch merklich ab, und im dritten regten sich nur wenige Hände. Der Totaleindruck war schwach. Aber ¦ tadeln können wir nicht, was von Vielen getadelt worden ist, daß in dieser Oper Alles Rezitativ ist; im Gegentheil hat uns dies sehr wohl gefallen, und ganz dem Wesen der wahren Oper, die ja nicht Singspiel seyn soll und will, angemessen. Sollen wir nun schließlich unsre Meynung über die Euryanthe unsere Ansicht von ihr kurz zusammenfassen: so gestehen wir gern ein, daß sie genial und originell ist, daß aber die darin herrschende Schwierigkeit, das Grandiose in den Tonmassen eine häufige Wiederholung nicht zulassen wird – und doch scheint dieß mir gerade nöthig zu seyn, damit sie der gebildete Musikfreund fasse, damit sich ihm die das Erstemal nicht hervortretenden Schönheiten nach und nach entfalten. – Unserer Theaterkomite zum Ruhm muß bemerkt werden, daß für die Aufführung dieser Oper alles Mögliche gethan, daß sie sehr reich ausgestattet war. Die neuen Dekorationen von dem Herrn Hoftheatermaler Gaßner sind überaus schön und gelungen, wie das allgemein dankbar anerkannt wurde. Sänger und Sängerinnen* boten alle ihre Kräfte auf, um diese Oper vorzüglich zu geben. Das Orchester hatte sich sorgfältig eingespielt – und so mögen wir wohl eine baldige Wiederholung derselben* wünschen, und werden dann einen frischen Bericht erstatten, sey es nun um die jetzt ausgesprochenen Ansichten zu motiviren oder fester zu begründen.

[…]

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Veit, Joachim

Tradition

  • Text Source: Didaskalia oder Blätter für Geist, Gemüth und Publizität, Jg. 2 (10. Mai 1824)

    Commentary

    • dieserrecte “diese”.
    • istrecte “in”.
    • “… anerkannt wurde. Sänger und Sängerinnen”Zur Besetzung vgl. die Aufführungsbesprechung aus dem Freiburger Wochen- oder Unterhaltungs-Blatt (Teil 2).
    • “… wohl eine baldige Wiederholung derselben”Bis März 1825 keine Aufführungen im Tagebuch der deutschen Bühnen nachgewiesen.

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