Vocas: Stellungnahme zum Libretto der Euryanthe

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Eine Stimme aus dem Parterre über einen Moment der Euryanthe als Dichtung.

Die aufgestülpte Weise, wie Frau Helmina von Chezy ihren Kritikern begegnet ist, und die Wahrscheinlichkeit fruchtloser Versuche, durch kunstphilosophische Ansichten einen Einfluß auf ihr Talent zu gewinnen, könnte mir die Entwickelung einiger Ideen über ihre Operndichtung verleiden, wenn es nicht eben so gut Sache des Publikums wäre, darüber in’s Klare zu kommen als der Dichterin. Sie hat neuerdings erklärt, daß sie keine Journale lese; daran thut sie sehr wohl, denn sie wird sich üble Empfindungen ersparen, und in der Einsamkeit, d. h. bei der Unmöglichkeit, seinen Werth an der Meinung Anderer abzuwägen, wohl befinden; ich sage, man ist sich der Beste, so lange man sich der Einzige ist. Sie wird also hier nicht weiter in’s Spiel kommen, aber die Welt, durch welche man die Lob-Posanne bläst, will wenigstens hören, warum man sie bläst, und warum man sie nicht blasen sollte. Zudem ist diese DichtungT jetzt Eigenthum der literarischen Republik geworden (Euryanthe, große romantische Oper in 3 Aufzügen, von Helmina von Chezy, geb. Freyin Klenke. Wien 1824. Druck und Verlag von J. B. Wallishaußer), und eben darum steht es frei, eine Meinung zu äußern, auf welche die Täuschungen des Ohres und des Auges keinen Einfluß mehr haben.

Emma, die Schwester des Grafen zu Nevers und Rethel hat ihren Geliebten in der Schlacht verloren (S. 13.) und ihren Schmerz durch kein anderes Mittel zu stillen ¦ gewußt, als durch einen giftgefüllten Ring. Dafür hatt’ ihr eine sonderbare moralische Weltordnung die Strafe diktirt, sie solle so lange auf die Seligkeit warten (S. 14.)

Bis diesen Ring, aus dem ich Tod gesogen,Der Unschuld Thräne netzt im höchsten Leid,Und treu dem Mörder Rettung beut für Mord.

Das versteh’ ich nun zwar nicht recht, aber das thut nichts zur Sache; ich weiß vorher, daß Collisionsfälle eines Menschen mit seinen Verhältnissen kommen werden. Dieser Fall tritt ein, und Euryanthe soll die Erlöserin werden. Adolar, ihr Geliebter, hat ihr das gefährliche Geheimniß des Ringes vertraut, ohne Ahnung, daß nicht sie nur das Verderben aus diesem Ringe saugen werde. Sie ist ein Weib, entdeckt sich also in einer Stunde der Vertraulichkeit Eglantinen von Pniset, einer Gefangenen, ohne daß man eigentlich weiß, ob sie einen andern Grund habe, als den, das Geheimniß los zu werden. Ehe diese geschieht, ist eine Scene vorhergegangen, welche jene Unvorsichtigkeit zu einer verderblichen macht. Adolar hat einen Nebenbuhler Lysiart, Grafen von Forest, gefunden, der ihm durch die Bemerkung, Weibertreue laufe mit dem Stundenzeiger ab, eine spanische Fliege setzt. Es entsteht ein Wortkampf, der sich mit dem gefährlichen Entschlusse endet, Euryanthen eine Probe bestehen zu lassen; Lysiart greift zu den Künsten der List, denn er weiß Eglantinen in sein Spiel zu ziehn, und ihr das Geheimniß von dem Ringe abzulocken. Bringst du mir ein Liebeszeichen, hatte Adolar dem Lysiart erklärt, so sollst du die Wette gewonnen haben. Man zittert für das Glück der Lieben | den, denn Lysiart besitzt das Zeichen durch die Hand Eglantinens. Die Peripetie beginnt, alle Hoffnungen hängen an dem dünnen Faden des kommenden Augenblicks, alle Erwartungen spannen sich zitternd auf, alle Wünsche fordern von dem Momente ihre Erfüllung, und was geschieht? und wie geschieht es? Lysiart zieht das Liebeszeichen hervor, und so wäre die Wette gewonnen? Vor der Hand, ja, aber nur durch die Obtusität der betheiligten Personen. Adolar fragt (S. 27.):

Brachst Du deinen Eid?Euryanthe.Ich that es!Adolar.Schlange!Euryanthe.Unermeßlich Leid,Doch treulos bin ich nicht –Adolar.Verworfne du,Verstumme!Lysiart.Hör’ mir mit Fassung zu;Die Wahrheit sprech’ ich kühn und frei:In heller Mondennacht, am letzten Mai –Adolar.Vollende nicht, nimm Alles, Alles hin,Mein Leben mit –

Der König, welcher dieser Scene beiwohnt, muß in der examinatorischen Kunst nicht sehr erfahren seyn, denn es bedurfte nur einer einzigen Frage, wie Lysiart in den Besitz des Kleinods gekommen sey, um das ganze traurige Mißverständniß aufzuhellen; ja nicht einmal dies, kein Wort war nöthig, wenn man nur einen Augenblick geschwiegen hätte, um Euryanthen anzuhören; man verurtheilt sie, weil die Dichterin will, nicht weil es die Umstände erheischen. Es kam darauf an, durch zwei Worte dem erschrockenen Adolar zu erklären, daß Lysiart den Ring nicht durch die Hand Euryanthens, sondern einer Betrügerin erhalten habe.

Gleichwohl ist diese Scene von so großer dramaturgischer Wichtigkeit, daß das Gebäude augenblicklich zusammenstürzt, sobald man sie herausziehen wollte. Das ganze folgende Spiel läuft von diesem Mißverständnisse aus, und auf der Spitze dieses Momentes spinnt sich gleichsam das ganze Gewebe. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Dichterin diesen Umstand übersehen habe; aber wundern muß ¦ man sich, Sünden gegen die ersten Elemente der dramatischen Kunst zu bemerken. Das Interesse hört auf, denn man muß annehmen, daß man sich blos dem Witz einer Laune überliefern soll, und daß man Theilnahme an dem Schicksale von Menschen fordert, die es sogleich enden können, wenn sie wollen. Ist eine Person unter ihnen zu beklagen, so ist es Euryanthe, wegen des Unfalls, unter das Richteramt einfältiger Decernenten gestellt zu seyn. Die Musik, sagt man, fordert von dem Dichter keine strenge Entwickelung von Motiven, aber sie verlangt Wahrscheinlichkeit, und diese um so stärker, je mehr sie auf die Künste verzichten muß, mit denen eine geschickte Hand einen Fehler gegen jene zu überdecken versteht. Ich weiß nicht, ob ich diesem Umstande den geringen Erfolg auf der Bühne zuschreiben darf, aber so viel begreif’ ich, daß er vor den Gesetzen der Dramaturgie keine Rechtfertigung findet.

Vocas.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler
Korrektur
Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Zeitung für die elegante Welt, Jg. 24, Nr. 222 (11. November 1824), col. 1777–1780

    Commentary

    • Posannerecte “Posaune”.
    • Pnisetrecte “Puiset”.

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