Besprechung der Preciosa-Erstaufführung in Hamburg am 8. Oktober 1821 (Teil 2 von 3)

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Hamburgische Theater-Zeitung.
Stadt-Theater.

Preciosa. (Fortsetzung.)

Leider aber schließt mit diesem zweiten Aufzuge nur die Exposition, und folglich mußte im Fortschreiten der Handlung auch die Kehrseite des Zigeunerlebens hervortreten, welche freilich die Anmuth des ersten Eindrucks mit düstern Wolken überzieht. Ein Volk, welches sich in der Mitte anderer Völker als das einzige betrachtet, welchem der Erdboden angehört, wird auch bald das Eigenthum der übrigen Völker als das seinige betrachten, und solchen Geschlechtern ist jeder modus acquirendi recht, bei dem man auf gut Spartanisch nicht ertappt wird. Kinderraub wurde von jeher den Zigeunern vorgeworfen, und spielt auch hier die Hauptrolle, indem der Hauptmann und die schauerliche Wiarda keinen Anstand nehmen, die schlafende Preciosa als dreijähriges Kind zu entführen. Nun sollte man glauben, sey der ganze romantische Zauber gelöset, aber dem ist nicht so. Dieses Kind, von edeln Eltern geboren, trägt den Sinn des Edelmuths von der frühen Kindheit bis zum erwachsenen Alter auf alle seine Umgebungen fort, deren rauhe Aussenseite nur dazu dient, den weiblichen Sinn als einen Stern der ersten Größe aufgehen zu lassen. So ungereimt es scheinen mag, daß die zarte Blüthe von diesen rauhen Stürmen nicht geknickt worden, so ist doch gerade dieses Ereigniß hier von großer Wirkung, zumal da der Dichter dafür gesorgt hat, daß Preciosa in der Mitte des luftigen Volkes nie Unedles gesehen, und durch frühe Auszeichnung nur daran gewöhnt gewesen, sich als unumschränkte Herrscherin zu betrachten. Was ihm aber zugleich zur Last fällt, ist, daß er die alte Wiarda gar zu schlecht erscheinen läßt, von dem Augenblick an zerreißt der magische Schleier, und das Stück geht in das gewöhnliche Drama über, zu dem das Uebrige nicht paßt. Gleichsam aus dem Zusammenhange gerissen, wird der vierte Aufzug zum Theil lang und langweilig, und vergebens hat der Dichter sich bemühet, durch die Abschiedsrede der Preciosa in die vorigen Gränzen zurück zu führen. Hätte sich der Dichter entschließen können, die grauenhafte Alte in einem romantischen Verhältniß mit der Preciosa zu erhalten, so würde das Interesse ungetheilt geblieben seyn. Aber ungeachtet dieser wesentlichen Mängel behält das Ganze immer seinen bleibenden Werth, wenn auch die zwei letzten Aufzüge den ersten beiden sehr nachstehen. Die Wirkung wird auf jeder Bühne dieselbe bleiben, wo man eingesehen, daß ein solches Stück nur durch den vollkommenen Einklang der Dichtung, der Musik und des Tanzes gelingen können. Mit der Dichtung sind wir jetzt fertig, und für die Musik hat C. M. von Weber so hinreichend gesorgt, daß kein Wunsch unbefriedigt bleibt. Wohl uns, daß wir einen Tonsetzer in unserer Mitte haben, auf welchen ¦ wir getrost die Wälschen herausfordern können! Leicht freilich ist seine Musik nicht, auch wagen wir es kaum nach zwei Darstellungen* über den Werth dieses genialen Werkes ein Anderes als ein allgemeines Urtheil zu fällen. Ueberall ist das Haupterforderniß, Melodie, Zusammenhang und Klarheit. Lange hat hier keine Musik so gefallen. Aber die Ahndungen der höheren Vollendung, die erst in einzelnen Strahlen emporschießt, um sich hernach in leuchtender Glorie zu offenbaren, diese können wie bei Glucks und Mozarts Werken uns erst öftere Wiederholungen die nicht ausbleibende Form geben. Der tiefere Sinn der in der glänzenden Ouverture, in den einzelnen die Rede begleitenden Accorden, wie in den Chören liegt, der alsdann erst in seiner ganzen Pracht aufgeht, wenn das Ohr die äußere Schaale ganz in sich aufgenommen, diese Perle wird gewiß erst mühsam heraufgeholt, um hernach ihren Werth desto fleckenloser und reiner zu zeigen und zu erhalten. Bis jetzt bewundern wir außer der Ouverture vorzüglich den Zigeunermarsch, der in wunderbaren Verschlingungen überall wiederkehrt, die Accorde bei Preciosa’s erster Rede, und den Zigeunerchor mit dem Echo. Die Romanze verliert bei uns zum Theil ihren Werth, weil sie nicht gesungen, sondern gesprochen wird. Die musikalische Begleitung bei der oben erwähnten Abschiedsrede hat uns weniger angesprochen, weil das Stück dadurch dem Melodrama ähnlich wird, ein verhaßte Gattung die weder Fisch noch Fleisch ist. Die Zitterbegleitung der improvisirenden Rede hat aufgehört, die Schauspielerin redet nach der Musik und der Zauber ist gestört. Wem soll man jetzt den Vorzug geben? der redenden Person oder der Musik? ein jeder, selbst der gelungenste solcher Versuche muß der Oper nachstehen. Bei der Medea und der Ariadne wird, wenn die Rollen einigermaßen gut besetzt sind, die Musik über die Redner vergessen, bei dem Gange nach dem Eisenhammer, der doch sehr in diese Gattung einschlägt, dankt man dem Redner für die undankbare Mühe, die Musik begleitet zu haben. Bei einer geselligen Unterhaltung mag die Begleitung von Accorden und vollständigen Uebergängen und Ritornellen ihren großen Werth haben, auf der Bühne kann ein solches Unternehmen nach unserer Ueberzeugung nur ausgebildet werden, wenn die Musik sich als treue Freundin an improvisirte Reden wie im ersten Aufzuge, der Preciosa anschließt. So weit unser Urtheil über die Composition, in sofern wir uns bis jetzt desselben anmassen.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Originalien aus dem Gebiete der Wahrheit, Kunst, Laune und Phantasie, Jg. 5, Nr. 123 (12. Oktober 1821), col. 982–983

Text Constitution

  • “können”sic!

Commentary

  • “… es kaum nach zwei Darstellungen”Wiederholung am 10. Oktober 1821; vgl. die Anzeige in derselben Zeitung, Nr. 122 (10. Oktober 1821), Sp. 976.

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